Mit der Stimme der Jugend
Das Pontifikalamt am 76. Jahrestag der Ermordung der vier Lübecker Märtyrer in der Propsteikirche Herz Jesu war ein besonderes, nicht nur der rockigen Klänge wegen. Erzbischof Heße durfte einen besonderen Gast aus der Eifel begrüßen.
Im Jahr des Heiles 1943, im elften Jahr, als der Verführer Gewalt über Deutschland hatte, am Abend des 10. November mussten die Kapläne Johannes Prassek, Hermann Lange und Eduard Müller ihr Leben hingeben unter dem Fallbeil, zu gleicher Stunde mit ihnen der evangelische Pastor Karl Friedrich Stellbrink, da er wie sie keinem anderen nachfolgen wollte als Christus.“ Es ist mucksmäuschenstill in der bis auf den letzten Platz gefüllten Propsteikirche Herz Jesu, als am vergangenen Sonntag um 18 Uhr, zur Todesstunde der Lübecker Märtyrer, dieser erste Satz aus den Lautsprechern dringt. 1955 hatte Giesela Maria Thoemmes, ehemals Religionsschülerin Johannes Prasseks, das Martyrologium als junge Frau verfasst. Nun ist es die 16-jährige Janne Wolf, die mit heller Stimme und doch fest in der Betonung den Text vorträgt. Es ist ein sehr emotionaler Moment an diesem Abend, der mit frischen Klängen und Rhythmen fast zur Gänze von der Birgitta-Band bestritten wird. Es sind ja die jungen Leute, denen es obliegt, das Gedenken an die Lübecker Märtyrer in die Zukunft weiterzutragen.
In der Predigt geht um christliche Grenzgänger
Janne Wolf bedeutet das Lesen des Textes „ganz schön viel“. Die Märtyrer hätten etwas gemacht, was sich von uns kaum jemand trauen würde, sagt sie später. „Sie haben ihr ganzes Leben dem Glauben hingegeben und das ist sehr bewundernswert.“
Erzbischof Stefan Heße setzt in seiner Predigt einen anderen Schwerpunkt und der hat mit der Öffnung der innerdeutschen Grenze zu tun. Er habe in diesen Tagen immer das Bild von der Berliner Mauer im Kopf, auf der die Menschen am Abend des 9. November 1989 saßen und fröhlich waren, sagt Heße. Er hat bereits am Tag zuvor im Ratzeburger Dom gemeinsam mit der evangelischen Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt einen ökumenischen Gedenkgottesdienst gefeiert, zu dem auch zahlreiche Politiker aus Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern gekommen waren.
In Herz Jesu zieht der Erzbischof Parallelen zwischen der Grenzöffnung vor 30 Jahren und der Grenzüberschreitung, wie sie die Lübecker Märtyrer am Tag ihrer Hinrichtung erfuhren. „Ich bin auf der Schwelle“, hatte Prassek in einem Brief geschrieben.
„Ich glaube, Prassek und die anderen drei haben sozusagen auf der Grenze ihres Lebens gesessen. Sie haben sich auf der Grenze ihres Lebens gefunden“, führt Heße aus. Man müsse sich vielleicht in die Geistlichen hineinmeditieren, um sie zu verstehen. „Sie sind auf der Schwelle. Und jeder von uns wird auf diese Schwelle kommen; keiner kommt daran vorbei. Diese Grenzerfahrung wird jeder von uns machen – machen dürfen, machen können, machen müssen.“ Christen seien aufgefordert, Grenzen zu überwinden. „Christen sind Grenzgänger zwischen der Zeit und der Ewigkeit“, so Heße. „Jede Eucharistie, jede Liturgie ist Grenzüberschreitung in positivem Sinne. Sie verbindet Himmel und Erde, sie verbindet Gott und die Menschen, sie verbindet Zeit und Ewigkeit.“ Das Bild von der Grenze sei eine Hilfe, um als Christen zu leben. Ab wann? „Sofort. Unverzüglich. Amen“, endet der Bischof und erntet dafür Gelächter und Applaus.
Kelchtuch und Korporale für die Gedenkstätte
Unter den Gottesdienstbesuchern sind an diesem Abend unter anderem Weihbischof Horst Eberlein, Alterzbischof Werner Thissen, Generalvikar Ansgar Thim sowie Pastorin Constanze Oldendorf von der Lutherkirche und weitere katholische und evangelische Geistliche. Als besonderer Gast ist die Benediktinerin Gertrudis Ehrtmann aus Bonn angereist, die vor der Gabenbereitung ein Korporale (liturgisches Tuch für den Altar), das Hermann Lange gehörte, sowie ein Kelchtuch aus dem Besitz Eduard Müllers an Erzbischof Heße übergibt. Beide Tücher waren zuletzt im Kloster Steinfeld verwahrt worden.
Vor dem Gottesdienst hatten Propst Christoph Giering, Dr. Ingaburgh Klatt sowie weitere Mitglieder des Arbeitskreises 10. November einen Kranz am Zeughaus niedergelegt. Angesichts von Tendenzen, die zwölf Jahre Nazi-Herrschaft zu bagatellisieren, seien die Märtyrer für uns heute „ein Beispiel, nicht weg-, sondern hinzuschauen und erkanntes Unrecht als solches zu benennen“, so Klatt in einer kurzen Ansprache.
Text u. Fotos: Marco Heinen