Stefan Weiller erzählt von Besuchen im Hospiz
"Letzte Liebeslieder" in Lingen
Wie sterben Liebende und welches letzte Lied begleitet sie dabei? Davon redet Stefan Weiller bei einem Abend in Lingen. Dieses Projekt, für das er Sterbende in Hospizen besucht, hat auch seine Sicht verändert, erzählt der Künstler.
Dass Stefan Weiller Post bekommt zu seiner Arbeit, ist nicht ungewöhnlich. Leid und Sterben, Tod und Trauer – das berührt jeden von uns. Aber manche E-Mails klingen lange nach. Wie von dem Mann, dessen Frau nach 30 Jahren Ehe innerhalb weniger Wochen an Krebs in einem Hospiz stirbt. Als er von Weillers Konzertprojekt „Letzte Liebeslieder“ hört, verteilt er für ein Konzert in Hannover gleich 20 Karten im Bekanntenkreis – „damit mehr über dieses Thema gesprochen wird“. Ein größeres Kompliment kann sich der Wiesbadener Künstler kaum vorstellen.
Mit den „Letzten Liebesliedern“, die am 8. September auch in Lingen zu erleben sind (siehe „Zur Sache“) setzt Weiller ein Projekt fort, für das er seit zwölf Jahren durch das Land reist. Er besucht Sterbende in Hospizen, Pflegeeinrichtungen und zu Hause, spricht mit ihnen über ihr Leben und die Melodien, die sie bis zum Ende begleiten. „Dieses ‚letzte Lied‘ ist wie eine Überschrift für ihr Leben.“ Für die „Letzten Liebeslieder“ trifft Weiller zusätzlich Angehörige – redet mit ihnen über ihre Beziehung, den nahenden Abschied und über Musik, die beiden wichtig ist. „Da steht die Liebe im Zentrum.“
„Da war so viel Lebenslust zu spüren“
Wie es überhaupt zu diesem Projekt gekommen ist? Weiller, der in der Südpfalz katholisch aufwächst und später zur evangelischen Kirche konvertiert, studiert Sozialpädagogik und arbeitet parallel als Autor für verschiedene Zeitungen. Die Redaktionen, auch von kirchlichen Magazinen, beauftragen ihn oft mit sozialen Themen. Eines führt ihn in ein Hospiz zu einer sterbenskranken Frau. Mit ein wenig Unbehagen geht er in das Gespräch hinein – und kommt mit tiefer Dankbarkeit und höchstem Respekt wieder heraus. „Da war so viel Lebenslust und Lebensfreude zu spüren“, erinnert er sich an einen langen Nachmittag mit viel Lachen und mit Musik.
Weiller ist schnell klar: Es darf nicht bei dieser einen Reportage bleiben. Mittlerweile hat er über 250 Menschen in Hospizen, Heime und Häusern besucht, schreibt Bücher darüber, gestaltet multimediale Lese- und Konzertabende wie in Lingen. Und wird noch immer angefragt: „Das Thema ist nicht auserzählt.“
Wie Stefan Weiller von diesen Begegnungen redet, ist einfühlsam und tiefgründig, bewegend und auch voller Schmerz, mitunter sogar kurios und witzig. Aber nie wirken die Geschichten süßlich. Der Autor will aufrichtig und authentisch bleiben, will den Tod nicht verklären. Er ärgert sich zuweilen über seltsame „Wellnessprogramme“, die das Sterben in „wohlfühlige hinüberziehen“ und uns glauben machen wollen, wir müssten in der Endphase noch schnell alles Mögliche erleben. „Wir dürfen das Dunkle nicht ausblenden. Oft ist das Sterben brutal schwer“, sagt er eindringlich. „Wir müssen einen Weg finden, ehrlich darüber zu sprechen. Leben und Sterben sind aus der Hand desselben Meisters. Dem können wir gar nicht ausweichen.“
Mit „Meister“ meint er Gott. Mit der Kirche aber hat er manches Mal Probleme, bezeichnet sich als sehr kritisch – will aber in ihr bleiben. Ganz bewusst. „Wir verlieren viel mehr als wir gewinnen, wenn es die Institution nicht mehr geben würde. Gerade in der Auseinandersetzung mit Tod und Trauer.“ Zudem hat er bei seinen Besuchen im Hospiz erlebt, was für eine Kraft der Glauben haben kann. Er wirbt dafür, dass Menschen sich dieses Geschenk machen. „Menschen mit einem Glauben sterben leichter.“
„Glück ist nicht herstellbar“
Das ist nicht die einzige Erkenntnis aus seinen Gesprächen. Sie haben ihm bestätigt, dass in den kleinen Dingen die wahre Größe liegt, dass Glück nicht herstellbar ist und dass am Ende nicht „weiter, höher, schneller“ zählt – sondern die Liebe. Auch das weiß er mit seinem Partner jeden Tag zu schätzen, „wir haben dieses Stück Ewigkeit noch. Und vielleicht ist es gut, in dieser Mahnung zu leben.“
Das Thema lässt ihn also nicht los. Die „Letzten Lieder“ und „Liebeslieder“ gehen weiter – mit einem neuen Buch, mit Konzerten und Solo-Programmen. Was ihn genauso umtreibt, ist das Thema Trauer. „Das ist heute das viel größere Tabu.“ Viel zu oft wird seiner Ansicht nach Trauer „zugebuttert“ oder gar als Krankheit betrachtet, die es „mit einer Pille“ nur rasch zu überwältigen gilt. Er schüttelt den Kopf bei solchen Anwandlungen und hofft, dass sich Angehörige, Freunde, Nachbarn, Kollegen bei Trauernden nicht einfach wegducken. „Da braucht es eine Debatte, die für mich nicht kleiner sein darf als um das Sterben. Das mag nicht sexy sein, aber wichtig.“
Internet: www.stefan-weiller.de
Petra Diek-Münchow
„Letzte Liebeslieder“: So ist eine Autorenlesung am Donnerstag, 8. September, um 19 Uhr im Ludwig-Windthorst-Haus in Lingen überschrieben. Der Autor und Künstler Stefan Weiller erzählt an dem von Musik, Bildern und Videos begleiteten Abend anrührende Liebesgeschichten am Lebensende aus dem Hospiz. Dazu hat er Sterbende und ihre Angehörigen getroffen und mit ihnen über Melodien ihres gemeinsamen Lebens gesprochen. Zu dem Abend laden die Lingener Stadtpastoral und das Dekanat Emsland-Süd in Kooperation mit dem Bildungszentrum Hospiz und Palliativversorgung im Landkreis Emsland ein.
Der Eintritt ist frei, um eine Spende wird gebeten. Anmeldung bei Dekanatsreferent Holger Berentzen per E-Mail: holger.berentzen@bistum-osnabrueck.de oder Telefon 05 91/96 49 72 21.