Tag des Flüchtlings

Pfadfinder mit Spielmannszug

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Trommeln, Trompeten und Pfadfinder: Das gehört für Nairuz Abdou zusammen. Die syrisch-orthodoxe Christin hat mit ihrem Mann einen Spielmannszug gegründet und somit eine Tradition aus ihrer Heimat mit nach Bremen gebracht. Ein Beispiel zum Tag des Flüchtlings, der zeigt, wie Integration gelingen kann.


Der Spielmannszug des Pfadfinderstamms "Nordlicht" probt auf dem Schulhof der St.-Marien-Schule in Bremen-Walle. Foto: Anja Sabel

Weihnachtsliche Klänge im Spätsommer. Auf dem Schulhof der St.-Marien-Schule im Bremer Stadtteil Walle trommelt und trompetet der Spielmannszug des Pfadfinderstamms „Nordlicht“. Nach dem festlichen „Gloria in excelsis Deo“ geht es mit „Jingle Bells“ in die nächste Runde. Die große Trommel gibt den Takt vor. An einigen schiefen Tönen stört sich niemand. Aber jetzt wird wieder regelmäßig geprobt, sagt Nairuz Abdou und schaut zu ihrem 13-jährigen Sohn, der eine der Marschtrommeln schlägt. Sie strahlt übers ganze Gesicht, denn sie hat sich gewünscht, dass Emil in ihre Fußstapfen tritt. 

Pfadfinder und Musik – beides gehört für Nairuz Abdou zusammen. Sie selbst war etwa zwei Jahrzehnte lang Pfadfinderin in Syrien, und dort, sagt sie, habe jeder Stamm einen eigenen Spielmannszug, der in Gottesdiensten und an Feiertagen auftrete: am Palmsonntag, Karfreitag, zu Ostern oder Weihnachten. Nairuz Abdou und Youssef Wazir, orthodoxe Christen aus Aleppo, waren sich schnell einig, diese Tradition in Bremen fortzuführen. Seit drei Jahren leitet das Ehepaar den syrisch-deutschen Spielmannszug, dem sich mittlerweile rund 25 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene angeschlossen haben.

Musik ist das verbindende Element

Musikinstrumente sind teuer, deshalb standen die beiden Gründer anfangs vor einem Problem. „Zuerst haben wir mit Stäben auf Tischen getrommelt“, sagt Nairuz Abdou und lacht. Doch dann hatten sie Glück: Das syrische Konsulat finanzierte die ersten Trommeln und Trompeten, später spendeten verschiedene Pfadfinderstämme, und auch die Gemeinde St. Marien in Bremen unterstützte den Spielmannszug. Außerdem dürfen die jungen Musiker in der Kirche oder im Gemeindesaal üben – jetzt in Corona-Zeiten in der Turnhalle und auf dem Schulhof der Grundschule St. Marien. Gemeindereferent Boris Uroic, in Pfadfinderkluft, gibt die Instrumente aus. Und dann beginnt auch an diesem Samstag die Probestunde mit einem Vaterunser. 


Nairuz Abdou, hier mit Sohn Emil, leitet den syrisch-deutschen
Spielmannszug mit ihrem Mann. Foto: Anja Sabel

In Kirchenkreisen knüpfte Nairuz Abdou ihre ersten Kontakte. Musik war und ist das verbindende Element. Musik tröstet und macht es leichter, in der Fremde Fuß zu fassen. Dennoch packt die 38-Jährige manchmal das Heimweh. Seit fast zehn Jahren hat sie ihre Eltern, Geschwister und Freunde in Aleppo nicht mehr gesehen. 2012 verließ sie mit Mann und Sohn das bürgerkriegsgeplagte Syrien, lebte acht Monate im Libanon – bis es mit einem Visum für Deutschland klappte.

Per Flugzeug ging es nach München, von dort mit dem Zug weiter nach Bremen. Die kleine Familie lernte eifrig Deutsch. Schon drei Monate nach ihrer Ankunft unterschrieb Youssef Wazir einen Arbeitsvertrag in einem Dentalunternehmen. In Aleppo besaß der 44 Jahre alte Zahntechniker ein eigenes Labor. Auch Nairuz Abdou, studierte Wirtschaftswissenschaftlerin, hat längst eine Stelle gefunden: in der Bilanzbuchhaltung.  

Eine gemeinsame Leidenschaft ist neben dem Spielmannszug ein aramäischer Chor, den Youssef Wazir in Bremen-Nord gegründet hat. Dort gibt es eine orthodoxe Kirchengemeinde samt kleiner Schule. Mit Kirchenliedern und Volksliedern ist der Chor in Gottesdiensten und auf Konzerten zu hören und auch schon in der St.-Marien-Kirche aufgetreten. Aramäisch, die Sprache Jesu, pflegt Wazir mit Begeisterung. Er spricht die Umgangssprache, sein Bruder, Priester in Aleppo, hat die Hochsprache in Damaskus studiert. 

Harise am Lagerfeuer am Fest Mariä Himmelfahrt 

Auf dem Schulhof in Walle ist es inzwischen wieder ruhig geworden. Der Spielmannszug packt seine Instrumente ein. Indes schwärmt Nairuz Adou noch vom Auftritt am Fest Mariä Himmelfahrt, der „leider nicht live stattfinden konnte“, aber per Video übertragen wurde. Sie erzählt, dass Mariä Himmelfahrt ein besonderes Fest sei in der syrisch-orthodoxen Kirche. Immer verbunden mit einem Lagerfeuer – und Harise, einem Grieskuchen, der in arabischen Ländern sehr beliebt ist und vor dem Essen am Feuer gesegnet wird. 

„Ich finde es schön und bereichernd, dass wir auf Traditionen und christliche Feste noch einmal einen ganz anderen Blick werfen können“, sagt Gemeindereferent Boris Uroic. Beispielsweise habe man den Valentinstag in St. Marien einmal auf syrische Art gefeiert. Demnach gab es nicht nur Pärchentische, sondern auch Tische für Freunde – weil der Valentinstag in Syrien auch an die Liebe zu den Freunden erinnert.

Anja Sabel

 

Zur Sache

Der Tag des Flüchtlings findet in diesem Jahr am Sonntag, 26. September, statt. 2015 wurde er von der Deutschen Bischofskonferenz, der evangelischen Kirche und der Griechisch-Orthodoxen Metropolie ins Leben gerufen, um die Solidarität mit Flüchtlingen zum Ausdruck zu bringen. 

Der Tag des Flüchtlings schließt die Interkulturelle Woche (IKW) ab. Bundesweit finden Aktionen, Begegnungen, Diskussionen und Gottesdienste an diesem Aktionstag statt. Das Motto der IKW in diesem Jahr lautet „#offengeht“. Es steht für ein klares Plädoyer für eine offene Gesellschaft, in der die universellen Menschenrechte geachtet werden. 

Eine Familie aus Eritrea tauft ihr erstes Kind in Lingen - mit Emswasser. Mutter und Sohn aus Syrien helfen als Kulturdolmetscher in Meppen anderen Geflüchteten. Weitere Integrationsgeschichten lesen Sie im aktuellen Kirchenboten.