Die Kraft der Kräuter
Mit Salbei und Kamille
Wer rechtzeitig einen Kräuterstrauß zusammengestellt hat, kann ihn am 15. August, dem Fest Mariä Himmelfahrt weihen lassen. Diese Tradition ist in Süddeutschland stärker verbreitet, aber die wohltuende Kraft von Kräutern entfaltet sich überall dort, wo es Heilkundige gibt.
Ob Salbeitee zum Gurgeln oder Kamilleblüten zum Inhalieren: Heilkundige Frauen haben auch früher schon Kräuter gesammelt und die Blätter oder Blüten für Tees, Kompressen oder Wundauflagen genutzt. Kritiker sagen, die Kirche habe das Fest Mariä Himmelfahrt am 15. August genutzt, um das Kräutersammeln in christliche Bahnen zu lenken. In vielen Gegenden Deutschlands etablierte sich der Brauch, an Mariä Himmelfahrt einen Kräuterstrauß zu binden und weihen zu lassen. Den Traditionen folgend, soll die Anzahl der Kräuter einer magischen Zahl folgen: Sieben (wie die Schöpfungstage) oder Neun (drei mal drei, entsprechend der Heiligen Dreifaltigkeit) oder Zwölf (die Zahl der Apostel). Wer noch mehr Kräuter findet, kann den Strauß erweitern, bis er 77 oder 99 Kräuter enthält.
Symbolische Bedeutung
Der Überlieferung nach gehören als Kernstücke eines Kräuterstraußes zu Mariä Himmelfahrt eine Rose und eine Lilie in die Mitte. Der Legende nach fanden diejenigen, die Marias Grab aufsuchten, ihr Grab leer, denn sie war in den Himmel aufgefahren, im Grab aber duftete es nach Rosen und Lilien. In manchen Gegenden steht die Rose für Maria, die Lilie symbolisiert ihren Mann Josef.
Weitere wichtige Kräuter im Büschel oder Kräuterbuschn sind demnach Rosmarin (soll zum guten Schlaf verhelfen), Salbei (steht für Wohlstand, Weisheit und Erfolg) und Wermut, der den Bewohnern des Hauses, Kraft, Mut und Schutz garantiert. Minze verspricht Gesundheit, Arnika schützt gegen Feuer und Hagel, die Kamille steht für Glück und Liebe und Getreide für das tägliche Brot.
Kräuter selbst suchen
Um einen solchen Strauß zusammenzustellen, muss man dort, wo extensiv Landwirtschaft betrieben wird, manchmal lange suchen. Die echte Kamille beispielsweise wächst eigentlich im Getreidefeld, aber nur, wenn nicht gespritzt wurde. Genügend schöne Kräuter finde man heutzutage auf naturbelassenen Wiesen, sagt die Agraringenieurin Inge Uetrecht aus Stemswede, die als Kräuterfrau vom Stemweder Berg in der Region Naturpark Dümmer in Niedersachsen Kräuterführungen anbietet. Naturbelassene Wiesen werden manchmal von Naturschützern extra angelegt.
Die meisten landwirtschaftlich genutzten Wiesen werden heutzutage aber vier- bis fünfmal gemäht, „da haben Kräuter gar keine Chance, hochzukommen“, so Uetrecht. Die Kräuter zu sammeln, während das Vieh noch auf der Wiese steht, sei wegen der Verschmutzungen auch keine gute Idee. Es bleibe der Blick an den Feld- oder Wegesrand, wo aber nicht alles wächst: Die Kamille vom Wegesrand sei meistens die Hundskamille, nicht die echte.
Verschiedene klimatische Bedingungen sind ein Grund, warum sich nicht überall die Kräuter finden lassen, die in Süddeutschland traditionell für das Mariä-Himmelfahrts-Sträußchen verwendet werden. Arnika beispielsweise sei ein Kraut, das auf Bergwiesen vorkomme, so Inge Uetrecht, im Norden finde man es nicht. Viele Kräuter blühen laut Uetrecht Mitte August auch gar nicht mehr, denn der Beginn des Frühjahrs habe sich im Laufe der Jahrzehnte nach vorne geschoben. Die Getreideernte ist Mitte August oft schon beendet, vom Stoppelfeld lässt sich kein blühendes Getreide mehr pflücken. So muss man für den Kräuterstrauß einfach das pflücken, was vorhanden ist. Bei manchen Kräutern kann man auf den Garten ausweichen.
Gartenpflanzen nutzen
Rosmarin, Salbei und Minze haben viele Menschen im Garten oder in einem Kübel auf ihrer Terrasse oder dem Balkon. „Es muss ja nicht gleich eine Kräuterspirale sein“, meint Uetrecht, ein einfaches Beet sei zweckmäßig. Alle zehn Jahre sollte man es erneuern beziehungsweise einen anderen Standort suchen, denn die Kräuter laugen den Boden aus. Auch Rosen, die im Kräuterstrauß Maria symbolisieren, haben viele Menschen selbst im Garten und eigentlich finde sich immer eine, die noch blüht, meint Uetrecht. Lilien seien früher in den Bauerngärten weit verbreitet gewesen, und zwar die klassische Madonnenlilie.
Kräuter selbst anzubauen, lohnt sich nicht nur wegen des Himmelfahrtsstraußes: Rosmarinzweige werden gerne beim Braten von Fleischgerichten oder für mediterran zubereitete Rosmarinkartoffeln (im Backofen) verwendet. Salbei und Minze sind Klassiker für die Zubereitung von Tees. Salbeitee dient zum Gurgeln bei Halsweh, dafür werden die Blätter genommen. Minzblätter im Krug können Leitungswasser einen frischen Geschmack verleihen, heiß aufgegossen, geben sie einen schönen Tee. Minze gebe es in vielen Sorten, sagt Uetrecht, zum Beispiel marokkanische Minze, Pfefferminze oder Wasserminze.
Stichwort Wermut
Wermut sei früher eine echte Wegesrandpflanze gewesen, heute finde man sie in vielen Gärten, sagt Kräuterfachfrau Uetrecht. Wermut wurde früher für die Herstellung von hochprozentigem Absinth verwendet und findet sich aufgrund der Bitterstoffe heute in einigen Kräuterschnäpsen. Dem Wermut ähnlich ist der Beifuß, den man in Feld und Flur findet. Beifuß sei inzwischen weit verbreitet, er wächst überall, wo die Böden stickstoffhaltig sind. Als Küchenkraut wird Beifuß zum Würzen von fetten Speisen verwendet, zum Beispiel für einen Gänsebraten; aufgrund der starken Bitterstoffe sei er gut für Galle und Bauchspeicheldrüse.
Stichwort Kamille
Die echte Kamille eignet sich für Kamillentee, den man warm trinken kann oder kalt für Kompressen verwendet, zum Beispiel, um ein entzündetes Augenlid zu beruhigen. Man pflückt die Blütenköpfchen und trocknet sie auf einem Leintuch. Um die echte Kamille von der Hundskamille zu unterscheiden, kann man sich die Blütenstände anschauen. Die gelben Blütenköpfchen der echten Kamille, die von den weißen Zungenblättern umrahmt werden, sind innen hohl, die Blütenköpfe der Hundskamille dagegen sind gefüllt. Aufschluss kann laut Uetrecht auch der Geruchstest geben: Die Hundskamille rieche nur schwach, die echte Kamille, die es zu ernten lohne, rieche so intensiv wie Kamillentee.
Stichwort Spitzwegerich
Den Spitzwegerich findet man, wie der Name schon sagt, am Wegesrand. Er ist „das Pflaster für unterwegs“, so Uetrecht. Wenn man sich verletzt hat, könne man ein grünes Blatt des Spitzwegerichs nehmen und in den Händen weichrollen, solange, bis eine Flüssigkeit auftritt. Diese hat eine aseptische Wirkung. Man tupft die Wunde damit ab oder legt das Blatt wie ein Pflaster über die Blase oderSchramme. Auch bei Insektenstichen helfe der Spitzwegerich gut.
Der richtige Zeitpunkt
Wenn man die Kräuter aufgrund ihrer Heilwirkung ernten möchte, sollte man das tagsüber tun, „am besten zwischen 12 und 14 Uhr, wenn die Sonne scheint“, sagt Inge Uetrecht: dann sei der Gehalt an ätherischen Ölen in der Pflanze am höchsten, gegen Abend hin nehme er wieder ab.
Andrea Kolhoff