Bundesweites Modellprojekt im Pflegebereich
Mehr Wertschätzung, mehr Zeit für die Patienten
Foto: Nikolai Wolff/St.-Joseph-Stift Bremen
Es kommt nicht oft vor, dass Güzide Kadah in der Pflege von positivem Stress spricht. Auf den geburtshilflichen Stationen, wo sie arbeitet, häufen sich gerade die Presseanfragen, es wird fotografiert und gefilmt. „Das ist schon ungewohnt für uns“, sagt die Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin. Aber es hat einen guten Grund, dass gefühlt ganz Deutschland auf das Bremer St.-Joseph-Stift schaut. In dem katholischen Krankenhaus startet ein auf vier Jahre angelegtes bundesweit einzigartiges Modellprojekt. Es heißt „Ich pflege wieder, weil ...“ und soll vor allem die Arbeitsbedingungen im Pflegebereich verbessern. Im günstigsten Fall, sagt Güzide Kadah, kommen Pflegekräfte, die ihren Job gewechselt haben, wieder zurück und können sich diejenigen, die in Teilzeit arbeiten, vorstellen, aufzustocken.
Güzide Kadah ist seit 15 Jahren am St.-Joseph-Stift tätig und studiert berufsbegleitend Gesundheits- und Sozialmanagement. Sie leitete die Integrative Wochenstation mit angeschlossener Neonatologischen Überwachungseinheit, bevor ihr Anfang Februar die Leitung des Modellprojekts übertragen wurde.
Sie sagt: „Ich brenne für die Geburtshilfe, weil ich Frauen, Neugeborene und Familien in der aufregenden Zeit der Schwangerschaft und Geburt begleiten kann.“ An ihrem Beruf schätzt sie die enge Bindung zu den Patientinnen und mag es, sie zu unterstützen. Auf den Stationen werden Neugeborene und Frühchen ab der 32. Woche und ab 1500 Gramm Körpergewicht versorgt.
Damit Kadah und ihr Team motiviert arbeiten können, „darf unsere eigene Gesundheit nicht auf der Strecke bleiben“, betont sie. „Wenn es uns gutgeht, geht es den Patientinnen noch besser.“ Der Mangel in der Pflege ist gravierend. Allein dem Land Bremen könnten bis zu 1500 berufserfahrene Pflegefachkräfte zusätzlich zur Verfügung stehen – wenn die Arbeitsbedingungen akzeptabel wären. Dafür zu sorgen, reizt Güzide Kadah. Das vom Bund ausgeschriebene Modellprojekt richtet sich speziell an Hebammen und Pflegepersonal, „also war uns schon bei der Bewerbung klar, mit welcher Abteilung wir an den Start gehen“.
Kadah bedauert, Eltern und Neugeborenen immer weniger gerecht werden zu können. Deutschlandweit gehen die Geburten zwar zurück, „dennoch sind wir eine geburtenstarke Klinik“, weil viele Menschen aus dem Umland kommen. „Wir haben ja nicht nur die Wöchnerinnen auf unseren Stationen, sondern auch Risikoschwangerschaften.“ Und: Wenn Personal ausfällt, müssen andere einspringen – oft und auch kurzfristig.
Selbst in den Pausen bleibt keine Zeit, um sich auszutauschen.
Sich auch mal Zeit zu nehmen für Sorgen und Ängste – „das war früher ein Teil unserer Arbeit“, sagt Güzide Kadah. Jetzt müssen wir Basiswissen innerhalb von drei Tagen vermitteln.“ Auch Mütter mit Kaiserschnitt werden mittlerweile schon nach vier Tagen entlassen. „Dafür kann der Krankenhausträger nichts“, erklärt Kadah. „Es ist ein politisches Grundproblem, dass die Fallpauschalen ein Zeitfenster nur für das medizinisch Notwendige haben.“ Das heißt: Nebendiagnosen spielen keine Rolle, und wenn eine Mutter nach vier Tagen noch unsicher ist und sich die Babypflege nicht zutraut, ist auch das nicht relevant. Somit, klagt sie, steige der Druck für Pflegekräfte und Ärzte.
Güzide Kadah und ihr Team haben sich viel vorgenommen. Das Modellprojekt im Kreißsaal und auf der Wöchnerinnenstation beginnt mit einer Onlinebefragung unter allen Mitarbeitern. „Wir wollen erst mal hören, welche Ideen und Wünsche es gibt. Danach werden wir Arbeitsgruppen bilden und konkret an der Personalbemessung arbeiten“, sagt Kadah.
Zudem soll ein Ausfallmanagement für zuverlässige Dienstpläne sorgen und zum Beispiel Bonuszahlungen garantieren. „Dass Kolleginnen und Kollegen im Krankheitsfall einspringen, darf nicht selbstverständlich sein.“ Ebenso geht es um eine wertschätzende Unternehmens- und Teamkultur. „Jeder kämpft für sich allein, und selbst in den Pausen bleibt keine Zeit, um sich auszutauschen. Aber genau da wollen wir wieder hin.“
Gefördert wird das Modellprojekt von der Politik. „Die Arbeitsbedingungen in der Pflege müssen sich nachhaltig bessern. Nur so können wir Pflegekräfte halten oder zurückgewinnen. Die Beschäftigten wünschen sich verlässliche Arbeitszeiten, mehr Wertschätzung und mehr Zeit, um sich angemessen um ihre Patienten kümmern zu können“, sagt Claudia Bernhard, Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz. Güzide Kadah hofft, dass von den Erkenntnissen aus Bremen andere Kliniken und Pflegeeinrichtungen profitieren.
Zur Sache
Mehr Zeit für gute Pflege, mehr Wertschätzung durch Vorgesetzte und verlässliche Arbeitszeiten – um dies zu erreichen, startete Anfang Februar das bundesweite Modellprojekt „Ich pflege wieder, weil ...“ auf den geburtshilflichen Stationen im Krankenhaus St.-Joseph-Stift in Bremen.
Mit besseren Arbeitsbedingungen sollen Pflegekräfte und Hebammen zurückgewonnen werden, die aus dem Beruf ausgestiegen sind oder die ihre bisherige Arbeitszeit aufstocken möchten.
Auf den Weg gebracht haben das Modellprojekt die Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz, die Senatorin für Arbeit, Soziales, Jugend und Integration und die Arbeitnehmerkammer Bremen.
Dafür stellt die Senatorin für Arbeit Landesmittel und Mittel des Europäischen Sozialfonds Plus in Höhe von bis zu 1,2 Millionen Euro zur Verfügung.
Umgesetzt wird das Projekt im Rahmen der Landesstrategie „Gendergerechtigkeit und Entgeltgleichheit“. Die Arbeitnehmerkammer Bremen finanziert die wissenschaftliche Begleitung.