Mehr als nur Heizungswärme
Die Caritas bietet mit Caricare im Stadtzentrum eine neue Anlaufstelle für Obdachlose. Das Einmalige: Neben einem Tagestreff werden dort Sozialberatung und ärztliche Versorgung geboten – und eine Küche.
Er liegt etwas versteckt in einem Hinterhof, der gleichwohl einen Straßennamen hat: Caricare, der neue, von der Caritas Hamburg betriebene Tagestreff für Obdachlose in der Altstädter Twiete. Unweit der Einkaufsmeilen in der Innenstadt, wo nun das Weihnachtsgeschäft anhebt und die Wohnungslosen wenigstens zu den Geschäftszeiten ihre Lager vor den Eingängen räumen müssen, bietet er an diesem kühlen Novembermorgen mehr als nur Heizungswärme, Tee oder Kaffee. Daher auch der Name Caricare, wie Jörg Spriewald, Leiter der Caritas in Hamburg, hervorhebt.
Es gibt Schließfächer, in denen die Obdachlosen ihre wenige Habe vor Diebstahl schützen können. Es gibt Räume für Sozialberatung, so dass sie gegebenenfalls auch Leistungsansprüche geltend machen können. Und es gibt eine Schwerpunktpraxis, in der auch Menschen ohne Krankenversicherung behandelt werden. Caricare sei für Betroffene ein Anlaufpunkt, an dem sie Kontakte pflegen und Angebote finden könnten, um persönliche Not zu überwinden, sagt Spriewald. Es sei wichtig, den Tagesaufenthalt mit sozialer und medizinischer Versorgung zu verknüpfen. „Die Brücke, dass die Menschen die Beratung annehmen, ist das Vertrauen.“
Mit diesem umfassenden Betreuungsangebot ist Caricare einmalig, zumindest in Hamburg. Kein Wunder, dass Caricare an diesem nassfeuchten Morgen schon nahe an seine Kapazitätsgrenze gekommen ist. „Das Angebot spricht sich rum, es kommen immer mehr“, berichtet Clara Hirt, Leiterin von Caricare.
40 bis 50 Menschen können sich hier an einfachen Tischen und auf einfachen Stühlen im Aufenthaltsraum versammeln. Einige hocken vor ihren Smartphones, einer auch am Tablet, andere unterhalten sich angeregt. Die Möglichkeit besteht schon seit Mitte August, nachdem die Räume, in denen einst die Redaktion der Straßenzeitung Hinz&Kunzt untergebracht war, renoviert und umgebaut worden waren. Offiziell hat Caricare aber erst vergangene Woche geöffnet.
In Hamburg gebe es bislang nur wenig Tagestreffs für Obdachlose, sagt Spriewald, der sich gleich mehrmals für die finanzielle Unterstützung bei der Stadt bedankt. Zu Beginn der Coronapandemie habe sich die Situation etwas entschärft, als die Stadt in der Markthalle am Klosterwall einen Tagesaufenthalt einrichtete. „Mit dem Auslaufen dieses Angebots landeten die Menschen wieder auf der Straße.“ Vollständig könne Caricare diesen Ausfall nicht kompensieren, aber doch einen Teil davon.
Insbesondere montags herrscht großer Andrang
Eine weitere Besonderheit: In den Räumen von Caricare gibt es auch eine Küche, in der sich Obdachlose selbst Mahlzeiten zubereiten können. Dort kocht Toni gerade für sich und seine Freunde. Pasta natürlich, den Toni ist Italiener, kommt aus Rom, und ist zudem gelernter Koch. Er lebe schon 13 Jahre in Hamburg, erzählt er. Zwischenzeitlich habe er auch Anstellungen gehabt, oft habe er aber auf der Straße gelebt. Für den Winter habe ihm die Caritas-Straßenvisite ein Zimmer in einem Hotel besorgt. Wenn er keine Arbeit finde, müsse er dann im April wieder auf die Platte. Dass er hier kochen könne, finde er natürlich gut.
Es gäbe ganz bewusst keine Essensausgabe, „die Küche ist Hilfe zur Selbsthilfe, sie gibt den Menschen das Gefühl der Handlungsfähigkeit“, erläutert Jörg Spriewald. „Sie sollen selbst die Lebensmittel einkaufen, sie zubereiten, selbst etwas gestalten – sie sollen Selbstverantwortung übernehmen“, sagt der Landesleiter der Caritas weiter.
Laut Christiana Kant, Leiterin des Caritas-Fachbereichs Existenzsicherung, gibt es derzeit rund 2 000 Obdachlose in Deutschlands zweitgrößter Stadt – Tendenz steigend. Die wenigsten davon lebten freiwillig auf der Straße. „Das größte Problem ist, dass es keinen Wohnraum gibt.“ Durch den Ukraine- Krieg und die vielen Schutzsuchenden sei die Situation noch einmal angespannter.
Laut Kant gibt es unter den Obdachlosen vor allem viele Osteuropäer wie Polen, Russen, Bulgaren und Rumänen. Viele von ihnen seien suchtkrank, litten unter psychischen Beschwerden oder Traumata. „Montags ist auch ein Psychologe da, dann gibt es den größten Andrang“, berichtet Frederik Bieberstein. Der 33-Jährige ist als Sozialberater bei Caricare tätig. Es gebe auch schon viele „Stammgäste“.
Die aktuellen Krisen und steigende Preise beschäftigen laut Christiana Kant die Obdachlosen dagegen in ihrem Alltag weniger. Die Lebensmittelversorgung für Bedürftige funktioniere gut in Hamburg. „Die Betroffenen haben ihre Strategien, um zu überleben.“
Im Caricare hat es sich unterdessen der 39-jährige Florian gemütlich gemacht. An einer Steckdose lädt er sein Mobiltelefon auf. „Ich nutze gerne die Möglichkeit, mir mal ein warmes Würstchen zu machen“, sagt er. Auch die Sozialberatung nehme er in Anspruch. Im Nebenraum sitzt Jose Manuel und geht seinem Hobby, dem Zeichnen, nach. Auch Theaterstücke habe er schon geschrieben. „Die Einrichtung kam mir von Anfang an sehr freundlich vor“, meint der 59-Jährige. Die Mitartbeiter seinen sehr aufmerksam, man kümmere sich um dem Menschen. Und nach einigem Zögern fügt er hinzu: „Nur ein Speisesaal fehlt noch.“
Mit Material von kna