Brandenburgische Hospizwoche

Lebenswünsche am Apfelbaum

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Zur diesjährigen Brandenburgischen Hospizwoche sind die Cottbuser Malteser mit einer besonderen Aktion in einem Einkaufs-Park präsent.

Kurz nach der Eröffnung des Hospiz-Standes in Cottbus – erst einige „Äpfel“ sind am Baum.    Fotos: Raphael Schmidt

 

Inmitten eines großen Einkauf-Centers in Cottbus weist ein Aufsteller unter einem Malteser-Schirm auf eine besondere Aktion des ambulanten Malteser Hospizdienstes hin. Unter dem Thema „Lebensträume“ steht: „Was möchte ich noch erleben, bevor ich sterbe?“ Besucher des Centers wurden am 24. Juni von den Koordinatoren des Ambulanten Hospiz- und Palliativberatungsdienstes, Christiane Schwarz und Michael Doll, eingeladen, unter der Lichtkuppel im Lausitzpark „eigene Lebensträume einem Apfelbaum zu übergeben und diese an ihm reifen zu lassen“. Drei Tage lang sind Ehrenamtliche des Hospizdienstes vor Ort, sprechen über ihre Arbeit und sind bereit für Gespräche über das Er-Füllen der eigenen Lebenszeit“, erklärt Michael Doll. Die Aktion ist Teil der Brandenburgischen Hospizwoche.
Ein Apfelbaum, den eine Baumschule für diese Aktion gestiftet hatte, steht eingetopft am Stand, davor ein Tisch, auf dem „Äpfel“ liegen. Kinder aus drei Kindertagesstätten haben 90 Stück gestaltet, danach wurden sie laminiert und mit Bändern versehen. Der Koordinator begrüßt um 15 Uhr die Besucher: „Sie können Ihren Lebenstraum hier auf einen Apfel schreiben und an diesen Baum hängen und sich von Sängerin Kathrin Clara Jantke Musik schenken lassen. Lassen Sie sich einfach ein bisschen inspirieren und mitnehmen. Kathrin Clara Jantke schreibt alle Texte selbst, ebenso  ihre Musik“. Einen Apfel hat die Sängerin noch nicht beschriftet,  sie weiß aber, was drauf soll: „Ich möchte einfach gesund sein“, sagt sie.
 Auf dem Tisch liegen neben Äpfeln und Stiften beschriftete Bierdeckel. Auch mittels dieser wollen die Standbetreuer ins Gespräch kommen. Darauf steht:  Was bedeutet für dich Glück?  Was wünschst du dir für den Rest deines Lebens? Was macht dein Leben reicher? Wann beginnt für dich der Rest des Lebens? Mein Haus, mein Auto, mein Sterben ... Mein Wille geschehe, bis zum Tod? Angst vorm Sterben oder Angst vorm Tod? Wer wird gut sterben?
Passanten bleiben stehen, die meisten schauen aus sicherer Entfernung, wollen sich keine „Versicherung verkaufen lassen“. Wenige kommen näher, lassen sich direkt ansprechen, schreiben ihren Lebenswunsch auf Äpfel. Bald hängen die ersten am Baum.  „Dass unsere Kinder nach Europa kommen“ schrieb ein 65-jähriger Mann. Eine Frau (60) wünscht sich, „dass wir bald wieder nach Pasadena zu den Kindern fliegen können“. Auf einer Bank auf der gegenüber liegenden Seite der großen „Tanzfläche“, unter der Kuppel, sitzt eine Frau mit ihren zwei Mädchen. Sie essen Eis. Das Ambiente findet die Mutter „toll, die Musik dazu inspiriert zum Innehalten. Beim Apfelbaum drängt sich mir Luthers Spruch auf: Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“, sagt sie.

Jetzt muss ich mir einen neuen Lebenstraum ausdenken
Die Aktion mit dem Lebenstraum findet sie interessant, „weil wir ja eigentlich nur aufgrund meines Lebenstraums nach Cottbus gekommen sind. Ich wollte gerne an der Uni arbeiten – hier habe ich die Möglichkeit dazu bekommen“, sagt sie. Durch die Aktion angeregt, „habe ich soeben überlegt: Jetzt muss ich mir einen neuen Lebenstraum ausdenken. Jetzt stellen sich Fragen wie diese: Wie lebt sich dieser Traum und ist das Leben dann so, wie ich es erträumt habe?“ Es gibt darüber hinaus unausgesprochene Träume, von denen einer: Familie heißt: Drei gesunde Kinder von elf bis vier Jahre gehören ganz oben auf die erfüllte Wünsche- Liste. Der Wunsch der Elfjährigen lautet:  „Ich möchte gern mehr reiten.“ Die Vierjährige wünscht, mit dem Pony zu reiten.

Viele „Wünsche-Früchte“ hängen am Apfelbaum.

Michael Doll hält Aktionen wie diese für überaus wichtig, um „auf unsere Arbeit aufmerksam zu machen. Hospiz möchte niemand so gerne hören, über Sterben, Tod und Trauer niemand sprechen. Darum  haben wir ein Thema gewählt das heißt: Lebensbäume-Lebensträume“, sagt er. Die Besucher im Einkaufs-Park hat er zuvor mit einer Geschichte begrüßt: „Ein angesehener Gelehrter steigt auf eine Fähre, um auf die andere Seite des Flusses zu gelangen. Er will sich unterhalten und fragt den Fährmann: Verstehen sie etwas von Philosophie?“ Nein, antwortet er, dafür hatte ich nie Zeit. Oh, das tut mir aber leid, entgegnete der Gelehrte mitleidig. Wie halten Sie das nur aus, da fehlt Ihnen ja das halbe Leben. Ein Sturm kommt auf, die Wellen schlagen immer höher. Können Sie schwimmen?, ruft der Fährmann dem Fahrgast zu. Nein,  antwortet dieser. Dafür hatte ich nie Zeit. Oh, das tut mir leid – dann fehlt Ihnen gleich ihr ganzes Leben, denn dieses Boot sinkt gerade.“
Das Konzept für diese Aktion stammt vor allem von Koordinatorin Christiane Schwarz. „Die Idee über eine Bucket Liste (bedeutet: mit den Menschen ins Gespräch über Sterben, Tod und Trauer zu kommen) hatten wir schon seit längerem. Jedes Jahr findet im Juni die Brandenburgische Hospizwoche statt. Dabei sind  Hospizvereine aufgerufen, durch Veranstaltungen vom Rand der Gesellschaft in deren Mitte zu treten und ihre Arbeit bekannt zu machen“, sagt sie. Die erste Idee war, eine schwarze Kiste zu gestalten, auf der „die Menschen ihre Wünsche mit Kreide niederschreiben können. Es entwickelte sich schnell die Idee, die Kiste durch einen Baum zu ersetzen“, erklärt die Koordinatorin. Denn: „Das Thema Sterben und Hospiz wird viel zu oft mit dunklen und düsteren Farben in Verbindung gebracht. Wir sehen unsere Aufgabe aber eher darin, dem verbleibenden Leben Farbe zu geben. Wenn man an ,Leben‘ und ,Baum‘ denkt, landet man unweigerlich beim Apfelbaum – dem Baum der Erkenntnis. Der Apfel als Symbol der Vollkommenheit, der Hoffnung auf Erlösung“, so die Überlegungen. „Wir fragten bei der Chefin der Dubrauer Baumschule an, ob sie uns mit der Spende eines Apfelbaumes unterstützen würden. Ihr sei ein Schauer über den Rücken gelaufen, als ich mich mit Ambulanter Hospizdienst der Malteser meldete“, sagte sie. Das Centermanagement vom Lausitz Park war sofort bereit, einen großflächigen Standort zu Verfügung zu stellen. Eine Steinmetzin aus Spreenhagen fertigt den Erinnerungsstein für die „Lebensträume“. Egal, mit wem die Hospiz-Mitarbeiter gesprochen haben, „jeder war sofort Feuer und Flamme und bot Hilfe und Unterstützung an. Ich bin sehr dankbar für alles, womit uns tatkräftig geholfen wurde“, sagt Christiane Schwarz.
Der Baum hängt am Ende der Hospizwoche voller Früchte. Auf Äpfeln ist zu lesen: „Gesundheit für die Familie; große Schwester werden; Wir wünschen uns Gesundheit, Glück und unvergessene Erlebnisse für die ganze Familie, schreibt eine 39-Jährige; Ich wünsche mir mehr Lebensqualität und Arbeit für die Enkel, wünscht eine Frau, 70 Jahre. Massentierhaltung abschaffen. Mehr Zeit mit meinen Mitmenschen verbringen. Mehr Zusammenhalt in der Familie. Ich wünsche mir, Ärztin zu werden und immer mit der Familie zusammen gesund zu bleiben, wünscht ein fünfjähriges Mädchen.
Der Baum wurde auf dem Gelände der Edith-Stein-Kirche gepflanzt. Träume dürfen daran weiter wachsen und reifen.

Von Raphael Schmidt