Letzte Jahrestagung des Aktionskreises Halle
Propheten gehen in Rente
Das Benediktinerkloster Huysburg war in den letzten Jahren Tagungsort für die Jahresversammlungen des Aktionskreises Halle. Auch nach dem offiziellen Ende des AKH ist geplant, hier weiter Treffen durchzuführen. Fotos: Norbert Perner |
Ein Kapitel ostdeutscher Kirchengeschichte ist jetzt auf der Huysburg zu Ende gegangen. Der „Aktionskreis Halle“ (AKH) hat 51 Jahre nach seiner Gründung seine Arbeit beendet. Unter dem Motto „Abschied und Resumee“ fand zum letzten Mal eine Jahrestagung der einzigen kirchenkritischen Bewegung Ostdeutschlands statt. Hauptgrund für die Auflösung ist die Überalterung der Mitglieder. Über eine Fortsetzung des Engagements wird noch beraten.
Unheilige Allianz von Staat und Kirche
Der AKH wurde 1970 von Priestern und Laien im Zuge der Aufbruchbewegung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gegründet. Er war und ist bis heute die einzige Gruppierung dieser Art im Osten Deutschlands. Forderungen nach der Wahl des Bischofs durch die Ortskirche gehören ebenso zur Agenda wie Bemühungen um innerkirchliche Pluralität und ökumenisches Engagement. Kritisch ging der AKH mit dem Konzept der „politischen Abstinenz“ der katholischen Kirche in der DDR um, denn deren Folge war, dass das gesellschaftliche Engagement der Katholiken bis in die 1980er Jahre stark eingeschränkt war.
Das Engagement des AKH gefiel weder kirchlichen Verantwortlichen noch den DDR-Mächtigen, was zu einer unheiligen Allianz von Kirchenleitung und SED-Staat führte. Aus Sicht der Kirchenleitung handelte es sich beim AKH nicht um eine kirchlich-katholische Vereinigung. Ohne diesen bischöflichen Schutz hatte die Stasi frei Hand, gegen unliebsame AKH-Mitglieder mit massiven Maßnahmen vorzugehen. Für den Kirchenhistoriker Sebastian Holzbrecher, der über die Geschichte des AKH promoviert hat und an der Tagung auf der Huysburg teilnahm, handelt es sich dabei um eines der „dunkelsten Kapitel der ostdeutschen Kirchengeschichte“. Erst 20 Jahre nach dem Ende der DDR widerfuhr dem AKH Gerechtigkeit. In einem Grußwort zum 40-jährigen Bestehen schrieb der Magdeburger Bischof Gerhard Feige: „Trotz alledem haben Sie sich nicht entmutigen lassen. Dafür sei Ihnen ausdrücklich gedankt. Ohne den AKH würde rückblickend die katholische Kirche in der DDR mit Sicherheit farbloser dastehen.“
Der Erfurter Kirchenhistoriker Josef Pilvousek (links) sprach über die Bedeutung des AKH für die ostdeutsche Kirchengeschichte (rechts AKH-Mitglied Joachim Garstecki). |
Nach der Deutschen Einheit änderten sich zwar die Themen, aber der AKH setzte sein Engagement fort. Die Friedensfrage, der schulische Religionsunterricht, die soziale Marktwirtschaft, Kirchenfinanzierung oder innerkirchliche Strukturprozesse sind nur einige der Themen, die auf der Tagesordnung der Jahrersversammlungen auf der Huysburg standen.
In dieser Zeit gab es auch verschiedene Versuche der Kooperation mit westlichen Gruppierungen und Bemühungen, den AKH zu verjüngen. Diese Anstrengungen sind gescheitert. „Jüngere Generationen haben inzwischen andere Themen und andere Netzwerke“, so AKH-Sprecherin Monika Doberschütz. Die meisten Mitglieder sind inzwischen jenseits ihres 70. Lebensjahres. In seiner persönlich gefärbten „Grabrede“ sagte beispielsweise Harms-Uwe Günther: „Wir bohren seit eh und je viel zu dicke Bohlen, als dass wir uns hätten einbilden können, da irgendwann einmal ein richtiges und bleibendes Loch reinzukriegen. Aber wir haben es trotzdem wieder und wieder getan. ,Viele Akte der Vergeblichkeit müssen getan werden, und wer soll sie tun, wenn nicht wir!‘ Das war so eine Art Wahlspruch, der immer über all unseren Aktivitäten hing. Dieser Spruch war gleichermaßen Ansporn und Trost, wenn wir uns in unserem Bemühen um Demokratisierung und Humanisierung von Kirche und Gesellschaft und in unseren Versuchen, den christlichen Glauben zeitgemäß und glaubwürdig neu zu interpretieren, auf der Stelle treten sahen. Glaubt mir, wir würden unverdrossen weiterbohren, wenn wir die Bohrmaschine noch stemmen könnten. Können wir aber nicht! Auch Propheten gehen irgendwann einmal in Rente.“
Zum ersten Mal in der über 50-jährigen Geschichte des Aktionskreises Halle war mit Gerhard Feige ein Bischof zu Gast. |
Auf der Abschiedstagung skizzierte der Erfurter Kirchenhistoriker Josef Pilvousek das bleibende Verdienst des AKH: Während in der katholischen Kirche in der DDR die Friedensbewegung und das katholische Friedenszeugnis kaum eine Rolle spielten, habe der AKH wesentlich dazu beigetragen, „die kirchenamtliche Friedensdiskussion anzukurbeln. Auch die Ökumene und vor allen Dingen die politische Ökumene sind vom AKH in den Mittelpunkt seiner Tätigkeit gerückt worden. Denkwürdig bleibt, dass gerade diese Spielart der Ökumene dazu beigetragen hat, dass die katholische Kirche in dem Prozess der Friedlichen Revolution aktiv beteiligt werden konnte. Die Teilnahme der katholischen Kirche an der Ökumenischen Versammlung stellt zweifelsfrei den Höhepunkt dieses ökumenischen Tuns dar.“
Pilvousek und Holzbrecher waren es, die auf der Abschiedstagung an den AKH appellierten, seine Aktivitäten auf keinen Fall zu beenden. Das löste lebhafte Diskussionen aus. Ob die Propheten tatsächlich in Rente gehen, blieb am Ende der Tagung offen. Sprecherin Doberschütz: „Unter dem Namen ,Freundeskreis des AKH‘ könnte sich ein neues offenes Format für die alten Anliegen finden. Das sollte als Übergang gesehen werden, um die nie erledigten Anliegen präsent zu halten. Um diese neue Form zu erproben, soll wieder zu einem Wochenende auf der Huysburg eingeladen werden.“
Was es noch zu tun gäbe ...
Zu tun gäbe es für die Propheten dabei noch einiges. Das zeigte sich beim Vortrag von Bischof Gerhard Feige. Mit ihm nahm zum ersten Mal ein Bischof an einer Tagung des AKH teil. Er sprach über seine Vision von einer zukünftigen Kirche. Es brauche eine fröhliche, missionarische und kontaktfreudige Kirche, die ihre Kleinheit nicht beklagt und ihre Armut nicht als Armseligkeit missversteht. Mit Blick auf die aktuelle Missbrauchsdebatte sagte der Bischof: Heiligkeit der Kirche bedeute nicht ethische Vollkommenheit. Versagen werde dabei nicht durch Beschönigung, sondern durch Bekenntnis aufgearbeitet. Die Kirche müsse den Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils wieder aufnehmen und Möglichkeiten echter Partizipation schaffen. Das versuche die katholische Kirche in Deutschland zurzeit mit dem Synodalen Weg. Die Kirche werde weiter an Einfluss und Mitgliedern verlieren. Das dürfe nicht dazu führen, dass die Religion ins Private abgedrängt werde. Christen seien aufgefordert, ökumenisch aufgeschlossen als geschwisterliche Gemeinschaft die Gesellschaft mitzugestalten und den Glauben für die Mitmenschen zu übersetzen und verständlich zu machen. Viele Dinge in der Kirche seien bis heute vom Zeitgeist vergangener Jahrhunderte geprägt. Davon gelte es sich frei zu machen, denn „Gott hat uns nicht beauftragt, ein Museum zu hüten, sondern dem Leben zu dienen.“
Von Matthias Holluba