Polnisches Gebetbuch Kriegsgefangene
„Königin Polens, bitte für uns!"
Eine Hand des Autors hält das (11,5 x 8 Zentimeter) kleine Buch in polnischer Sprache: „Droga do Nieba“ – übersetzt „Weg zum Himmel“, das Kardinal Adolf Bertram im Jahr 1940 hat drucken lassen. Innerhalb der 128 Seiten ist auch ein Kreuzweg enthalten, mit je einem kleinen Bild (hier die erste Station). Dieses Büchlein erschien mit einer geschätzten Auflage von einer halben Million Stück. Foto: Raphael Schmidt |
Es ist ein unscheinbares, ganz schlichtes und einfaches Gebetbuch, das da im Bistumsarchiv liegt. Kein Ledereinband, sondern nur Pappe, mit einem Kreuz bedruckt, darunter die Worte: Droga do Nieba (Weg zum Himmel). Der Innentitel ist umfangreicher: „Droga do Nieba. Książka do nabożeństwa dla katolików. Wydanie pierwsze skrócone. Za pozwoleniem Zwierzchności Duchownej“ (Weg zum Himmel. Gebetbuch für Katholiken. Erste Kurzauflage. Mit Erlaubnis der geistlichen Behörde.). Am Schluss ganz klein: Druck: Reinhard Meyer, Ratibor. Doch sonst erfahren wir nichts über den Herausgeber und seine Intentionen. Erst der Blick auf die kirchliche Druckerlaubnis und ihr Datum macht stutzig: „Breslau, die 28. Januarii 1940. Imprimatur. Archiepiscopus Wratislaviensis. A. Card. Bertram.“
Wort Gottes verkünden und den Menschen in ihren Leiden beistehen
Bedenken wir die Zeit: Deutschland hat Polen überfallen, will Polen auslöschen, verbietet die polnische Sprache und steckt die Menschen polnischer Nationalität in Konzentrationslager oder verschleppt sie zur Zwangsarbeit. Wie kann die Kirche, wie können die Bischöfe und Priester darauf reagieren? Bischöfe und Priester sind nicht dazu da, Politik zu betreiben; sie sollen das Wort Gottes verkünden und den Menschen in ihren Leiden beistehen. Viele Priester versuchen, oft gegen großen Widerstand der Behörden, in die Gefangenen- oder Arbeitslager zu gelangen und den Internierten beizustehen. Und die Bischöfe? Der Erzbischof von Breslau, Kardinal Adolf Bertram, hat sich entschieden, ihnen mit Seelsorgsmaterial beiseite zu stehen. Er ließ Predigtvorlagen, Beichtspiegel und ein Gebetbuch drucken – in polnischer Sprache!
Vermutlich haben den Erzbischof verschiedene Anfragen erreicht mit der Bitte um polnische Drucksachen, so dass er sich an die Druckerei Reinhard Meyer in Ratibor wandte. Diese Druckerei gab das in Oberschlesien beliebte Gebetbuch „Droga do Nieba“ in polnischer und in deutscher Sprache heraus. Am 23. November 1939 antwortete die Druckerei auf eine Anfrage des Kardinals, dass man große Schwierigkeiten hätte, ein neues Gebetbuch herzustellen. Man gab dem Kardinal den Rat, sich an den Bischof von Posen oder an seine Erzpriester zu wenden, von dort könnte er gewiss eine große Zahl an polnischen Gebetbüchern einsammeln. Doch der Kardinal drängte auf einen neuen Druck in einfacher Form und in möglichst großer Stückzahl. Den Textentwurf lieferte ihm Erzpriester Hugo Quiotek (1876-1959), Pfarrer von Proskau bei Oppeln. Zugleich musste der Kardinal sich eine staatliche Druckgenehmigung besorgen. Doch er wandte sich nicht an die dafür zuständigen zivilen Stellen, sondern über den Wehrkreispfarrer an das Reichskriegsministerium. Da das Buch in erster Linie für Kriegsgefangene gedacht war, war das ein erlaubter, aber vor allem der schnellere Weg.
Am 12. Januar 1940 verschickte die Druckerei die Musterexemplare an den Kardinal und die zuständigen staatlichen Stellen. Wohl bereits am 16. Januar lieferte man die ersten 1000 Exemplare zum Preis von 25 Pfennige je Stück aus. Am 19. Januar teilte der Kardinal den bischöflichen Ordinariaten und Kriegsseelsorgern die Möglichkeit zur Bestellung dieses Buches mit. Vermutlich begann man in diesen Tagen auch mit dem eigentlichen Druck, noch bevor die staatlichen Genehmigungen vorlagen. Am 26. Januar fiel dem Verlag auf, dass man auch die formale kirchliche Druckerlaubnis noch gar nicht eingeholt hatte. Der Kardinal hatte das Buch zwar in Auftrag gegeben, doch bedurfte es noch seiner formalen Zustimmung zum Inhalt, die er sofort am 28. Januar erteilte. An diesem Tage teilte er das Erscheinen des Buches auch dem katholischen Feldbischof Rarkowski mit und erwähnte nebenbei, dass bereits Bestellungen für 25 000 Stück eingegangen seien. Dieser teilte am 6. März dem Kardinal mit, dass das Oberkommando des Heeres das Gebetbuch am 1. März genehmigt habe. Bis Mitte Juni 1940 waren 40 000 Stück ausgeliefert worden.
Gestapo hatte das Projekt, den Buchdruck, verschlafen
Der Druck eines solchen Gebetbuches rief natürlich auch die Gestapo auf den Plan. Doch eigentlich muss man sagen, dass sie das Projekt verschlafen hatte, denn erst im August 1940 trat sie in Aktion. Die erste Beschlagnahme des Buches war am 19. August beim Caritasverband in Regensburg vorgenommen worden. Man verlangte von den kirchlichen Stellen, auch alle bereits verteilten Bücher wieder zurückzuholen. Die Begründung der Gestapo war, dass das dort enthaltene Gebet „Anrufung der Königin Polens, bitte für uns“ geeignet sei, das polnische Nationalgefühl in einem für Deutschland nicht erwünschten Sinne zu beeinflussen. Das Lied „Maria, Königin von Polen“ ist so etwas wie die heimliche Nationalhymne Polens und darf in keinem Gebetbuch fehlen. Doch der Herausgeber, oder genauer: Pfarrer Quiotek, der die Lieder und Texte zusammengestellt hat, war sich wohl der Bedeutung dieses Liedes bewusst und hatte es nicht aufgenommen, um einen derartigen Ärger von vornherein aus dem Weg zu gehen. Zunächst ließ der Kardinal den Caritasverband und Bischof Wienken in Berlin Beschwerden gegen das Verbot vorbringen. Doch die Gestapo rührte sich nicht. Am 17. September 1940 richtete daher der Kardinal selbst eine Beschwerde an das Geheime Staatspolizeiamt Berlin sowie an das Reichskirchenministerium. Er verwies auf die Bedeutung der Seelsorge bei den Gefangenen, wozu Gebetbücher sehr wichtig seien, sowie auf die vom Oberkommando des Heeres gegebene Zulassung des Buches. Bereits wenige Tage später bekam er unter der Hand den Hinweis, dass die Gestapo ihr Verbot zurückgezogen habe, doch eine offizielle Mitteilung bekam er erst am 18. Oktober 1940.
Nun konnte an den erneuten Druck gegangen werden. Am 23. Oktober bedankte sich der Verlag beim Kardinal für die Mitteilung der Freigabe und teilte mit, dass „bis einschließlich heute“ 108 144 Stück des Gebetbuches ausgeliefert worden seien. Mit der Freigabe des Drucks enden leider auch die Nachrichten über die weitere Produktion dieses Büchleins. Sollte man das ganze Jahr 1941 hindurch mit der bisher an den Tag gelegten Produktionsmenge vorangekommen sein, dürfte man sicher eine halbe Million Exemplare erstellt haben. Wie lange das Büchlein wirklich noch gedruckt werden konnte, ist nicht bekannt. Vermutlich ging das Vorhaben 1942 unter dem allgemeinen Verbot kirchlicher Presse und dem – vorgeschobenen oder auch wirklich vorhandenen – Papiermangel zu Ende.
Ein anderer Gedanke, der in diesem Schriftwechsel vorkommt, sollte nicht unerwähnt bleiben. Das Büchlein war zunächst für polnische Kriegsgefangene gedacht, doch wurde es dann auch zur Hilfe in der Seelsorge an allen Polen, die sich in Deutschland befanden. Der Kardinal sprach hier immer von „den polnischen Zivilarbeitern und Arbeiterinnen“. Er hatte also auch immer die Frauen mit im Blick.
Kardinal ließ auch Predigtvorlagen in beiden Sprachen erstellen
Der Kardinal begnügte sich nicht mit der Herausgabe dieses einen Büchleins. In Zusammenarbeit mit dem Wehrkreispfarrer Professor Dr. Friedrich Maier (1883-1957) ließ er durch Geistliche des Breslauer Priesterseminars Predigtvorlagen erstellen, die in deutscher und polnischer Sprache erschienen. Am 28. Februar 1940 teilte der Kardinal den deutschen Ordinariaten die Herausgabe dieser Schriften und deren Bezugsquelle und Kosten mit. Mindestens fünf Hefte sind von diesen Predigtvorlagen gedruckt worden. Im Frühsommer 1940 ging der Kardinal sogar daran, ein „Seelsorgeblatt für die Zivil- arbeiter polnischen Volkstums“ herausgeben zu lassen. Er hatte schon konkrete Vorstellungen: 14-tägige Erscheinungsweise, vier Seiten, Größe, Preis, Herausgeber und Bearbeiter.
Am 11. Juli 1940 schrieb er an das Reichspropagandaministerium mit der Bitte um Genehmigung. „Natürlich“ bekam er diese nicht. Am 28. September wurde das Verbot ausgesprochen. Das, was der Kardinal als Vorteil beschrieben hatte, wurde ihm zum Nachteil ausgelegt. Die Zeitschrift sollte zweispaltig den deutschen und den polnischen Text parallel enthalten. Zum einen sei dadurch die sofortige und einfache Kontrolle des Inhalts durch die Behörden möglich, zum anderen können die Polen sich so in die deutsche Sprache und Gefühlswelt hineinfinden. Doch genau das stieß den Nationalsozialisten auf: Ein Austausch zwischen Deutschen und Polen sollte auf jeden Fall vermieden werden. Aus dem Nachhinein betrachtet, war das Scheitern vorhersehbar. Und dennoch: Er hat es wenigstens versucht.
Kritiker könnten sagen: Mit einem Gebetbuch befreit man keine Gefangenen. Das ist richtig. Aber sind Priester dazu da? Sie haben den Menschen beizustehen. Und die Bischöfe sollen ihnen Anleitung und Hilfe geben. Und dies hat Kardinal Bertram hier getan, nicht mehr, aber auch nicht weniger: Hilfe für in Not geratene Menschen, Hilfe für durch den Überfall der Deutschen internierte oder zwangsverpflichtete Männer und Frauen polnischer Nationalität.
Von Winfried Töpler