Nach Missbrauchsvorwürfen in Hildesheim
Keine Umbettung, aber die Bischofsgruft bleibt künftig zu
Chris Gossmann
Die in der Bischofsgruft des Hildesheimer Doms bestatteten Bischöfe bleiben an diesem Ort. Die Bischofsgruft wird künftig nicht mehr öffentlich zugänglich sein und nicht mehr als Begräbnisstätte für Hildesheimer Bischöfe dienen. Das teilte die Bischöfliche Pressestelle mit. Den Angehörigen der Bischöfe wird auf Anfrage der Zutritt weiterhin ermöglicht. Diese Entscheidung habe das Hildesheimer Domkapitel gemeinsam mit dem Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer getroffen. Damit verbunden ist auch der Entschluss, die Hildesheimer Bischöfe künftig auf dem Annenfriedhof zwischen den Kreuzgängen der Kathedrale zu bestatten.
Der Entscheidung vorausgegangen waren umfangreiche Beratungen mit unterschiedlichen Beteiligten. Dazu zählten Betroffene von sexualisierter Gewalt und Angehörige der Bischöfe, die in der Gruft bestattet sind, außerdem mehrere Gremien des Bistums Hildesheim. Dabei ging es besonders um die Frage, ob die sterblichen Überreste Bischof Heinrich Maria Janssens in der Bischofsgruft verbleiben sollen oder nicht. Neben Bischof Janssen sind in der Bischofsgruft die Bischöfe Joseph Godehard Machens und Josef Homeyer bestattet.
Schwere Vorwürfe
Eine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung aus dem Jahr 2021 hatte ergeben, dass es während der Amtszeit Bischof Janssens von 1957 bis 1982 eklatante Missstände im Umgang mit sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch in der Diözese gegeben hat. Darüber hinaus sind die Vorwürfe von fünf Betroffenen dokumentiert, die angeben, Bischof Janssen habe sexualisierte Gewalt an ihnen verübt.
Es gibt mehrere Gründe, die Bischof Wilmer und die Domkapitulare zur Entscheidung veranlasst haben, die Bischöfe in der Bischofsgruft zu belassen und diese dauerhaft zu verschließen: Zum einen soll die Totenruhe der in der Gruft bestatteten Bischöfe gewahrt werden. Zum anderen könnte eine Umbettung als Richterspruch über die Verstorbenen verstanden werden. Das soll vermieden werden.
Zugleich solle mit der Schließung deutlich werden, dass die Bischofsgruft kein Verehrungsort für verstorbene Bischöfe ist, sondern letztlich eine übliche Grabstelle neben weiteren Bestattungsorten in der Bischofskirche, an denen die sterblichen Überreste von Geistlichen ruhen, die bereits mehrere hundert Jahre oder länger verstorben sind. Mit der nun getroffenen Entscheidung wird auch dem Wunsch der Angehörigen der verstorbenen Bischöfe Rechnung getragen, die sich gegen eine Umbettung ausgesprochen hatten.
Informationen per QR-Code
Ein Schild vor der verschlossenen Bischofsgruft wird darüber informieren, dass es gegen den verstorbenen Bischof Janssen Vorwürfe der sexualisierten Gewalt gibt. Ein QR-Code auf dem Schild wird es Besuchern des Doms ermöglichen, digitale Informationen zur Lebensgeschichte der dort bestatteten Bischöfe und zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt im Bistum Hildesheim abzurufen. Dazu werden ausführliche Erläuterungen zum Machtmissbrauch unter der Verantwortung Janssens und den Tatvorwürfen gegen ihn gehören. Der Text wird in Abstimmung mit dem Betroffenenrat Nord veröffentlicht.
Bischof Wilmer sagt: „Wir schließen die Bischofsgruft dauerhaft, um damit deutlich zu machen, dass dieser Ort nicht dazu dient, die drei dort bestatteten Bischöfe des 20. Jahrhunderts in herausgehobener Art und Weise zu ehren. Kathedralen waren immer schon Orte des Gottesdienstes und zugleich Friedhöfe. Auch der Hildesheimer Dom ist im Laufe vieler Jahrhunderte immer wieder zur Grabstätte geworden – die Bischofsgruft ist eine von ihnen, nicht mehr und nicht weniger."
Die drei in der Bischofsgruft bestatteten Bischöfe sollen laut Wilmer an ihrem Ort verbleiben, um ihre Totenruhe nicht zu stören. Das gebiete die Achtung vor den Verstorbenen, unabhängig davon, wie viel Schuld sie zu Lebzeiten auf sich geladen haben. „Zugleich müssen wir klar benennen, dass von fünf Menschen gravierende Tatvorwürfe gegen den verstorbenen Bischof Heinrich Maria Janssen erhoben worden sind und er während seiner Amtszeit Verbrechen der sexualisierten Gewalt durch Geistliche nicht unterbunden, sondern vertuscht hat", sagt Wilmer. Dieser Befund sei schrecklich, er gehöre zur Biografie Bischof Heinrich Maria Janssens und zum düsteren Kapitel der sexualisierten Gewalt im Bistum Hildesheim.
Domdechant Heinz-Günter Bongartz erklärt: „Viele Menschen haben dem Bischof und dem Domkapitel geschrieben, warum aus ihrer Sicht eine Umbettung der sterblichen Überreste von Bischof Janssen erfolgen oder nicht erfolgen soll. Es gab in dieser Frage kein einheitliches Bild. Für beide Positionen wurden Gründe angeführt. Es standen vehemente Ablehnung und vehemente Zustimmung einer Umbettung gegeneinander. Auch in den beteiligten Gremien ist mehrfach intensiv beraten worden. Die nun getroffene Entscheidung des Domkapitels in Übereinstimmung mit dem Bischof ist aus unserer Sicht ausgewogen. In ihr kommt zum Ausdruck, dass eine differenzierte Erinnerungskultur unbedingt erforderlich ist. Zugleich wird die Totenruhe respektiert.“
Reaktion des Betroffenenrats Nord
Der Betroffenenrat Nord, der die Belange der Betroffenen in den drei norddeutschen Bistümern vertritt, zeigte sich unzufrieden. Die Perspektive der Betroffenen sei zwar gehört, aber wieder einmal nicht bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt worden, heißt es in einer Presseerklärung. Nun ruhe ein "Täterbischof" weiterhin unter den Gläubigen, die sich im Dom versammeln. Der Betroffenenrat war von einer Umbettung der Verstorbenen ausgegangen. "Eine wichtige Chance zu tätigen Reue und zum Symbol für ein ,Wir haben verstanden' wird hier vertan", heißt es. Befriedung gehe anders.
Auf die Ankündigung des Bistums, die Gruft mit einem Gitter zu verschließen, reagiert der Betroffenenrat mit satirischem Unterton: Damit sei klar, dass "Bischof Janssen und die mutmaßlichen Vertuscher Joseph Godehard Machens und Josef Homeyer für immer hinter Gitter" kämen.
Die Diskussion um die Umbettung Janssens war erneut aufgeflammt, nachdem im Juni neue Vorwürfe von drei Betroffenen gegen Bischof Janssen bekanntgeworden waren. Bongartz hatte damals erklärt, das Domkapitel werde prüfen, inwieweit eine Umbettung von Janssen möglich sei.
(bph/kiz/pe)