Impuls zum Weihnachtsfest
Maria, eine Prophetin
Maria weist den Weg und weckt zu einer neuen Lebendigkeit, sagt Martina Manegold-Strobach in ihrem Impuls zum Weihnachtsfest.
Schon merkwürdig: Ich habe meinem Enkel in diesem Jahr eine neue CD mit 24 Adventsgeschichten geschenkt. Doch anstatt jeden Tag neugierig auf das nächste Erzähl-Abenteuer zu sein, hat er seine alte CD wieder ausgegraben und spielt sie besonders gerne zum Einschlafen ab.
Ganz fremd ist mir das allerdings nicht. Ich mag es auch gern, besonders in der Advents- und Weihnachtszeit, die ewig gleichen Geschichten zu hören. Ich kann fast sicher sein, dabei jedes Jahr wieder das selbe Phänomen zu erleben, nämlich wie sich unwillkürlich eine Vielzahl intensiver Gefühle einstellt. Mit ihnen stehen die ganz großen Themen im Raum – die Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Ruhe und Frieden, nach Gerechtigkeit und vor allem danach, dass es endlich einmal stimmt, was oft gesagt wird: „Alles gut!“
Biblisch haben wir das der Kindheitserzählung bei Lukas und Matthäus zu verdanken, was sich so wunderbar vermischt in vielen Krippendarstellungen. Alles ist da, die Krippe mit der Heiligen Familie, Ochse, Esel, die Hirten, der Stern, die drei Weisen, die Engelschar. Alles gut!
Wirklich? Vielleicht für einen Moment – für diesen Augenblick, wo unsere Seele berührt ist in ihrem Bedürfnis nach heil sein; wo es einfach gut tut, sich mit diesem friedlichen Strahlen zu verbinden; wo es hilft, wieder an eine Hoffnung anzuknüpfen, die sich seit Menschengedenken mit diesem neugeborenen Kind verbindet – Gott ist in der Welt und jedem von uns nah. Einen Augenblick in Ruhe und Frieden aufatmen …
Aber wie alltagstauglich ist dieser Augenblick? Trägt er mich auch, wenn die ganze warme und strahlende Heimeligkeit wieder gut verpackt auf den Dachboden wandert?
“Menschwerdung Gottes ist nicht ein Idyll, sondern ein Skandal: Gott begegnet uns in der Niedrigkeit eines Kindes.“ Mit diesen Worten Klaus Hemmerles, des früheren Bischofs von Aachen, sind wir wieder mitten drin in der Lebensrealität, zur Zeit Jesu wie auch unserer heute.
Die Evangelien der Adventssonntage folgen zunächst der männlichen Spur. Sie deutet durchaus Skandalträchtiges an, wenn Jesus zur Wachsamkeit aufruft gegenüber seiner Herrschaft, die mit Macht in unser Leben hereinbricht (Mt24,42-44). Und wenn Johannes wegbereitend zur Umkehr mahnt und Taufe, denen aber, die sich verweigern, das Gericht androht (Mt3,1-12). Das lässt Umsturz vermuten; heilsgeschichtlich ersehnt, aber für den Alltag sicher auch verstörend und ungewiss.
Zuletzt hören wir von Josef (Mt1,18-24), der mit Maria ein ganz normales, traditionelles Leben geplant und mit der Verlobung längst besiegelt hat. Eine solche Verbindung war einer Ehe nahezu gleichgesetzt und konnte nicht so einfach gelöst werden. Und nun das – da geht eine Veränderung in einer erwachsen werdenden Frau vor, zu der der Mann keinen Zugang bekommt!
Josef nimmt dieses Wachsen von außen wahr, ist zutiefst verunsichert, kennt vermutlich seine Frau nicht wieder, hat vielleicht sogar Angst, versteht nicht.
In dieser Situation zieht er sich zurück, braucht ganz offensichtlich Zeit, um sich zu sortieren.
Folgen wir der weiblichen Spur, ist der Skandal auch nicht erst mit der Geburt des Kindes in der Welt.
Mit Maria erleben wir, wie sie aus ihrer traditionellen Rolle herauswächst (Lk1,26-38). Irgendetwas hat sie tief in sich gespürt, dass ein „weiter so“ für ein erfülltes Leben nicht ausreicht. Begleitet und ermutigt von der Botschaft des Engels gibt sie dieser ganz neuen Qualität von Lebendigkeit in sich Raum.
Sie lässt das Wachsen zu, versucht eine bislang unerhörte Herausforderung in sich zusammenzubringen: ihre menschliche Sicht auf das Leben mit dem Anspruch und dem Rufen Gottes mitten hinein in ihre Welt.
Um damit nicht allein zu bleiben, macht sie sich auf den Weg zu Elisabeth, sucht bei ihr Verstehen und Solidarität. Ja, auch die Ältere war erfüllt von einem inneren Wachsen. Dieses Wissen verbindet, und so entdecken die beiden Frauen gemeinsam ihre prophetische Kraft. Laut singen sie, mutig und klar das Lied von Gottes zugewandter Liebe zu uns Menschen, die uns groß werden lässt und stark macht für das Leben (Lk1,42-55).
Gefestigt in ihrem Auftrag kehrt Maria zu Josef zurück. Offensichtlich hat auch ihn diese neue Lebendigkeit erfasst: Mit einem Engel an der Seite entscheidet er sich noch einmal neu für seine Frau, nimmt Maria in ihrem inneren Reifen an und unterstützt sie auf seine Weise. Von nun an sind sie wieder gemeinsam unterwegs, bis das neue Leben danach drängt, von Maria geboren zu werden. Was für ein Grund zur Freude – jetzt ist Gottes Liebe als Kind in unserer Welt! In all seiner Bedürftigkeit wendet es sich uns zu; schutzlos und dennoch machtvoll, weil es uns zu einer Liebe anstiftet, die Kleines groß werden lässt.
Ein Skandal? Vielleicht, weil manches an unseren Überzeugungen rüttelt von Gottes Geburt, seiner Herrschaft, seiner Kirche, von Männern, Prophetischem und Frauen …
Aber auch eine große Hoffnung, deren Geheimnis wir Jahr für Jahr in den immer selben Überlieferungen zu verstehen suchen – manches erschließt sich erst mit einem Engel im Traum.
Von Martina Manegold-Strobach