Ehrenamt als Chance für Kirche und Gesellschaft
Kirche muss vor Ort bleiben
Bei der Caritas-Kampagne „Sei gut, Mensch“ stehen auch Leute im Mittelpunkt, die von außen sehr stark angefeindet werden. Wie nehmen Sie diese Situation hier wahr?
In Ostdeutschland und auch in Erfurt herrscht eine große Polarisierung, was dazu führt, dass bei den Menschen eine sehr große Unsicherheit zu spüren ist. Das Ehrenamt kann hier ein Stück weit gegensteuern, denn Ehrenamt verbindet. Deshalb ist die Kampagne „Sei gut, Mensch“ so wichtig. Sie zeigt, es ist richtig, gut und für andere da zu sein. „Sei gut, Mensch“ hebt die Bedeutung des Engagements für den sozialen Frieden und für die Gemeinschaft hervor. Ehrenamtliche gehen auf Menschen zu, egal welche politische Ausrichtung oder Religion sie haben. Die betroffenen Personen erfahren dadurch, dass sie nicht allein gelassen werden, sondern jemand für sie da ist. Dies stärkt das Gemeinschaftsgefühl und bringt Menschen zusammen.
Diakon Wolfgang Langer ist Diözesancaritasdirektor im Bistum Erfurt. Foto: Caritas |
Wie schätzen Sie das Ehrenamt der Caritas in Thüringen ein?
Darüber bin ich sehr dankbar. Wir haben im Bistum Erfurt über 1000 ehrenamtliche Mitarbeiter in verschiedenen sozialen Bereichen. Zum einen sind das Menschen, die sich im Ruhestand befinden. Zum anderen engagieren sich auch jüngere Personen, die im Arbeitsleben stehen. Sie alle haben gemeinsam, dass sie sich für andere Menschen einsetzen. Unsere Ehrenamtlichen haben die Erfahrungen und das Wissen, auf Menschen zuzugehen, die Sorgen und Probleme zu erkennen und genau da anzusetzen, wo es nötig ist. Daher bin ich froh, dass wir das Ehrenamt mit unserer aktuellen Kampagne unterstützen.
Wird sich das Ehrenamt in der Zukunft ändern?
Grundsätzlich nicht. Allerdings werden die Rahmenbedingungen eine große Rolle spielen. Besonders wichtig scheint mir die Wertschätzung in der Öffentlichkeit. Wenn sich diese nicht verbessert, dann ist mit einem Rückgang der ehrenamtlichen Arbeit zu rechnen. Individualismus und Polarisierungen treten immer mehr in den Vordergrund. Hinzu kommen Anfeindungen von außen. Solche Angriffe haben Ehrenamtliche der Caritas erfahren müssen. Zum Beispiel Menschen, die mit Obdachlosen ins Gespräch kamen, ihnen ein bisschen Geld und etwas zu Essen gaben. Sie wurden daraufhin auf offener Straße beschimpft. Solche negativen Reaktionen schüren Angst und es fällt verständlicherweise immer schwerer, sich für die gute Sache einzusetzen. Auch im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik haben wir ähnliche Rückmeldungen. Es fehlt das Verständnis dafür, dass die Flüchtlinge unterstützt werden. Sie sollen nach Hause gehen, würden doch sowieso schon genug vom Staat bekommen. Vor diesem Hintergrund ist es ganz besonders wichtig, dass wir den Ehrenamtlichen zeigen, dass ihre Arbeit verdammt wichtig ist für unsere Gesellschaft und den sozialen Zusammenhalt. Die Generation, die das noch recht selbstverständlich macht, wird altersbedingt immer kleiner, also müssen wir verstärkt den Fokus auf jüngere Menschen legen. Denn wenn wir nichts tun, wird die Zahl der engagierten Menschen zurückgehen.
Wie kann die Caritas da Wertschätzung vermitteln?
Indem wir die Botschaft in die Öffentlichkeit tragen, dass ehrenamtliche Arbeit wahrgenommen wird. Einfach mal ein Danke sagen. Zum Elisabethtag beispielsweise laden wir unsere Ehrenamtlichen ein, bedanken uns aufrichtig für ihr Engagement und zeigen ihnen, wie wichtig ihre Arbeit ist. Zum anderen ist es von großer Bedeutung, die Helferinnen und Helfer nach ihren Bedürfnissen zu fragen: Wo brauchen sie mehr Unterstützung. Seien es finanzielle Aufwandsentschädigungen und andere organisatorische Fragen.
Ich halte es für wichtig, dass Leute, die sich ehrenamtlich engagieren, auch selbst Seelsorge erfahren.
Ganz genau. Die Ehrenamtlichen brauchen Menschen an ihrer Seite, die sich ihren persönlichen Fragen und Problemen wirklich annehmen. Denn es ist viel einfacher, sich für seine Aufgabe zu engagieren und immer wieder aufzurappeln, wenn man sich nicht allein gelassen fühlt, sondern weiß, man gehört einer Gemeinschaft an, wird aufgefangen und fühlt sich aufgehoben.
Welche Erwartungen haben Sie an die Gemeinden?
In den immer größer werdenden Pfarrgemeinden wird das Ehrenamt zunehmend wichtiger. Da ist es zentral, dass sich aus der Kirche heraus, gerade vor dem Hintergrund der frohen Botschaft, mehr Menschen engagieren, um die Gemeinden zusammenzuhalten. Sie können den Gemeindemitgliedern durch Aktionen, durch Veranstaltungen oder durch Besuche zeigen, ihr gehört dazu. Auch wenn der Pfarrer nicht jede Woche da sein kann.
Wo sehen Sie Chancen und Möglichkeiten, zukünftig junge Leute fürs Ehrenamt zu begeistern?
Meine Erfahrung ist, dass junge Menschen sehr daran interessiert sind, anderen zu helfen und sich zu engagieren. Der Unterschied liegt darin, dass sich früher Menschen für eine langfristige Unterstützung bereit erklärt haben. Das ist heute selten der Fall. Deshalb müssen wir andere Wege suchen und finden. Denkbar sind zum Beispiel Kurzzeitprojekte, für die man sich auf Zeit einsetzen kann. Auch wenn man im Arbeitsleben steht, passt vielleicht der eine Sonnabend, das Wochenende oder vielleicht mal ein ganzer Monat. Ehrenamt kann unterschiedlich gestaltet werden. Im einfachsten Falle kann es ein Gebet sein. Oder die Unterstützung bei einem Umzug, die Begleitung einer Person zu Ämtern.
Um das zu erreichen, braucht es in den Pfarrgemeinden Ansprechpartner. Gibt es Pläne und Ideen, wie man sich da vernetzen kann?
Ich sehe die Caritas hier als wichtige Schnittstelle zu den Pfarrgemeinden. Wir haben das Netzwerk zu den Menschen in Not und können aufzeigen, wo die Menschen am Rande der Gesellschaft zu erreichen sind. Die Pfarrgemeinden haben Möglichkeiten, um mit den Menschen in Kontakt zu treten. Hier spielt das Ehrenamt eine große Rolle, denn der Pfarrer selbst, der Diakon und die Gemeindereferentin sind mit vielen pastoralen Aufgaben ausgelastet. Hilfreich ist hier eine enge Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden und der Caritas, um diesen Weg gemeinsam voran zu bringen, denn letztendlich sind wir alle eine Kirche.
Es gab nach dem Elisabethjahr die Idee Caritasteams der Pfarreien ins Leben zu rufen, aber das wollte niemand so richtig.
Einen oder mehrere Koordinatoren als Anlaufstelle vor Ort kann ich mir weiter sehr gut vorstellen. Früher war das die Schwester Agnes, die unterwegs war. Auf den Punkt gebracht geht es hier um eine Diskussion, die wir schon relativ lange führen: Um die Rolle der Dorfkümmerin, des Dorfkümmeres. Ein Begriff, über den man streiten kann. Die Idee basiert auf der „Schwester Agnes“ und ist im Pflegebereich schon ein Thema. Denn dort, wo man eine Sozialstation nicht mehr aufrechterhalten kann, bietet eine Krankenschwester weiter Hilfe an. Ministerpräsident Bodo Ramelow hat in einem Gespräch gesagt, er möchte vor Ort ganz konkret einen Menschen haben, der diese Dienste anbietet. Auch die Wohlfahrtsverbände der LIGA (Liga der freien Wohlfahrtspflege) denkt über solche Konzepte nach. Es fehlt im Prinzip nur an der Umsetzung der Idee. Im privaten Bereich gibt es solche Dorfkümmerer bereits, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten handeln, aber bei den Verbänden meines Wissens noch nicht. Es fehlt noch der Mut zu sagen, wenn ein Land es will, ebenso die Kommune oder ein Verband wie die LIGA, dann starten wir jetzt einfach mal. Denn ein Dorfkümmerer ist genau das, was helfen würde, wenn Menschen alleine und einsam sind. Wenn man nun den Bogen zurück schlägt zum Ehrenamt, dieses weiter stärkt und die Wertschätzung erhöht, sodass das Ehrenamt wieder interessant und spannend wird, dann glaube ich, können wir durch einen Dorfkümmerer, durch einen Fürsorger auch wieder die Bereiche erreichen, zu denen wir zurzeit kaum einen Zugang haben.
In manchen Regionen leben kaum noch Christen. Welche Möglichkeiten sehen Sie?
Mein Wunsch ist es, dass wir vor Ort bleiben. Eben auch durch die Kümmerer. Fehlende aktive Gemeinden stellen natürlich ein Problem dar. Umso wichtiger ist es, mit den Kommunen ins Gespräch zu kommen. Es ist für uns eine Chance, dort zu zeigen, dass Kirche nicht nur in Städten präsent ist, sondern auch im ländlichen Raum. Zurzeit ist die Allgemeine Sozialberatung, welche aus Kirchenmitteln finanziert wird, Ansprechpartner für alle, die Sorgen haben.
Wie geht man mit den Menschen um, die schwer zu erreichen sind, zum Beispiel aus dem rechten Bereich?
Es gibt die rechten Politiker, und die Wähler der rechten Politik. Gefühlt ist diese sehr gefestigt in ihrer Meinung. Aber ich glaube und erlebe dies, dass es sich lohnt auf Menschen zuzugehen, ganz unabhängig von welcher Seite. Wenn wir vermitteln, dass wir ernsthaft zuhören und ins Gespräch kommen möchten, dann erreichen wir den Punkt, an dem wir Rückfragen stellen können. Ich glaube, keine Menschenseele ist ganz verloren und man kann jeden irgendwo erreichen. Deshalb bin ich auch Diakon.
Interview: Holger Jakobi