Wunibald Müller über das Altwerden
Nur keine Angst!
Foto: imago/Roland Mühlanger
Mut braucht man schon. Das Alter kommt zwar von alleine, doch man muss sich ihm stellen, sagt Wunibald Müller. So hat er „Altwerden ist nichts für Feiglinge“ über das erste Kapitel geschrieben. Es geht dem Autor um die Schönheit der letzten großen Lebensphase und um den Tanz mit dem Tod, der nicht erst kurz vor dem Sterben beginnt. Traurig ist sein Buch aber nicht. Es handelt eher von den Schätzen dieser Zeit, wenn man sich dem Unausweichlichen stellt.
Müller ist Theologe und Psychotherapeut. Über 25 Jahre lang hat er das Recollectiohaus in Münsterschwarzach geleitet. Jetzt ist er 73 und will Menschen ermutigen, dem Alter „offen ins Gesicht zu schauen“, um die Angst davor zu verlieren und das Gute nicht zu verpassen, wie er sagt.
Wann Altwerden beginnt, ist sehr unterschiedlich. Sein Buch richtet sich an „Personen ab dem 65. Lebensjahr“; für ihn selbst hat eine Wende stattgefunden, als er 70 wurde. „Als ich noch 60 war, dachte ich mir, es steht noch ganz viel bevor. Jetzt merke ich, dass ich mein Leben eher vom Ende her sehe: Jeder Tag, den ich lebe, ist ein Tag weniger von meinem Budget“, erzählt er im Gespräch. Das Positive am Altwerden ist für ihn die größere Gelassenheit. „Uns wird klar, wie viel Lebensenergie wir dafür eingesetzt haben, um gut zu funktionieren, beruflich gut dazustehen, unsere Frau und unseren Mann zu stehen. Eine zentnerschwere Last fällt von uns, wenn wir uns das bewusst machen“, schreibt Müller.
Mit der Gelassenheit, dem Weniger an äußeren Aufgaben, kommen aber auch innere Fragen zum Vorschein. Ihnen sollte man sich nicht entziehen. „Ich habe das erste Mal um die 40 herum versucht, mich mit dem Thema Endlichkeit auseinanderzusetzen“, sagt Müller. Das habe dann mal mehr, mal weniger eine Rolle gespielt, aber „jetzt merke ich, dass ich diese Wende zum Altwerden auch innerlich vollziehe und mich meiner Endlichkeit und meines Todes bewusster werde.“
Und er war überrascht. „Ich dachte, ich könnte das cooler angehen“, gibt er zu. „Dieses Bewusstsein, dass ich auch immer mehr dem Ende entgegengehe, dass Menschen in meinem Alter sterben, dass ich immer wieder mit meiner Todesangst in Berührung komme, das hätte ich so nicht erwartet“, sagt Müller.
Doch dabei bleibt er nicht stehen. Er glaubt, die Erfahrung der Endlichkeit – und jetzt wird es schön – könne man mit einer Tür zu einer Schatzkammer vergleichen. „Was wir jetzt erleben, ist Leben in Fülle“, schreibt Müller. Spätestens im Alter wird es möglich, ohne Zeitdruck oder Verpflichtungen zu tun, was man möchte, oder zu verweilen, wo man möchte. Müller erzählt im Gespräch: „Ich koste mehr aus, was im Moment gerade ist.“ Zum Beispiel, wenn er mit dem Hund unterwegs ist. „Dann gehe ich durch die Felder, halte inne und schau die Blumen an.“
Dort ankommen, wo wir immer hinwollten
Genauso können alte Menschen Erfüllung darin finden, sich anderen Menschen zuwenden. Für Müller ist das Alter eine Einladung, weitherziger zu werden und für andere da zu sein. Wer seine Liebe nicht für sich behält, sondern in das Leben anderer Menschen einbringt, schreibt er, erfährt Vollendung im eigenen Leben und kann dort „ankommen, wo anzukommen wir ein Leben lang uns bemüht haben“.
Letztlich geht es um Beziehungen zu anderen Menschen, die nicht mehr so selbstverständlich vorhanden sind wie im Berufsleben, aber ebenso notwendig. Müller sagt, diese Erkenntnis sei ein Grund gewesen, das Buch zu schreiben, der Rat, „dass wir rechtzeitig damit beginnen, innige, tiefe Beziehungen zu anderen Menschen zu knüpfen, die uns im Alter erhalten bleiben“.
Wer realistisch auf die Herausforderungen des Altwerdens schaut, kann die Zeit zu seinem Nutzen gestalten. „Ich habe Menschen erlebt, die im Alter wirklich glücklich sind“, sagt Müller. Er kenne aber auch Menschen, die dachten, dass Altwerden nur ein Anhängsel ist. Er hält das für eine Fehleinschätzung; Altwerden hat für ihn „die gleiche Bedeutung wie die frühe Kindheit oder die Zeit im frühen Erwachsenenalter, wo es ganz bestimmte Aufgaben gibt, die ich bewerkstelligen muss“.
Wer sich den Aufgaben des Altwerdens nicht stellt, versäumt möglicherweise etwas. „Das wäre schade“, sagt Müller und wirbt dafür, das Alter nicht als Rest des Lebens zu betrachten, sondern als Zeit, in der viel passieren kann, in der Menschen das tun können, was sie schon immer wollten und ihrem Leben den Sinn geben können, den es haben soll. Zu spät, ein glücklicher Mensch zu werden, ist es also nie. Vielleicht ist das Alter sogar die beste Zeit dafür.
Wunibald Müller:
Von der Kunst des Altwerdens.
Herder.
160 Seiten,
20 Euro