Tag der Muttersprache
„Meine Sprache als Chance"
Eine Deutschpflicht für Migrantenfamilien wird immer wieder diskutiert. Sprachwissenschaftler raten jedoch dringend davon ab. Sie plädieren für das Sprechen der Muttersprache – und frühes Deutsch in der Kita. Wie das gelingen kann zeigt ein Beitrag zum „Tag der Muttersprache“ am 21. Februar.
Mit einigen Begriffen tut sich Aleksander* noch schwer. Vor allem die Grammatik macht dem Sechsjährigen zu schaffen: „Ich Mandarine aufheben“, sagt er lächelnd. Manuela Lambers hilft ihm: „Ja, du hebst die Mandarine auf“, spricht die Heilpädagogin deutlich. Aleksander lebt seit zwei Jahren mit seiner Familie in Deutschland. Sein Vater ist Fernfahrer, die Mutter viel mit dem Sohn allein. Deutsche Kontakte hat sie nur wenige.
Zu Hause wird bei Aleksander nur Polnisch gesprochen, seine Muttersprache. Die beherrscht er tadellos. Deutsch lernt der Junge vor allem in der Kindertagesstätte (Kita), die er seit einem Jahr besucht. Schnell hat er hier gelernt, sich zu verständigen. „Wenn Kinder in ihrer Mutterspache gefestigt sind und sie von Grund auf gelernt haben, fällt es ihnen leichter, eine zweite Sprache zu lernen“, erklärt Manuela Lambers. Als Sprachförderkraft arbeitet sie im Rahmen des Bundesprogramms „Sprachkitas“ in der Osnabrücker Lukas-Kindertagesstätte. Dass Aleksander zu Hause nur Polnisch spricht, ist für sie kein Problem. Im Gegenteil: Sie ermutigt die Eltern dazu. „Sie sollen in der Sprache stark sein, in der sie stark sind.“ Die Muttersprache sei für die Kinder die „Sprache des Herzens“, ein Teil ihrer Identität. „Sie bedeutet Sicherheit und Heimat. Wer sie beherrscht, kann oft leichter Deutsch lernen.“
Zum Beispiel in der Kita: Hier sorgen die Erzieherinnen ganz bewusst für viele Sprachanlässe: im Morgenkreis, beim Singen und Spielen oder bei den gemeinsamen Mahlzeiten. Für einen schnellen Spracherwerb sei es jedoch wichtig, dass der Kontakt zur Kita möglichst früh erfolge und die Kinder ausreichend lange, am besten ganztags, in der Einrichtung seien, um alle Angebote wahrnehmen zu können, betont Manuela Lambers.
Muttersprache bedeutet Sicherheit und Heimat
Die bedeutende Rolle der Muttersprache für den Erwerb einer zweiten Sprache ist auch unter Sprachwissenschaftlern seit Jahren unumstritten. Sie warnen sogar davor, dass Eltern, die Türkisch oder Arabisch sprechen, ihre Kinder auf Deutsch erziehen. „Sprechen die Eltern Deutsch nicht auf einem muttersprachlichen Niveau, vermitteln sie den Kindern ihren Akzent und ihre grammatikalischen Fehler“, betont Natalia Gagarina vom Berliner Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft. Solche Fehler wieder auszubügeln, sei schwer. „Zu Hause die Familiensprache, mit dem Umfeld, in der Kita oder in der Schule, richtiges Deutsch sprechen“, so lautet ihr Rat. Dabei sollten die Kinder möglichst schon vor dem zweiten Geburtstag mit der neuen Sprache in Kontakt zu kommen, da sprachliche Bildung besonders wirksam sei, wenn sie früh beginne.
Dass sich daher gerade Krippe und Kindergarten gut eignen, betont Gila Hoppenstedt. Die gelernte Lehrerin entwickelt seit 1998 Konzepte und Materialien zur Sprachförderung: „Wir erleben Kinder, die nach vier Monaten die deutsche Sprache alltagssprachlich korrekt beherrschen. Die Kindertagesstätten bieten hervorragende Rahmenbedingungen für den Spracherwerb.“ Im Handbuch „Meine Sprache als Chance“ gibt sie Hintergrundinformationen und Anregungen für die praktische Arbeit.
Um den anderssprachigen Familien das Gefühl zu geben, dass sie willkommen sind, hat sich Manuela Lambers mit den Erzieherinnen in ihrer Einrichtung so einiges überlegt: der Speiseplan wurde ebenso wie Funktionsräume mit Piktogrammen bebildert, ein interkultureller Kalender ist in Arbeit, Fähnchen in der Einrichtung zeigen, welche Landessprachen hier beheimatet sind, und am „Tag der Muttersprache“ wird es in diesem Jahr ein mehrsprachiges Vorleseangebot geben. „Wir wollen die Vielfalt und Mehrsprachigkeit wertschätzen und miteinander in Kontakt kommen. Nur so kann Integration gelingen“, betont die Fachkraft. Mehrsprachigkeit solle nicht als Benachteiligung sondern als Selbstverständlichkeit gesehen werden. Das sei auch eine wichtige Brücke zu den Eltern.
Auch „Mama lernt Deutsch“ im Kindergarten
Damit aber nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern Deutsch lernen, werden auch für sie Kurse angeboten – am besten direkt im Kindergarten, so wie zum Beispiel in der Kita „Arche Noah“ in Bersenbrück. Seit zwölf Jahren lernen hier Mütter im Kurs „Mama lernt Deutsch“ der Volkshochschule wichtige Inhalte für typische Alltagssituationen. Die Kinder werden in der „Arche Noah“ betreut. „Der Kurs wird sehr gut angenommen“, erzählt Leiterin Marianne Peukert. „Die Hemmschwelle ist niedrig, die Mütter kennen die Einrichtung, sie wissen die Kinder gut betreut und knüpfen hier wichtige Kontakte.“ Aus ihrer täglichen Arbeit weiß sie, wie bedeutend ein ausreichendes Sprachverständnis ist: „Es ist sonst schwer, Anschluss zu finden.“
Seit ihr Sohn in den Kindergarten geht, merkt auch Aleksanders Mutter, wie wichtig es für sie ist, die deutsche Sprache zu beherrschen. Derzeit besucht sie einen Sprachkurs und lernt eifrig Deutsch, damit sie wie ihr Sohn bald in Deutschland gut Fuß fassen kann – selbstbewusst zweisprachig. *Name geändert
Astrid Fleute