Sommerserie 2020 - Teil 2
Naturidylle im Seitental der Lahn
Mit der Kirchenzeitung geht es in einen „Tierischen Sommer“. Zweite Station ist der Naturpark Nassau. Mitten drin liegt der Wild- und Freizeitpark Gackenbach. Hier sind alle bedeutenden einheimischen Wildarten zu Hause, aber auch Bären, Wisente und Alpakas. Und Paul und Pauline. Von Heike Kaiser.
Pauline schaut mich erwartungsvoll an mit ihren großen dunklen Augen. „Komm, streichle mich!“, scheinen sie zu sagen. Aber das darf ich nicht. Und füttern auch nicht. Wegen Corona. Aber zum Glück ist der Betreiber des Wild- und Freizeitparks Westerwald, Peter Opitz, an meiner Seite, und der darf das. Freudig wird er von der schönen Eselsdame begrüßt, als er ihr ein Leckerli gibt und ihr liebevoll übers Fell streicht. Sofort kommen ein paar Ziegen angerannt und buhlen um die Aufmerksamkeit des gelernten Tierpflegers. Nur Paul, der Gefährte Paulines, lässt sich von unseren Zurufen nicht beeindrucken und grast weiterhin seelenruhig einige Meter entfernt auf der Streichelwiese des Wild- und Freizeitparks.
Esel sind langlebiger als Pferde, sie können über 40 Jahre alt werden. Paul und Pauline sind schon seit 30 Jahren hier in Gackenbach. Peter Opitz hat sie seinerzeit von einem Wildhändler aus Griechenland gekauft. „Sie sind so genannte Müller-Esel, haben vor der zunehmenden Motorisierung Getreide zur Mühle getragen und das fertige Mehl wieder zurückgebracht“, erläutert Opitz, den es von Hamburg in den Westerwald verschlagen hat. Seit fast 35 Jahren betreibt er nun den Tierpark.
Das Reiten auf einem Esel war in biblischen Zeiten ein Symbol für Vornehmheit
Anders als ihre biblischen Verwandten haben allerdings weder Paul noch Pauline bislang eine große Rolle bei Palmprozessionen gespielt. „Das liegt daran, dass nichts und niemand die beiden dazu bringt, in einen Hänger zu steigen“, erläutert Opitz schmunzelnd. „Sie kriegen weder Paul noch Pauline dazu, auf diesem Weg den Wildpark zu verlassen“, sagt er und schüttelt dabei amüsiert den Kopf. „Sogar wenn Paul eine Eselin decken soll, funktioniert das nicht. Die Dame muss sich dann wohl oder übel hierher bewegen.“ Mit seiner Gefährtin Pauline hat Paul vier Junge. „Wir haben sie in der heimischen Region in gute Hände abgegeben“, sagt Peter Opitz.
In der Bibel ist der Esel das Last-, Zug- und Reittier schlechthin. Das Reiten auf einem Esel war in biblischer Zeit kein Zeichen von Armut oder Einfachheit, es war ganz im Gegenteil ein Symbol für Vornehmheit. Und Jesus selbst führte die Palmprozession nach Jerusalem reitend auf einem Esel an.
Die Geschichte und biblische Bedeutung ihrer Vorfahren scheinen Paul und Pauline nicht allzusehr zu beeindrucken. Vielmehr warten sie, leider zurzeit vergeblich, auf die vielen Kinder, die – vor Corona – sonst Tag für Tag auf die Streichelwiese stürmten, um sie zu streicheln und zu füttern. „Die Esel vermissen die Kinder wirklich sehr“, sagt Peter Opitz, „und von vielen Kindern weiß ich, dass Paul und Pauline ihre Lieblingstiere im Park sind und dass sie sich ebenfalls nach ihrer Gesellschaft sehnen.“ Auch wenn Eseln Dummheit und Sturheit unterstellt werden, sind sie doch gutmütige und treue Tiere, und schlau sind sie auch noch. Das jedenfalls beweist Paul anschaulich: Er weiß, dass es für ihn nichts zu holen gibt, also frisst er lieber gemütlich weiter und lässt sich von dem geschäftigen Treiben am Zaun, wo sich Pauline und die Ziegen um Paul Opitz scharen, nicht aus der Ruhe bringen.
Esel und die Ziegen machen jedoch nur einen Bruchteil der Tierarten aus, die im Wild- und Freizeitpark in Gackenbach leben. Auf dem 64 Hektar großen Gelände lassen sich unter anderem Alpakas, Damwild, Hühner, Kaninchen, Pommerngänse, Rotwild und Sikawild sowie Vierhornschafe beobachten, außerdem Waschbären, Wisente, Wildschweine, Mufflons – und die zwei Braunbären Sally (geboren 1995) und Purzel (geboren 1998). Sie sind die Hauptattraktion des Parks, Besucher kommen ihnen auf einem gut präparierten Waldweg in ihrem großzügigen Freigehege ganz nah. Die Bären sind – neben den Wildschweinen – die Lieblingstiere von Peter Opitz. Zwei Wildschwein-Babys, Leni und Ernie, haben er und seine Mitarbeiter sogar selbst mit der Flasche aufgezogen.
Die vielen Familien mit Kindern und Bollerwagen, die bei meiner Ankunft geduldig in einer Schlange vor dem Kassenhäuschen standen, haben sich bereits auf dem großen Gelände so verteilt, dass ich fast völlig allein auf einem der Rundwege durch den Park unterwegs bin. Nur Vogelgezwitscher ist zu hören, zu meiner Rechten fließt ein kleines Bächlein: Idyllischer geht’s nicht. Hin und wieder mache ich eine kleine Pause, setze mich auf eine Bank und lasse meinen Blick über den Naturpark Nassau schweifen. Gackenbach liegt im Gelbachtal, einem der romantischsten Seitentäler der Lahn. Bis Köln sind es 86 Kilometer, bis Wiesbaden 56 Kilometer, bis Koblenz 34 Kilometer. Gießen ist 56 Kilometer entfernt, Limburg etwa 20 Kilometer. Schon die Fahrt hierher war Entspannung pur, vorbei an Eppenrod und Isselbach. Eine Strecke, die besonders im Sommer bei Motorrad-Fahrern sehr beliebt ist. Das Familienferiendorf Hübingen, der Wallfahrtsort Wirzenborn und die Jugendbegegnungsstätte Karlsheim in Kirchähr liegen ganz in der Nähe.
Auf zwei Rundwegen geht es mitten in der Natur vorbei an Rehen und Alpakas
Ich setze meinen Weg fort, komme vorbei an der Sommerrodelbahn, der Bergstation, dem Grillplatz und dem Spielpark, die zu Zeiten von Corona leider geschlossen bleiben müssen. Sally und Purzel, die beiden Bären, bewegen sich gerade ganz dicht an der Sicherheitabsperrung, ich beobachte sie eine Zeitlang bei ihren drolligen Spielen. Wildschweine sehe ich heute leider keine: Es ist heiß geworden, und sie haben sich vermutlich ins Dickicht zurückgezogen.
In Gedanken versunken gehe ich weiter, als etwa 50 Meter von mir entfernt zwei Rehe aus dem Wald kommen und plötzlich stehen bleiben. Wie schön! Einen Moment lang schauen sie mich an, dann sind sie wieder genau so schnell verschwunden, wie sie gekommen sind. Schade, ich hätte sie gerne eine Weile länger in freier Wildbahn beobachtet.
Ein kleiner Abstecher noch zu den Alpakas, die sich gerade an den Blättern eines Baumes gütlich tun, dann ist der kürzere der beiden Rundwege, für den ich mich entschieden habe, auch schon zu Ende. Von Weitem kann ich zum Abschied noch einen Blick auf die Streichelwiese werfen: Paul hat sich noch immer nicht aus der Ruhe bringen lassen, er grast friedlich weiter. Und Pauline steht am Zaun und wartet. Auf die Kinder, die sie hoffentlich bald wieder streicheln dürfen.
Wild- und Freizeitpark Westerwald, Wildparkstraße 1, 56412 Gackenbach, Telefon 06439/233, Internet: www.wild-freizeitpark-westerwald.de