Anstoß 02/21
Mutig
Ich sitze an unserem großen Esstisch im Wohnzimmer. Er ist so groß, dass auf ihm viele Blätter, Aktenordner und Bücher Platz haben. Sogar die dickbauchige Vase mit dem Tannengrün und je nach Gusto auch die Kaffee- oder Teetasse.
Coronabedingt mutiert der Tisch für einige Stunden am Tag zu meinem Büro. Homeoffice.
Ich sitze also an unserem großen Esstisch, vor mir mein Laptop. Ein reinweißes Word-Dokument strahlt mich vom Display auffordernd an, endlich mit dem Schreiben zu beginnen. Schließlich gibt es Abgabetermine. Das Dilemma ist: Ich weiß nicht, was ich schreiben soll. So leer wie das Word-Dokument, so leer ist mein Kopf. Mein Herz schlägt bis zum Hals, denn die Rubrik, unter der mein Beitrag erscheinen soll, trägt den anspruchsvollen Titel: Anstoß.
Ein Anstoß bewegt in der Regel etwas, naja, wenigstens möchte er das. Danach sieht es aber gerade nicht aus. Mein Sohn versucht sich derweil in seinem Zimmer am Akkordeon, welches er zu Weihnachten geschenkt bekam (Liebes Christkind, Danke!). Er geht wie so viele andere schulpflichtigen Kinder gerade nicht in die Schule. (Unliebsames Corona, Danke!) Seine nicht vorhandenen Akkordeonkünste ergänzt er lauthals mit der musikalischen Frage, ob denn der alte Holzmichl noch lebt. Jaa, jaaaa, er lebt noch, er lebt noch, er lebt noch... nur ich gleich nicht mehr.
Da fällt mein Blick auf die letzte Kalendergeschichte (ich hab da so einen ganz tollen Sonntagskalender*). Ihr Titel: Mut. Es geht darum, dass Gott Ausbruchspläne schmiedet und mich gern dabei hätte. Ich natürlich bestens ausgerüstet mit Softshelljacke und Schweizer Taschenmesser. Man weiß ja nie. Gott meint: „Zum Glück“. Und während ich für mehr Planung plädiere und mich frage, wohin wir gehen, was wir essen und ob es gefährlich wird, meint Gott, dass Ausbrüche immer gefährlich sind, wirkt dabei aber sehr entspannt. Zu dieser Geschichte gibt es nun einige Handlungsmöglichkeiten, zum Beispiel erstens: Ich stecke das Taschenmesser doch lieber ein. Zweitens: Ich bin ebenfalls entspannt – vom Höchsten lernen, heißt siegen lernen. Drittens: Ich blase die Sache ab. Sicher ist sicher.
So, fertig. Nun ist er doch zustande gekommen, mein Beitrag. Ich hoffe, er stößt (etwas) an.
Andrea Wilke, Erfurt
*Matthias Lemme/Susanne Niemeyer, Luft nach oben. Der Sonntagskalender 2021