Schmerzensgeldklage und Kritik an Woelkis PR-Strategie
Neue Probleme im Erzbistum Köln
Die Erzdiözese im Dauerstress: In diesen Tagen ist eine Klage auf Schmerzensgeld eingegangen. Zusätzlich sorgt ein internes PR-Papier für Wirbel.
Wohl zum ersten Mal in Deutschland verklagt ein Missbrauchsbetroffener ein katholisches Bistum auf Schmerzensgeld. Das Erzbistum Köln soll 725.000 Euro an einen Mann bezahlen, der in den 1970er-Jahren hunderte Male von einem mittlerweile verstorbenen Priester sexuell missbraucht worden sein soll. Die Klage lautet auf Amtspflichtverletzung durch Unterlassen. Will heißen: Die Vorgesetzten des Pfarrers sollen zu wenig unternommen haben, um ihn an weiteren Vergehen zu hindern.
Das Landgericht Köln bestätigte der Katholischen Nachrichten-Agentur den Eingang der Klage. Gleichzeitig muss sich die Bistumsleitung um Kardinal Rainer Maria Woelki wegen ihrer Kommunikationsstrategie in Sachen Missbrauchsaufarbeitung rechtfertigen - mal wieder.
Der "Kölner Stadt-Anzeiger" hatte über interne Unterlagen von PR-Beratern berichtet. Für deren Leistungen zahlten Woelki und sein damaliger Generalvikar Markus Hofmann Hunderttausende Euro. Laut Zeitung rieten die Fachleute dem Kardinal unter anderem, den Betroffenenbeirat des Erzbistums auf ihre Linie zu bringen, was einen angedachten Gutachter-Wechsel im Oktober 2020 anging. Die Fachleute sollen Tipps gegeben haben, wie dieses Ziel zu erreichen und die Betroffenen zu überzeugen seien.
Betroffenenbeirat fühlte sich überrumpelt
Offenbar war diese Taktik erfolgreich: Der Betroffenenbeirat stimmte öffentlich zu, ein bereits fertig gestelltes Missbrauchsgutachten nicht wie vorgesehen veröffentlichen zu lassen und stattdessen neue Gutachter zu beauftragen. Später verließen jedoch mehrere Mitglieder den Beirat. Sie hätten sich bei der Entscheidung zum Gutachter-Wechsel überrumpelt gefühlt, sagten einige.
Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, zeigt sich empört. Es sei anmaßend, Betroffene zur "Verfügungsmasse" zu degradieren und ihre Gremien "massivster Machtmanipulation" zu unterwerfen. Betroffenenvertreter Karl Haucke forderte Woelkis Rücktritt.
Die Berater des Erzbischofs hingegen verteidigten das Vorgehen. "Die Bedürfnisse des Betroffenenbeirats nach Transparenz und Konsequenz waren stets handlungsleitend für die von uns empfohlene Strategie", teilte Kommunikationsexperte Torsten Rössing mit. Die Stimme des Betroffenenbeirats sei gewichtig, ergänzte Medienanwalt Carsten Brennecke: "Hätte der Betroffenenbeirat gegen die Nichtveröffentlichung des WSW-Gutachtens gestimmt, dann wäre auch eine Neubewertung der Situation und Handlungen erfolgt."
Das Erzbistum selbst wollte sich zu den "vertraulichen Papieren" nicht äußern. Das zweite Mal innerhalb weniger Wochen geht es um die Eigendarstellung Woelkis im Zuge der Missbrauchsaufarbeitung. Im Juni hatte der Papst in einem Interview gesagt, dass er den Kardinal in der heißen Phase der Kölner Vertrauenskrise in eine Auszeit geschickt habe. Woelkis Darstellungen zum Anfang der Auszeit klangen hingegen so, als habe er sich selbst für die fünfmonatige Pause entschieden.
Franziskus erklärte zudem, er habe den Kardinal gebeten, ein Rücktrittsgesuch einzureichen. Auch das klang bei Woelki zunächst anders - auch wenn das Erzbistum die Aussagen des Kirchenoberhaupts und des Kardinals in beiden Fällen für vereinbar hält. Über den Amtsverzicht hat der Papst noch zu entscheiden, was er nicht unter Druck tun will.
Ob dieser Druck bald nachlässt und im Erzbistum Köln etwas Ruhe einkehrt, ist indes fraglich. Seit Monaten gibt es Unmut wegen der von Woelki unterstützten und von der Erzdiözese neu aufgebauten Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT). Kritiker sehen den Staatskirchenvertrag in Gefahr, weil an dieser Einrichtung auch angehende Geistliche des Erzbistums studieren. Zudem ist die Finanzierung der KHKT ungeklärt.
Keine konsequente Nachverfolgung
Und nun auch noch die Schmerzensgeldforderung. Der Fall des Klägers kommt im zweiten Missbrauchsgutachten für das Erzbistum, dem Gercke-Report, vor. Er liest sich wie viele andere Missbrauchsfälle: Hochrangige Kirchenvertreter erfahren von Vorwürfen gegen einen Priester. Der Mann wird klammheimlich aus der Gemeinde genommen - und ist nach einer kurzen Therapie wieder als Pfarrer tätig. Erst viele Jahre später untersagt die Kirche dem Beschuldigten die priesterlichen Dienste und übergibt die Akten an die Staatsanwaltschaft.
Die Gutachter kommen für diesen Fall zu dem Schluss, dass der frühere Kölner Erzbischof Joseph Höffner (1906-1987) sowie sein Generalvikar Norbert Feldhoff den Anschuldigungen nicht konsequent genug nachgingen und sich nicht genug um die Opfer kümmerten. Die Erzdiözese hätte Vorwürfe zudem früher an die Staatsanwaltschaft melden können. Solche Erkenntnisse könnten für ein anstehendes Schmerzensgeldverfahren von Belang sein. Und dieses könnte Schule machen und weitere Verfahren nach sich ziehen - nicht nur in Köln.
kna