Ökumenischer Kirchentag
"Konfessionen nehmen Rücksicht"
Foto: Thomas Osterfeld
Mehrere Monate lang hat eine Arbeitsgruppe den Ökumenischen Kirchentag vorbereitet, der am 16. Juni in Osnabrück beginnt. Brigitte Neuhaus vertritt die evangelisch-lutherische Kirche, Norbert Kalinsky die katholische. Ein Gespräch über persönliche Erlebnisse in der Ökumene, die eigene Vorfreude auf das Ereignis und eine Grenze, die überschritten wird.
375 Jahre Westfälischer Frieden in diesem Jahr. Die christlichen Kirchen laden zum Ökumenischen Kirchentag nach Osnabrück ein. Müssen Sie da eine Hürde überwinden oder freuen Sie sich auf die Gemeinsamkeit?
Norbert Kalinsky: Für mich gibt es da nur eine Hürde – scherzhaft gesagt, ist das die Arbeit, die damit verbunden ist. Ökumene ist keine Hürde, sondern eine Erleichterung und eine Chance, in der Stadt auch große Formate zu realisieren. Da ergänzen wir uns und unterstützen uns. So ist es dann auch nicht mehr Arbeit, sondern eigentlich weniger.
Brigitte Neuhaus: Das kann ich bestätigen. Als wir uns nach den Veranstaltungen zum Reformationsgedenken im Herbst 2017 zum letzten Mal getroffen haben, haben wir uns gegenseitig gesagt, dass wir eigentlich weitermachen müssten. Ich meine, einer hätte damals schon vorgeschlagen, dass wir ja 2023 wieder zusammenkommen könnten. Wenn große Dinge anstehen, haben wir schon Übung.
Und es sind jetzt 25 Jahre her, dass es – 1998 – schon einmal einen ökumenischen Kirchentag gab.
Neuhaus: Ich war damals zwar noch nicht in Osnabrück, weiß aber, dass das Treffen Maßstäbe gesetzt hat.
Kalinsky: Ich kenne Menschen, die erzählen davon mit einem Leuchten in den Augen und mit strahlendem Gesicht. Als Vorbereitende merken wir aber auch, dass die Vergleichsfolie von 1998 zu 2023 nicht passt. Damals kamen ja gekrönte Häupter in die Stadt, heute rechnen wir insgesamt mit weniger Resonanz. Wir hatten uns im Vorfeld auch schnell darauf geeinigt, dass das kein Jubeltag sein soll. Natürlich sollen sich die Leute über den Kirchentag freuen und dabei glücklich sein. Aber gesellschaftlich stehen so viele Themen an – in Deutschland wie in der Welt –, dass man nicht sagen kann: Wir feiern ein Jubelfest zum Westfälischen Frieden.
Neuhaus: Wir haben gesagt, dass wir nicht uns selbst feiern wollen. Das deckt sich mit dem Ansatz der Stadt, bei dem es um die Frage geht, wie man Frieden schaffen kann und was wir für heute aus dem Prozess des Westfälischen Friedens lernen können. So ist ja auch das Programm entstanden, indem wir gefragt haben, welche Ansatzpunkte es für uns als Christen gibt, welche Wege zum Frieden wir gehen können.
Kalinsky: Ich habe den Eindruck, dass 1998 die ökumenische Hürde höher war. Inzwischen hat sich das eingespielt, zum Beispiel durch die Langen Nächte der Kirchen. Die Zusammenarbeit ist
doch jetzt selbstverständlich.
Neuhaus: Das nehme ich auch so wahr.
Wann haben Sie persönlich zum ersten Mal mit Ökumene Berührung gehabt?
Neuhaus: Ich komme aus dem Rheinland, da gab es nur „normal“, also katholisch. Und ich war eben „anders“. Das fiel nicht weiter auf. Dass es Unterschiede gibt, ist mir erst durch meinen Umzug nach Osnabrück bewusst geworden. Das liegt vielleicht daran, dass die Mengenverhältnisse hier ähnlicher sind. 2017 haben wir zu Erzählcafés – „Wir erzählen Konfession“ – eingeladen, bei denen viele ältere Menschen aus ihrem Alltag berichtet haben. Da ist mir erst klargeworden, wie schwierig das Glaubensleben für viele Paare sein kann, wenn sie nicht der gleichen Konfession angehören.
Kalinsky: Ich komme aus dem Osnabrücker Land, bin in Melle aufgewachsen. Da existierten die Konfessionen nebeneinander, in der Jugendarbeit hatten wir eine gesunde Konkurrenz.
Muss man Osnabrücker sein, um den Gedanken einer Friedensstadt nachvollziehen zu können?
Kalinsky: Was die Folgen betrifft, glaube ich das schon. Als junger Mensch war für mich der Westfälische Friede weit weg. So wurde es mir auch erst deutlich, als ich in Osnabrück anfing zu arbeiten. Die Konfessionen müssen hier aufeinander Rücksicht nehmen. Das spürt man an jeder Ecke. Das mag daran liegen, dass es nicht einen großen und einen kleinen Partner gibt.
Neuhaus: Ich bin 1999 nach Osnabrück gezogen und habe einige Zeit beim Stadtmarketing gearbeitet. Da ist mir aufgefallen, was das für ein Schatz ist, dass die Stadt sich auf die Fahnen schreibt, Friedensstadt zu sein. Auch die Erinnerungskultur, unter anderem mit dem Steckenpferdreiten, ist großartig. Vielleicht ist das den Leuten, die hier wohnen, gar nicht so bewusst.
Wo sind beim Frieden die Anknüpfungspunkte für den Kirchentag?
Neuhaus: Sicherlich beim Motto: „Wege des Friedens.“
Kalinsky: Natürlich, das setzt da an. Welche Wege des Friedens können wir gehen? Dabei denken wir nicht nur an den politischen Frieden, sondern auch an den Frieden zwischen den Konfessionen, in der Gesellschaft, mit mir selber, mit der Schöpfung. Das Motto fußt auf einem Wort aus dem Lukasevangelium: „Führe unsere Schritte auf Wege des Friedens.“ Das ist ein originär christliches Thema. Es gibt eine Kraft, die wir den Heiligen Geist nennen, die uns in allem befähigt, den Trampelpfad zum Frieden zu finden. Dafür ist der Kirchentag konzipiert. Er ist auch mit der Osnabrücker Gesellschaft verbunden. Der Hauptteil des Programms wird aus Initiativen und Gruppen bestückt, die hier in der Region beheimatet sind.
Neuhaus: „Friede sei mit euch“, hat Jesus den Jüngern mit auf den Weg gegeben. Das ist ein Auftrag für uns. Deshalb passt es so gut, dass wir jetzt keine Eventkultur machen und auch nicht zum Konsumieren auffordern. Wir zeigen, wo es überall Angebote der Kirchen gibt und dass es unsere eigene Verantwortung ist, etwas für den Frieden zu tun.
Das Programm ist umfangreich. Welche persönlichen Highlights wollen Sie nicht verpassen?
Neuhaus: Ich bin auf jeden Fall bei Pierre Stutz dabei, da erwarte ich etwas für meinen inneren Frieden. Ein anderer Schwerpunkt liegt für mich auf der gewaltfreien Kommunikation mit Angeboten in der Marienkirche und in der Bergkirche. Und dann möchte ich abends natürlich gerne die Friedensorgel in St. Katharinen hören. Wenn noch Zeit ist, gehe ich zur Podiumsdiskussion mit Boris Pistorius und den Bischöfen.
Kalinsky: Ich freue mich auf die Lange Nacht am Freitag. 23 Kirchen sind geöffnet, das finde ich toll. Auf jeden Fall möchte ich in die orthodoxe Kirche in der Lerchenstraße gucken. Auch auf die Freikirchen freue ich mich. Am Samstag will ich auf jeden Fall die Podiumsdiskussion im Dom zum Stand der Ökumene besuchen. Und: In der Ursulaschule gibt es einen „Klimabeichtstuhl“. Das hört sich toll an, den muss ich mir einfach mal ansehen.
Am Samstagnachmittag gibt es noch eine Besonderheit …
Kalinsky: Da werden evangelische Gottesdienste mit Abendmahl und katholische mit Eucharistie gefeiert, die eigentlich eine Trennung der Konfessionen bedeuten, weil die Katholiken die Protestanten bislang nicht pauschal dazu einladen. Die Theologie hat sich aber weiterentwickelt und Bischof Bode hat jetzt bewusst zur eucharistischen Gastfreundschaft eingeladen. Das ist für uns Katholiken etwas Bedeutendes. Ich habe vor, in St. Marien zum Abendmahl zu gehen, das habe ich noch nie gemacht. Emotional und spirituell wird das also eine neue Erfahrung für mich. Vielleicht sollten wir danach ein Interview führen, wie es mir damit gegangen ist (lächelt).
Neuhaus: Ich weiß, dass das ein großer Schritt ist und finde es toll, dass Bischof Bode das eingetütet hat. Vielleicht ist es das, was vom Kirchentag 2023 hängenbleibt.
Wie sieht der Ökumenische Kirchentag 2048 aus?
Kalinsky: Die Christen in der Stadt werden deutlich in der Minderheit, Ökumene wird selbstverständlich sein. Falls ich noch lebe, werde ich mich vielleicht mit manchem Protestanten besser verstehen als mit einigen katholischen Schwestern und Brüdern. Wenn es gut läuft, werden wir selbstbewusst sagen: Wir haben der Gesellschaft auch weiterhin Werte zu geben. Und ich hoffe, dass wir dann wirklich feiern können, weil die Welt friedlich ist.
Neuhaus: Wahrscheinlich wird sich die Kirche nicht mehr Volkskirche nennen. Auf jeden Fall werden wir weniger sein. Die Botschaft und der Auftrag, nach Frieden zu suchen und verantwortlich zu leben, bleiben bestehen.
Kalinsky: Ich würde es begrüßen, wenn wir uns weiterhin ergänzen würden: das Wort der Lutheraner, die Nüchternheit der Refomierten, das Lobpreislied der Freikirchen, die Sinnlichkeit der Katholiken – diese Unterschiede sind doch wertvoll. Es wäre schön, wenn sichtbar würde, dass wir mehr Gemeinsames als Trennendes haben. Das wäre ein Antrieb, so lange zu leben.
Das ÖKT-Programm gibt es auf dieser Homepage.
Einen ausführlichen Beitrag über einen Spaziergang zu Orten des Westfälischen Friedens in Osnabrück lesen Sie in der Ausgabe Nr. 23 (11. Juni 2023) des Kirchenboten.