Interview mit Bischof Dr. Heiner Wilmer

Nicht nur Kirchenkrise, sondern Glaubenskrise

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Bischof Heiner Wilmer hält den gerade begonnenen Synodalen Weg für eine notwendige Voraussetzung zur Erneuerung der Kirche in Deutschland. Im Gespräch mit der KiZ sagt er aber  auch: Strukturdebatten reichen nicht aus, es geht um eine Erneuerung im Glauben.


Bischof Heiner Wilmer hofft, dass vom Godehard-Jubiläum 2022
ein Ruck durch das Bistum ausgeht. 

Seit eineinhalb Jahren sind Sie Bischof von Hildesheim. Sie waren im Bistum unterwegs und haben mit Jungen und Alten gesprochen, Einrichtungen besucht, sich mit Gremien und Mitbrüdern beraten. Was sind Ihre Erkenntnisse?

Ich habe die Erkenntnis gewonnen, dass es im Bistum eine gute, geradezu offene Stimmung gibt. Ich habe Menschen getroffen, die etwas wollen, die ein großes Anliegen haben und die vom Glauben getragen werden. Es gibt ein großes Verlangen, das Evangelium zu leben und in einer Kirche beheimatet zu sein, die attraktiv ist.  

Was folgt daraus?

Ein erstes Ergebnis sind die sogenannten „Wegmarken“, die jetzt veröffentlicht wurden (siehe unten). Sie sind sozusagen mein Echo auf die vielen Gespräche, die ich geführt habe. Darin habe ich drei Schwerpunkte benannt: Herzensbildung, das heißt die Menschen stärken; Solidarität, bei den Menschen sein; Mission, was so viel bedeutet, wie den Glauben vorschlagen und feiern. Dabei führt uns das Bild der Emmaus-Jünger, die zweifeln, die fragen, die kritisch sind und Schulter an Schulter gehen. Dieses Bild passt sehr gut in die jetzige Zeit.

Das sind sehr grundsätzliche Überlegungen. Gibt es auch schon konkrete Planungen?

In jedem Fall möchte ich die lokale Kirchenentwicklung fortführen. Wir müssen grundsätzlich danach fragen, wie wir vor Ort Kirche sein wollen. Ich bin davon überzeugt, dass Menschen in ihrem Dorf oder ihrem Stadtviertel gemeinsam den Glauben leben und feiern wollen. Die große Frage ist, wie schaffen wir es, dass dies künftig möglich sein wird. Entscheidend ist die Frage, was die Menschen bewegt und wie wir im Dienst an den Menschen unterwegs sein können. Wo lachen und wo weinen wir miteinander, wo begleiten, wo trösten wir einander, wo ist die Kirche, wenn Menschen existenzielle Fragen haben – darauf kommt es an.

Ein Schwerpunkt der „Wegmarken“ ist die Verkündigung – auch unter Einbeziehung der modernen Kommunikationsmittel. Wie soll Letzteres aussehen?

Für mich ist die Art und Weise der Kommunikation ein Schlüssel der Verkündigung. Wir müssen heute die Medien für die Verkündigung nutzen und ich habe das in den zurückliegenden eineinhalb Jahren meiner Zeit als Bischof von Hildesheim auch bereits intensiv getan.  Künftig werden wir auch die digitalen Möglichkeiten noch stärker in den Blick nehmen müssen, um auch die Menschen zu erreichen, die wir mit den klassischen kirchlichen Angeboten nicht erreichen. Eine besondere Herausforderung ist es, medial auch bei der jungen Generation zu sein. Wir müssen darüber hinaus an den Stellen präsent sein, an denen Menschen nach konkreter Orientierung suchen, wie beispielsweise in der Schule oder in unseren zahlreichen caritativen Einrichtungen. Dieses müssen wir auch beim Personaleinsatz berücksichtigen. Ich möchte dabei aber nicht kurzatmig, sondern umsichtig vorgehen und die Verantwortungsträger vor Ort einbinden.

Herr Bischof, ein anderes Thema: der Synodale Weg. Insbesondere die Forderungen nach Aufhebung des Pflichtzölibats und der Priesterweihe von Frauen werden lauter. Zumindest bei der Frauenweihe gibt es eindeutige Festlegungen aus Rom, die von den letzten drei Päpsten bestätigt wurden. Sie haben mit Blick auf den Synodalen Weg gesagt: „Ein nur ‚Weiter so!’ ist ein Verrat am Evangelium.“ Werden da nicht Erwartungen geweckt, die nicht erfüllbar sind?

Ich sehe auch die Gefahr, dass es Erwartungen gibt, die am Ende nicht oder zumindest nicht so schnell erfüllt werden können. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass wir auch beim Thema Dienste und Rolle der Frauen in der Kirche weiterkommen. Wir sollten das Thema nicht auf die Priesterweihe für Frauen reduzieren. Es muss auch darum gehen, welche Verantwortungsbereiche künftig von Frauen in der Kirche besetzt werden können. Ich selbst habe eine Frau als persönliche Referentin und die künftige Finanzdirektorin des Bistums wird ebenfalls eine Frau sein, das sind beides Schlüsselpositionen. Auf diesem Weg müssen wir weitergehen. Am 2. Mai werden wir einen synodalen Tag mit 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmern haben, an dem wir uns spezifisch mit „frauenfragen. Neue Wege der Verkündigung im Bistum Hildesheim“ auseinandersetzen werden.

Der Synodale Weg beschäftigt sich mit vielen Themen, die nur weltkirchlich gelöst werden können. Was können wir im Bistum Hildesheim selbstständig umsetzen?

Wenn ich zum Beispiel auf das erste Forum des Synodalen Weges schaue, „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag“, dann haben wir hier sicher schon erste gute Schritte getan. Beispielsweise sind mehr als die Hälfte der Mitglieder des Vermögensverwaltungsrates externe Fachleute und stehen in keiner Abhängigkeit zum Bistum. Das heißt, dass der Bischof und der Generalvikar nicht einfach über die Finanzen und Immobilien des Bistums verfügen können, sondern an die Beschlüsse Dritter gebunden sind. Ein weiteres Beispiel sind lokale Leitungsteams, die in den Gemeinden selbstständig und eigenverantwortlich Führungsaufgaben übernehmen. In diese Richtung wollen und werden wir weitergehen.

Die Themen, die jetzt beim Synodalen Weg angesprochen werden, sind in der evangelischen Kirche längst umgesetzt: Es gibt verheiratete Pastoren, Frauenordination, Kirchenparlamente und eine andere Sexualmoral. Der evangelischen Kirche hat das aber nicht wirklich geholfen, sie steht, gemessen an Bindung und Austrittszahlen, weit schlechter da als die katholische. Diskutieren wir die falschen Themen?

Dazu habe ich eine ganz klare Meinung: Der Synodale Weg ist eine notwendige Bedingung zur Erneuerung der katholischen Kirche in Deutschland, aber er ist nicht hinreichend. Denn wir haben in Deutschland nicht nur eine Kirchenkrise, sondern eine Glaubenskrise. Es geht um die Frage des Glaubens, und diese Frage ist schwieriger als die Frage nach der Struktur. Nehmen Sie ein Bild aus der Welt des Fußballs. Sie können das Stadion erneuern, die Flutlichtanlage, den Rasen. Doch das nutzt nichts, wenn keiner mehr Fußball spielen will, wenn es niemanden mehr interessiert, wie das Runde ins Eckige kommt. Wer ist Gott für mich, brauche ich Jesus, was erhoffe ich mir, was passiert nach dem Tod – das sind die großen Themen. Und es fällt vielen Menschen schwer, darüber zu sprechen, übrigens auch uns Bischöfen. Dabei ist die Sehnsucht nach Spiritualität ungebrochen. Das ist ein Feld, dem wir uns definitiv stärker öffnen müssen.

Ein Thema, das die Menschen derzeit bewegt, ist der Klimawandel. Sie haben mehrfach Ihre Sympathie für die Fridays-for-Future-Bewegung geäußert. Sie selbst sind mittlerweile auf ein Hybrid-Auto umgestiegen. Wird das Bistum das Thema breiter angehen?

Definitiv. Wir müssen weiter daran arbeiten, wie wir verantwortlich mit der Schöpfung und unseren Ressourcen umgehen. Das Thema ist sehr breit, von der Mobilität über die energetische Gebäudesanierung bis hin zur ökologischen Ausrichtung unserer Veranstaltungen. Der Schlüssel ist für mich dabei das Papstschreiben Laudato si, das diese Themen sehr grundsätzlich aufgreift. Es gibt in den letzten 40 Jahren kein anderes päpstliches Schreiben, das außerhalb der katholischen Kirche so viel Beachtung gefunden hat.

2022 ist es 1000 Jahre her, dass Godehard zum Bischof von Hildesheim geweiht wurde. Was erwarten Sie von diesem Jubiläumsjahr?

Das Jubiläumsjahr ist für mich richtungsweisend. Ich erwarte mir, dass ein sanfter Ruck durch das Bistum geht, dass es zu einer spirituellen Erneuerung kommt, dass es Begeisterung und Neuaufbrüche gibt. Ich möchte, dass wir wieder mehr zu dem Bild kommen, dass wir als Christen pilgernde Nomaden sind und keine Sesshaften. Und ich hoffe auf eine größere Leichtigkeit im Umgang mit Strukturen und Positionen, in denen wir uns einzementiert haben.

Interview: Matthias Bode

 

Wegmarken

Herzensbildung
Menschen stärken

Wir unterstützen die Identitätsbildung und Persönlichkeitsentwicklung sowie das Glaubenswissen aller Christinnen und Christen in unserem Bistum, besonders durch geistliche und theologische Angebote. Wir stärken die Mitarbeitenden in der kompetenten Wahrnehmung ihrer Aufgaben und Dienste in der katholischen Kirche.

Solidarität
Bei den Menschen sein

Wir fördern eine Kultur der Achtsamkeit, um die existentiellen Nöte und Ängste sowie die Freude und Hoffnung der Menschen vor Ort wahrzunehmen. Wir fördern Initiativen und Einrichtungen, die Lebensraum-orientiert die Menschen vor Ort stärken. Wir setzen uns für eine starke Verbindung zwischen der verfassten Kirche und der Caritas ein.

Mission
Den Glauben vorschlagen und feiern

Wir fördern den Austausch über den Glauben, um das persönliche und gemeinsame Zeugnis zu stärken. Wir nutzen dafür neue Medien. Wir sorgen uns um eine qualitativ hochwertige Gestaltung der Liturgien und bieten Hilfen an. Wir stärken Getaufte und Gefirmte in ihren Verantwortungs- und Lebensbereichen.