Professor Alexander Danzer über Lebensmittelverschwendung
"Mache ich mir doch die Fertigpizza?"
imago/Gottfried Czepluch
In Deutschland werden pro Kopf und Jahr 78 Kilo Lebensmittel weggeworfen. Vor allem die frischen. Die katholische Uni Eichstätt-Ingolstadt hat in einer repräsentativen Umfrage nach Gründen gesucht. Professor Alexander Danzer erläutert sie – und nennt Lösungsansätze.
Sie haben eine Studie zu den Ursachen von Lebensmittelverschwendung gemacht. Warum?
Was mich an diesem Thema so fasziniert, ist: Wir Menschen sind doch eigentlich sehr erfahren im Lebensmittelkonsum. Wir essen dreimal am Tag, wir kaufen sehr häufig ein – und das über viele Jahre. Wir müssten wissen, was wir tun. Wie kann es dann sein, dass wir ständig Essen wegwerfen – obwohl das Geld kostet und wir nachhaltig und umweltfreundlich leben wollen? Wie kann es sein, dass wir unbeabsichtigt Fehler machen? Auf diese Fragen haben mein Team und ich Antworten gesucht. Denn die gibt es bisher nicht.
Manchmal heißt es, der Grund sei, dass viele Leute sich spontan zu viel in den Einkaufswagen packen, weil sie gerade hungrig sind oder sich von Angeboten verführen lassen.
Mich konnte das nie vollends überzeugen. Ich sehe keine Leute, die ohne Selbstkontrolle Berge von Lebensmitteln blind in den Einkaufswagen werfen – und zu Hause die Hälfte wegschmeißen.
Was ist dann das Problem?
Wir haben versucht, den gesamten Prozess vom Supermarktregal bis zur Mülltonne nachzuvollziehen. Erst sind wir ja total rational. Wir überlegen uns genau: Was brauche ich? Wie viel kann ich essen? Was muss auf meinen Einkaufszettel? Die Probleme tauchen später auf. Wir haben vermutet, dass Menschen zwar gute Vorsätze haben. Sie wollen sich gesund ernähren, sie kaufen viel Salat und Gemüse – aber dann, zu Hause, vergessen sie diese Vorsätze. Sie halten ihren Plan nicht durch.
Wie oft kommt das vor?
57 Prozent der Befragten haben gesagt, sie haben in den letzten sieben Tagen in ihrem Kühlschrank verdorbene Lebensmittel entdeckt. Am Ende ihres stressigen Arbeitstages kommen sie nach Hause, sind müde und abgehetzt, wollen am liebsten nur noch aufs Sofa fallen und stehen vor der Frage: Nehme ich mir jetzt noch die Zeit, meine Zucchini zu waschen, kleinzuschneiden, anzubraten – oder mache ich mir doch die Fertigpizza? An diesem Punkt werden die Leute schwach.
Weil sie vielleicht die Kinder versorgen müssen und kaum Zeit haben zu kochen.
Genau. Frische Lebensmittel sind sehr arbeitsintensiv. Und Fertiglebensmittel sind heutzutage ständig verfügbar – und durchaus auch lecker. Das führt dazu, dass die Leute im Alltag oft den Fertiglebensmitteln den Vorzug geben und die Frischware verdirbt.
Gilt das auch für Sie persönlich?
Ich glaube, da kann sich fast niemand ausnehmen. Wir versuchen das zu optimieren, sind auch schon ganz gut, aber von Perfektion noch weit entfernt. Ich finde immer mal wieder in meinem Kühlschrank irgendwo eine alte, verschrumpelte Gurke, bei der ich sage: „Nee, die esse ich nicht mehr.“
Gerade Menschen, die sich gesund ernähren wollen, haben also das Wegwerfproblem?
Ja. Traurig eigentlich. Und ich kann Ihnen für dieses Problem auch keine einfache Lösung präsentieren.
Aber zumindest Lösungsansätze?
Etwas über 20 Prozent der Konsumenten sagen, sie haben Lebensmittel weggeworfen, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten war. Obwohl viele Lebensmittel ja noch viel länger haltbar sind. Vielleicht wäre es gut, das anders zu nennen: In England heißt es ja „best before“, also „am besten vor“ einem bestimmten Datum, aber danach nicht unbedingt schlecht.
Am Problem des weggeworfenen Gemüses würde das aber nichts ändern.
Das stimmt. Ich glaube, da würde es helfen, wenn die Menschen wieder lernen, zu kochen und mit unverarbeiteten Lebensmitteln richtig umzugehen. Man könnte überlegen, ob Hauswirtschaftslehre ein sinnvolles Fach in der Schule wäre, um mehr Wissen über Essen zu vermitteln. Aber so eine Grundlagenbildung dauert natürlich; sie würde nicht dazu führen, das Wegwerfproblem schnell zu beheben.
Ist es nicht auch menschlich, einen Plan, den man im Supermarkt hatte, dann nicht durchzuhalten?
Klar, das ist das Leben. Und individuell ist das ja auch überhaupt nicht schlimm. Das Problem ist: Viele individuelle Entscheidungen haben zusammengerechnet maximale Auswirkungen. Wenn jeder am Tag eine Gurke, einen Salatkopf oder eine Paprika wegwirft, dann rechnen Sie das mal auf 80 Millionen Menschen in Deutschland hoch.
Das Problem zu lösen, wäre also wichtig.
Wenn wir es schaffen würden, weniger Lebensmittel zu verschwenden, würde uns das enorm entlasten. Es würde die Straßen leerer machen, weil weniger Lkw Lebensmittel transportieren müssten. Es würde riesige Mengen Wasser sparen, die fürs Gießen und die Verarbeitung der Pflanzen notwendig sind. Es würde Energie sparen, die für die Entsorgung des Mülls gebraucht wird. Und es würde den Konsumenten Geld sparen – in Zeiten der Inflation ein Riesenthema.
Was könnte der Staat tun, um eine Veränderung zu erreichen?
Im Zuge der hohen Inflation wird ja darüber diskutiert, ob wir nicht die Mehrwertsteuer auf Gemüse senken sollten, damit gesunde Lebensmittel billiger werden. Unsere Forschung sagt: Das Problem des Wegwerfens würde das womöglich verschärfen – weil noch mehr gekauft wird, das am Ende nicht gegessen wird. Umgekehrt die Preise zu erhöhen, um ein Bewusstsein zu schaffen für den Wert dieser Produkte, ließe sich aber gar nicht durchsetzen. Und es würde riesigen sozialen Sprengstoff mit sich bringen.
In Ihrer repräsentativen Studie haben Sie herausgefunden, dass ältere Menschen tendenziell weniger Lebensmittel entsorgen als jüngere. Könnten sie den Jüngeren helfen?
Die ältere Generation ist anders mit Lebensmitteln aufgewachsen. Damals waren frische Lebensmittel der Standard und fertige Lebensmittel waren teuer und schmeckten nicht gut. Die Mütter waren Hausfrauen und haben zu Hause gekocht. Heute sind oft beide Elternteile berufstätig und haben gar nicht die Zeit, jeden Tag frisch und gesund für die Kinder zu kochen. Ich glaube, die Generationen könnten sich unterstützen.
Klingt toll.
Ja, wenn ältere Menschen in der Nähe der Familien ihrer Kinder wohnen und für sie kochen, ist das eine Riesenerleichterung – und möglicherweise auch für die Älteren ein Gewinn. Sie kochen ja oft sehr gern und können ihre Kompetenz zur Unterstützung anbieten.
Und wenn sie weit entfernt wohnen?
Man könnte die Idee professionalisieren und eine Plattform anbieten oder eine App programmieren, die Alte mit Jungen auf lokaler Ebene vernetzt, nach dem Motto: Omas kochen für Kinder. Das könnten auch Kommunen oder Pfarrgemeinden organisieren. So würden ältere Menschen sich sehr gebraucht fühlen – und sogar noch Geld dafür bekommen. Ich bin überzeugt davon, dass es heute viele Rentnerinnen gibt, die noch mit 75 imstande sind, wunderbare Gerichte für eine große Anzahl von Leuten zu zaubern. Und die das gerne machen würden.