Phillip Mickenberger über sein Leben mit Krebs
Mit Jesus - egal wo
Im Advent richtet sich der Blick auf das Ende. „Bemüht euch darum, ohne Makel und Fehler in Frieden angetroffen zu werden“, wenn es so weit ist, heißt es in der Lesung. Genau das tut Philipp Mickenbecker auf eindrucksvolle Weise.
Von Susanne Haverkamp
Sie werden diesen jungen Mann nicht kennen. Ich würde ihn auch nicht kennen, wenn mein Sohn mir nicht von ihm erzählt hätte. Schon lange ist er Fan von den „Real Life Guys“, Philipp und Johannes Mickenbecker, Zwillinge, 23 Jahre jung, die auf Youtube Videos über das „real life“, das wahre Leben, machen. Und das hat mit Handwerk zu tun: eine Badewanne, die sie zum Flugobjekt, oder ein Blumentopf, den sie zur Tauchglocke umbauen; eine Riesenrutsche in den Gartenpool; eine selbst gebaute Achterbahn. Und zu den Bauarbeiten nehmen sie ihre Fans auf Youtube mit.
Weshalb ich darüber schreibe? Weil mein Sohn vor ein paar Wochen ein Buch haben wollte. Philipp Mickenbecker hat es geschrieben, aber er veröffentlicht darin keine lustigen Bauanleitungen, sondern sozusagen eine Anleitung für das Leben mit Gott. Und mit Krebs. „Wie ich Krebs bekam und Gott meine ganz schön dreiste Challenge annahm: Wenn es dich gibt, dann mach mich gesund.“
Philipp ist 16, als er nicht mehr richtig Luft bekommt. Die Diagnose: Hodgkin Lymphom, ein Tumor im Brustkorb. Die Chemotherapie war brutal, schreibt er in seinem Buch. „Extreme Übelkeit und Schwäche, krasseste Kopfschmerzen.“ Zuflucht suchte der Sohn frommer Eltern, für den sich der Glaube aber eigentlich erledigt hatte, auch in der Bibel. „Habt keine Angst, bei euch sind sogar die Haare auf dem Kopf gezählt.“ Dieser Satz hilft ihm, als die Haare ausfallen. Die Therapie ist erfolgreich. Nach einem Jahr gilt er als geheilt. Das Leben geht weiter, gemeinsam mit seinem Bruder startet er seinen Youtube-Kanal. „Und Gott“, schreibt er, „habe ich so gut wie vergessen.“
„Total irrationales Wunschdenken“
Viereinhalb Jahre später kommt das Lymphom zurück. Größer und schlimmer als zuvor. „Ich kann das nicht noch mal“, ist Philipps erster Gedanke. Und ein Gebet: „Gott, jetzt brauche ich ein Wunder.“ Und die Selbstkorrektur, „dass das total unrealistisch und total irrationales Wunschdenken ist“.
Die Qual geht von vorne los. Und es folgt ein neuer Einschlag. Elli, die Schwester der Zwillinge, kommt beim Absturz eines Sportflugzeugs ums Leben. Wie soll man die Kraft finden, das alles zu tragen? „Ich glaub’, ich weiß woher“, schreibt Philipp Mickenbecker. „Gott hat mir die Kraft gegeben, die erste Chemo durchzustehen, Gott hat mir die Kraft gegeben, dort am Absturzort einen klaren Kopf zu bewahren.“
Aber mit Philipps Gesundheit geht es weiter bergab. „Er hat die Blutwerte eines Sterbenden“, sagen die Ärzte, kurz bevor ein letztes Angebot eingeht: eine Studie mit einem neuen Medikament. Philipp macht mit, bricht aber wegen der Nebenwirkungen ab. Todesurteil, sagen die Ärzte. Doch der Tumor verhält sich anders als vorhergesagt, Philipp geht es besser und besser. Er kann sein Leben in vollem Umfang wieder aufnehmen. Für ihn hat Gott dieses Wunder vollbracht.
Deshalb entscheidet er sich dafür, auch über den Krebs und „die Sache mit Gott“ auf Youtube zu erzählen, denn „sie sind nun mal ein sehr großer und wichtiger Teil unseres Real Life“. Und er schreibt besagtes Buch darüber. Es erscheint im August 2020, seit fast zwei Jahren ist Philipp Mickenbecker gesund. Auf seine Zimmerwand hat er einen riesigen Adler gemalt. Mit einem Psalmvers daneben. „Alle, die ihre Hoffnung auf den Herrn setzen, bekommen neue Kraft. Sie sind wie Adler, denen mächtige Schwingen wachsen.“ Tolle Story, dachte ich, als ich das Buch zuklappte.
Anfang Oktober kommt mein Sohn ins Wohnzimmer. „Mama, das musst du dir ansehen. Ein neues Video der Real Life Guys. Philipp hat wieder Krebs. Die Ärzte geben ihm zwei Wochen bis zwei Monate.“ Jetzt, so scheint es, ist wirklich Ende. Mit 23 Jahren. Was macht ein junger Mann damit? Nun, er geht auf Reisen. Zwei Wochen Island mit Freunden. 18 Leute, ein kompletter Bus voll. „Freitag gebucht, Montag gefahren. Ein Wunder, dass das überhaupt geklappt hat“, sagt er im Video. Auf Island wollen die jungen Leute das wahre Leben genießen, ein letztes Mal zusammen. Wandern, in heißen Quellen baden, die Landschaft bewundern, feiern. Jedenfalls so weit es geht. Denn fit ist Philipp wahrlich nicht mehr.
Die Reise muss großartig gewesen sein – und voll von ganz unwahrscheinlichen Ereignissen, kleinen und großen. Philipp Mickenbecker bewegt am meisten, dass er Polarlichter gesehen hat, obwohl das „um diese Jahreszeit praktisch nie vorkommt“. Zufall, würden die meisten sagen, die Reisegruppe ist überzeugt: Gott war dabei. „Nach dieser Reise nicht mehr an Gott zu glauben, ist schwierig“, sagt ein Mitreisender, der vorher Skeptiker war.
Das letzte Video-Update stammt vom 23. November. „Aus medizinischer Sicht müsste es Ihnen eigentlich viel schlechter gehen“, habe der Arzt gesagt, erzählt Philipp Mickenbecker. Der Tumor und Wassereinlagerungen drückten aufs Herz. „Sie können jeden Moment tot umfallen“, so der Arzt, „aber ich weiß, dass dein Gott dich da durchträgt.“
Ich finde es unfassbar, mit welcher Gelassenheit ein 23-Jähriger mit dieser Situation umgeht. Mit welchem Vertrauen. „So wie ich in letzter Zeit Gott erlebt habe, weiß ich, dass es ein cooler Gott ist und kein langweiliger Gott und dass wir garantiert nicht in irgendeiner Wolke schweben und den ganzen Tag nur Däumchen drehen. Und dass es nach dem Leben noch ein wirklich lebenswertes Leben gibt, vielleicht sogar besser als hier auf der Erde“, sagt er in seinem Video.
Selten hat jemand die Mahnung aus der Lesung, in Frieden angetroffen zu werden, wenn es so weit ist, so gut umgesetzt. „Das gibt mir so einen krassen Frieden, weil ich weiß: Dieser Gott hat echt einen guten Plan mit mir“, sagt er. Und: „Für mich spielt es gar nicht mehr so die Rolle, ob ich auf der Erde noch weiter mit Jesus gehen kann oder ob ich zu ihm gehen werde.“ Jesus ist da. Das ist das wahre Leben.