Extremsportler hilft Kindern in Not

Laufen als Therapie

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In seiner Kindheit wird John McGurk schwer traumatisiert: Er wächst in einer zerrütteten Familie auf, wird im Heim misshandelt. Heute lebt der gebürtige Schotte in Osnabrück und läuft viele Kilometer für Spenden, um Kindern in Not zu helfen.


John McGurk auf dem Jakobsweg – auch auf dieser Strecke im
traditionellen schottischen Kilt, seinem Markenzeichen. | Fotos: privat

Manchmal holt ihn das Grauen wieder ein. Dann sieht er sich als schmächtigen Zehnjährigen nachts im Schlafanzug zum Büro des Heimleiters tapsen. Voller Angst nach einem Albtraum. Doch statt tröstender Worte gibt es Prügel. Der Mann fühlt sich gestört, packt den Jungen, wirft ihn gegen die Wand, schlägt und tritt auf ihn ein. Blut spritzt aus Mund und Nase. Irgendwann, sagt John McGurk, habe er aufgehört zu schreien und seinem Peiniger direkt in die Augen geschaut. Was ihm vermutlich das Leben rettet. Der Heimleiter lässt abrupt von seinem Opfer ab. Der kleine John liegt in seinem Blut, halb bewusstlos kriecht er zum Fenster und betet. Zu Gott, zu Jesus, zu Maria. Er kennt sie nur aus der Kinderbibel, jetzt sind sie die Einzigen, die er um Hilfe anflehen kann, seine Schutzengel.

John McGurk erzählt diese Geschichte ohne Stocken, nur ab und zu nestelt er an seinem Rosenkranz, den er um den Hals trägt. Ein Geschenk von Papst Franziskus, den er im vergangenen Jahr in Rom treffen durfte.

„Meine Kindheit war gestorben, bevor sie beginnen konnte“

In seiner Kindheit geht der gebürtige Schotte durch die Hölle. Geboren 1961 in Glasgow, wächst er in einer zerrütteten Familie und in extremer Armut auf. Zweimal erkrankt er an der Ruhr, mit schweren Durchfällen, ausgelöst durch schmutziges Trinkwasser. Der Vater, Alkoholiker, schlägt die Mutter so lange, bis diese ihre acht Kinder verlässt. John McGurk ist damals neun Jahre alt. Die Kinderfürsorge verteilt die Geschwister auf verschiedene Heime. „Sie haben uns auseinandergerissen, ich höre die Schreie, als sei es gestern gewesen.“

Mehrere Jahre ist John McGurk dem sadistischen Heimleiter ausgeliefert, bis die Mutter ihre Kinder nach Hause holt. „Meine Kindheit war schon gestorben, bevor sie beginnen konnte“, sagt McGurk heute. „Es tut noch heute weh nicht zu wissen, wie es sich anfühlt, ein glückliches Kind zu sein.“

Tägliche Gewalt und der Verlust der familiären Bindung haben McGurk traumatisiert. Doch hat ihn das nicht härter, sondern weicher gemacht. Wenn er ein leidendes Kind sieht, kann er seine Not spüren. „Traumatische Erlebnisse mögen nicht heilbar sein, aber man muss lernen sie zu akzeptieren und den Kindern zu helfen, die sie erleiden müssen.“ Und das tut McGurk auf seine Weise. Er läuft: seit 27 Jahren, tausende Kilometer – für bedürftige Kinder in seiner Heimatstadt Glasgow, für Kinder in Brasilien, für Aids-Waisen in Afrika oder gegen Kinderarmut in seiner heutigen Heimatstadt Osnabrück. Um auf sich aufmerksam zu machen, absolviert er die Läufe im traditionellen schottischen Kilt. So sammelt er Spenden für gemeinnützige Kinderhilfsprojekte in aller Welt.

„Meine Trainingsstrecken mit eingerechnet, bin ich sicher schon einmal um den Erdball gelaufen“, sagt er. Ein ehrenamtlicher Vollzeitjob neben seinem Vollzeitjob als Papiermacher.

Das Laufen ist für ihn eine Leidenschaft und ein Auftrag. „Wenn man nicht so viele finanzielle Möglichkeiten hat, um Kindern zu helfen, nutzt man eben etwas anderes – in meinem Fall den Körper.“ Und den galt es anfangs erst einmal fit zu machen: mit Training, Ernährungsumstellung und ohne die üblichen zwei Schachteln Zigaretten am Tag.

Papsttreffen ist Motivation zum richtigen Zeitpunkt


Im vergangenen Jahr traf John McGurk den Papst – eine
Begegnung, die ihn in seinem Engagement für Kinder bestärkt hat.

John McGurk ist überzeugt, dass Gott ihm diesen Weg gezeigt hat. Obwohl er, wie er sagt, allen Grund habe, nicht an ihn zu glauben. Aber: „Gott hat mir ein großes Herz gegeben und einen starken Willen.“ Er selbst habe sich lange geschämt, arm zu sein, nicht mal Kleidung für die Schule zu haben. Mit seinen Läufen will er notleidenden Kindern heute zeigen: „Auch wenn ihr nichts habt, seid ihr nicht wertlos!“

Als britischer Soldat kommt er Mitte der 80er Jahre nach Osnabrück. Er bleibt, heiratet, doch die Ehe geht in die Brüche. Er fällt in ein tiefes Loch, trinkt, gibt sich fast auf, schafft es aber aus eigener Kraft zurück ins Leben. Er lernt seine zweite Frau kennen, mit der er seit vielen Jahren glücklich verheiratet ist. Das Laufen für einen guten Zweck ist für den Vater von drei erwachsenen Kindern wie eine Therapie, in der er sein Kindheitstrauma verarbeitet. Beim Laufen betet er oft. Und natürlich kostet ihn das Ganze auch Zeit und Geld. Er muss planen, werben, seinen Urlaub opfern, Unterkünfte bezahlen, prominente Mitläufer organisieren, Sponsoren suchen. Die Familie unterstützt ihn.

In diesem Jahr führt ein Charity-Lauf von Osnabrück über die Niederlande, Belgien und Frankreich nach London – für SOS-Kinderdörfer und zugleich ein Friedenszeichen. John McGurk und seine Mitstreiter wollen einen Kranz an der London Brigde niederlegen, dem Ort eines islamistischen Anschlags im Juni 2017.

Seinen Papstbesuch im vergangenen Jahr verdankt er Freunden. Die schreiben einen Brief an den Vatikan. Eine Einladung folgt. John McGurk trägt in Rom seinen Kilt. Er nimmt die Hand des Papstes in seine, dankt ihm, dass er da ist, wechselt ein paar Worte. Für mehr bleibt keine Zeit. Aber das Treffen, sagt er, habe ihm Kraft und Motivation zum richtigen Zeitpunkt gegeben. Denn: „Ich bin mit dem Laufen noch lange nicht fertig.“

Anja Sabel


Zur Sache

John McGurk hat den Verein „Sportler 4 a childrens world“ gegründet. Die rund 200 Mitglieder machen es sich zur Aufgabe, Kindern in Notsituationen zu helfen und ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen. Sie engagieren sich mit ihren Benefizläufen für Kinderrechte und setzen Zeichen gegen Rassismus und für Integration. John McGurk ist seit 1993 auch Mitglied von Unicef und World Vision Deutschland. Etwa 1,1 Millionen Euro hat der gebürtige Schotte bislang für gemeinnützige Kinderhilfsprojekte weltweit gesammelt. 2013 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Weitere Infos und Kontakt:
www.s4acw.de
www.eine-zukunft-fuer-kinder.org