Kaffee, Tee und warme Worte
Sie gehört zum Hamburger Stadtbild wie einst Hummel und Zitronenjette: 25 Jahre stand die Liebfrauenschwester Petra Schulte an der Mönckebergstraße und verteilte Brote und Kaffee für Obdachlose. Diese Ära geht jetzt zu Ende.
Einmal hat sich Schwester Petra nicht getraut, mit ihrem Caddy auf den Gerhart-Hauptman-Platz zu fahren. „Es gab eine Blitzeiswarnung, das war mir zu gefährlich.“ Sie erinnert sich daran, weil dieser Tag wirklich das einzige Mal war, an dem die Obdachlosen in der Hamburger City vergebens auf die Liebfrauenschwester gewartet haben.
Zweimal am Tag, vormittags und nachmittags, fuhr sie mit dem Caritas-Caddy auf den Platz. Es war immer das Gleiche. Schwester Petra parkte den Wagen, öffnete die Hecktüren und holte Kaffee und Butterbrote heraus. Davor bildete sich eine Reihe von Obdachlosen, die sich in einer Reihe anstellten und Kaffee und Butterbrote in Empfang nahmen. Im Wagen befanden sich immer auch andere Sachen: warme Jacken, Socken, Schals und Mützen für die, die etwas brauchten, ein paar Sanitätsartikel für alle Fälle. Das Wichtigste aber war Schwester Petra selber. Sie gab Rat, sprach mit den Leuten. Sie hatte etwas dabei, was es bei vielen anderen Hilfsangeboten nicht gibt: Zeit für jeden Einzelnen.
Man muss das in der Vergangenheitsform sagen, denn nach 25 Jahren wird Petra Schulte ihren Posten zwischen Hauptmannplatz und Mönckebergstraße verlassen. Seit zwei Jahren ist sie nicht mehr zweimal, sondern nur noch einmal täglich vor Ort. Das Gehen macht ihr mehr und mehr Mühe. Deshalb wird sie an ihrem 80. Geburtstag am 3. Februar verabschiedet. Ihr neuer Wohnsitz ist das Mutterhaus der Liebfrauenschwestern in Belm bei Osnabrück.
Ihr Vorbild: „Fröhliche Magd Gottes“ sein
Ordensfrau nach dem Muster der Liebfrauenschwestern hatte Petra Schulte im Visier, seit ihr in ihrem emsländischen Heimatort ein Buch in die Hand fiel: „Die fröhliche Magd Gottes“. Dieser Roman von Daniela Krein beschreibt das Leben einer Krankenschwester in einer bäuerlichen Familie. „Das wäre auch etwas für mich“, sagte sich Petra Schulte. Sie nahm bei nächster Gelegenheit Kontakt zu den Liebfrauenschwestern auf, deren Schwerpunkt die Familienpflege ist. Und schließlich fand sie sich in ihrem Traumberuf wieder, allerdings nicht auf dem Lande, sondern in der Millionenstadt Hamburg.
Zuerst arbeitete sie in der Familienhilfe, dann als Domküsterin. 1995 wechselte Schwester Petra das Einsatzfeld. Nicht mehr in Wohnungen und in der Sakristei war sie fortan zu finden, sondern auf der Straße. „Die Umstellung ist mir nicht schwer gefallen“, sagt Schwester Petra. „Es war von Anfang an eine gute Aufgabe. Ich konnte arbeiten, wie ich es für richtig hielt. Vor allem hatte ich Zeit, mit den Obdachlosen zu sprechen und ihnen zuzuhören.“ Und Berührungsängste hatte die Schwester ohnehin nie. „Ich bin sowieso kein furchtsamer Typ.“ Das merkten einmal auch zwei Männer, die aneinandergeraten waren und sich schlagen wollten. Ein großer starker und ein kleiner schmächtiger. Schwester Petra stellte sich dazwischen. „Hier wird nicht geschlagen!“ Zähneknirschend, erzählt die Ordensfrau, gingen beide auseinander. „Du kannst froh sein, dass die Schwester da war“, sagte der Große. Schwester Petra: „Güte und Festigkeit, beides ist wichtig.“
Normalerweise war sie auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz allein. Aber viele haben geholfen. Oft drückten Passanten ihr Geldspenden für ihre Arbeit in die Hand. Und das Ganze hätte vielleicht gar nicht geklappt ohne die Anschubfinanzierung 1997. Damals gab der Cellist Thomas Beckmann vom Verein „Gemeinsam gegen Kälte“ ein Benefizkonzert im Michel. 22 000 DM kamen zusammen. Das Geld reichte für den VW-Caddy, der heute noch im Einsatz ist.
38 Jahre Sozialarbeit in Hamburg, 25 Jahre Einsatz für Obdachlose. „Es war eine erfüllte Zeit“, resümiert Petra Schulte. Eine Zeit voller Begegnungen, Geschichten und sogar kleiner Wunder. „Einmal im November kam einer, der hatte nur ein Hemd an und fror. Ich hatte meine letzte Jacke gerade ausgegeben und habe mich furchtbar geärgert, dass ich nicht mehr Jacken mitgenommen hatte. Der Obdachlose tat mir leid, aber ich konnte nichts tun. In diesem Moment kam ein Mann daher und gab uns eine gute gefütterte Jacke. Er hatte gerade bei Karstadt eine neue gekauft und brauchte die alte nicht mehr.“ So etwas geschieht nicht alle Tage. Und hätte Schwester Petra das nicht vorher schon gewusst, hätte sie es in diesem Moment erfahren: „Wenn ich selbst nicht mehr kann, dann hilft der Herrgott.“
Text: Andreas Hüser