Etwas andere Bistumswallfahrt auf der Huysburg
„Neu sehen, hören und gehen“
Während in gleichzeitig vorgetragenen Texten von Gebundenheiten und Einschränkungen des Lebens durch Krankheit, Druck im Beruf, die Herausforderungen neuer Medien, durch eigene Emotionen oder Trauer die Rede war, zeigten zwei Mitarbeiter der Jugendpastoral (rechts im Bild) pantomimisch, was es heißt, davon befreit zu werden und sich selbst zu öffnen. Fotos: Eckhard Pohl |
Ein Mensch, von Kopf bis Fuß eingewickelt in Leinenbinden. Gebunden, eingeschlossen, begrenzt. Fast ohne Kontakt zur Außenwelt. In sich und durch Äußeres gefangen. Wie tot. Wie ein Toter? Ein solcher Mensch stand zu Beginn des Wallfahrtsgottesdienstes allein mitten auf der Altarinsel. Bis eine andere Person, ein Mime? Ein Mitmensch? Gott? dazukam. Wach. Lebendig. Mitfühlend. Und begann, die Binden nach und nach zu lösen, den Menschen darunter zu befreien von aller Einengung und Verschlossenheit. So frei zu machen, dass sie, hier eine Frau, frei ihrer Wege gehen und sich selbst für andere öffnen kann.
Diese Pantomime zu Beginn der Wallfahrt habe gut nachempfinden lassen, dass sich heutige Menschen „oftmals gebunden, eingeengt, ja, irgendwie gefangen“ fühlen, sagte deutend Bischof Gerhard Feige in seiner Wallfahrtspredigt. „Vielleicht“, so der Bischof, „finden wir uns heutzutage sogar mehr und anders als Menschen früherer Zeiten in Situationen wieder, aus denen wir nicht herauszukommen scheinen, Situationen, in denen wir das Gefühl haben, etwas oder jemand beansprucht unsere Kraft und Aufmerksamkeit ganz und gar: Krankheiten, die unsere gesellschaftliche Teilhabe einschränken, äußerer oder selbst auferlegter Druck, dem wir nicht entkommen können, eine Vielzahl von Medien und immer neue Technik, zu deren Gebrauch wir uns verpflichtet fühlen …“
„Wer anderer Meinung ist, muss falsch liegen“
Zudem neige jeder auch dazu, „unangenehmen Kontakten und Meinungen ganz bewusst aus dem Weg zu gehen“ und den kleinen eigenen Erfahrungsbereich für das Ganze zu halten. „Wenn man … nur noch mit gleichgesinnten Menschen über ausgewählte Themen spricht und dabei völlig unumstrittene Antworten findet, scheint die Welt beherrschbar zu sein. Wer anderer Meinung ist, muss dann ganz einfach falsch liegen.“ Gesellschaftlich, politisch und auch kirchlich sei dies gerade sehr deutlich zu erleben, so der Bischof weiter: „Einzelne Gruppierungen, Machthabende und Regierungssysteme, die nur begrenzt Einfluss von außen zulassen und jede Form der Kritik im Keim ersticken, oder Christen und Christinnen, die an liebgewonnenen Strukturen und Traditionen festhalten und dabei in Kauf nehmen, dass die Kirche immer mehr den Bezug zur Welt und zu den Menschen verliert.“
Bischof Gerhard Feige rief die Wallfahrer dazu auf, sich den Herausforderungen des Lebens offen zu stellen. |
„Effata! Öffne Dich!“ – das Wort, das Jesus im Evangelium zu einem taubstummen Menschen spricht, sei „ein Wort, ein Zuspruch, auch eine Aufforderung, die konträr dazu steht, sich unfreiwillig oder auch gewollt zu verschließen und abzukapseln“, so der Bischof. „Aus seiner engen Beziehung mit Gott heraus“ habe Jesus dem Taubstummen helfen können, sich zu öffnen. Entsprechend gelte es, offen für Gottes Zuwendungen zu sein, sich von ihm „anrühren“ zu lassen, um „wieder neu sehen, hören, sprechen und gehen“ zu können.
Rund 400 Pilger, die sich im Vorfeld anmelden mussten, kamen bei schönem Wetter auf die Wallfahrtswiese. Nachdem die Bistumswallfahrt 2020 Pandemie bedingt ausfiel, konnte sie diesmal, wenn auch „anders als gewohnt“, wie es hieß, stattfinden: Ohne Zwischenprogramm und Abschlussandacht, mit begrenzter Teilnehmerzahl und nur privatem Picknick vor dem Reisesegen. Bischof Feige erinnerte an alle, die zur gleichen Zeit in den Gemeinden zur Eucharistiefeier versammelt waren.
Die Krisen, Katastrophen und Fragen dieser Tage kamen zu Beginn der Wallfahrt, aber auch in den Fürbitten zur Sprache: die Flutkatastrophen, die Feuer, Afghanistan, die Auswirkungen der Corona-Pandemie, die bevorstehenden Bundestagswahlen. Bischof Feige sprach „die dramatischen Herausforderungen in unserer Gesellschaft und in unserer Kirche“ an. Vieles sei „aus dem Gleichgewicht geraten“. Deshalb gelte umso mehr: „Verschließen wir uns nicht davor. Öffnen wir vielmehr unsere Augen für die unzähligen Nöte und Sorgen so vieler Menschen und lassen wir uns davon anrühren. Öffnen wir uns aber auch für den unbegreiflichen Gott, der uns selbst heilen will und uns sendet, zum Heil für andere zu werden.“
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Von Eckhard Pohl