Prüft alles, das Gute behaltet
Er war für Jahrzehnte die Leitfigur der katholischen Kirche in Mecklenburg. Überraschend ist Weihbischof Norbert Werbs am 3. Januar im Alter von 82 Jahren in Neubrandenburg gestorben.
Wer zum ersten Mal mit Weihbischof Norbert Werbs unterwegs war, wunderte sich. Der katholische Theologe sprach nicht, wie erwartet, über Theologie oder Kirche. Er brachte das Gespräch auf ganz andere Dinge. Man sprach über die Technik des Autos, in dem man saß, über Geografie, Wetter- oder Sternkunde. Naturwissenschaft und Technik waren seine Interessen. Schon sein Vater war Flugzeug-Ingenieur gewesen. Der älteste Sohn Norbert bewarb sich nach dem Abitur um einen Studienplatz an der Technischen Universität Dresden – aber im letzten Moment entschied er sich anders: für ein Theologiestudium und für den Priesterberuf.
Die anderen Interessen fielen dadurch nicht weg. Und der Weihbischof aus Mecklenburg, der von vielen Nicht-Mecklenburgern für eher kühl und „dröge“ gehalten wurde, war immer für Überraschungen gut. Auto fuhr er immer selbst, auf Urlaubsreisen war ein kleines Zelt dabei. Wenn er bei Gottesdiensten einen Gemeindepfarrer vertrat – was er gern und sehr oft tat –, kam er oft lange Strecken mit dem Fahrrad. Nachdem er sich einen Fotoapparat gekauft hatte, fotografierte er bei Veranstaltungen und schickte die Fotos herum. Von Amtsgebaren und Eitelkeit war dieser Bischof völlig frei. Einmal, als eine Einweihungsfeier eines kirchlichen Neubaus vorüber war und man noch plaudernd beieinander saß, fehlte auf einmal der Weihbischof. Er stand im Nebenraum und redete mit den Bauleuten, die in einem großen Kreis um ihn herumstanden.
Kritische Fragen auf der Europa-Synode 1991
Es gab noch weitere Überraschungen, die Norbert Werbs zu bieten hatte. In der Europa-Synode in Rom 1991 stellte der junge Weihbischof aus dem Osten Deutschlands eine Reihe von Grundsatzfragen, die ihn mit einem Schlag bekannt machten. „Die Völker Europas denken zunehmend demokratisch. Unsere Kirche ist aber hierarchisch strukturiert. Wir sind davon überzeugt, dass dies unverzichtbar ist. Dennoch sollten wir uns aber der Frage stellen, wie die hierarchische Verfasstheit der Kirche eine echte Mitsprache und Mitentscheidung aller Kirchenglieder ermöglicht. Die vom Vaticanum II eröffnete Mitberatung empfinden viele aktive Katholiken als ungenügend. Haben sie damit unrecht? Was ließe sich bessern?“
Weitere Fragen bezogen sich auf die Vielzahl der Vorschriften in der Kirche, auf die kirchliche Position zur Empfängnisverhütung, den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen, auf den Ausschluss von Frauen in kirchlichen Leitungspositionen. Die Fragen des Schweriner Weihbischofs waren ziemlich genau diejenigen Themen, die 30 Jahre später im „Synodalen Weg“ behandelt werden. Es waren Fragen, die auch andere Bischöfe hatten. Aber Norbert Werbs hatte den Mut, sie zu stellen.
Nach der Synode sahen viele in ihm einen Hoffnungsträger für das reformorientierte kritische Lager. Aber diese Rolle wollte Werbs nicht spielen. Ohnehin lag ihm nichts ferner, als sich in den Vordergrund zu drängen. Schon gar nicht wollte er die kirchliche Einheit antasten. Denn was die Geschlossenheit der Kirche wert war, hatte ihn das Leben in der DDR gelehrt. 1964 wurde er in Rostock zum Priester geweiht, der weitere Weg führte nach Neubrandenburg. Dort war er Kaplan, später Pfarrer, und nach 35 Jahren kehrte er als Weihbischof nach Neubrandenburg zurück und lebte dort im Ruhestand.
„Bleiben Sie bei der Wahrheit!“
Einen klaren Standpunkt haben, verlässliche Aussagen machen. In der Situation der DDR war das ein Gebot der Klugheit, aber es gehörte auch zu seinem Naturell. Nicht immer war jeder mit seinen Entscheidungen einverstanden, „aber man wusste immer, woran man bei ihm war“, so sagen viele seiner Mitarbeiter. Genau diese Eigenschaft machte den Weihbischof auch nach der Wende zu einem anerkannten Gesprächspartner in Politik und Ökumene. Norbert Werbs war der Mann, der in Mecklenburg für die katholische Kirche eintrat. Er war aber auch derjenige, der in der Kirche für Mecklenburg eintrat. Das hielt er für nötig, als sich mit der Gründung des Erzbistums Hamburg 1995 viel veränderte und auch manche Kämpfe um Organisation und Ausrichtung auszufechten waren.
Aber auch in aufgeregten Debatten blieb er bei der geraden Linie. Schlagfertigkeit und Humor standen ihm zur Seite. Und viele haben ihn als jemanden erlebt, der Kritik sachlich und fair äußerte, nachdem er sich über Hintergründe erkundigt hatte. Weniger gut konnte er mit Lob an seiner Person umgehen. Und schon gar nicht ertrug er Schmeichelei. „Bleiben Sie bei der Wahrheit!“, mahnte er, wenn man etwas über ihn schreiben wollte und er befürchten musste, dass der Tenor des Textes positiv sein werde. Viele Worte, die macht man nicht, wenn man von der Ostsee kommt und mit Ostseewasser getauft ist wie Norbert Werbs und seine sechs Geschwister.
„Not ist durch nichts zu ersetzen“
Wenige Worte tun es ja auch. Auf die Interviewfrage etwa, wie sich die Gemeinden heute schon auf die Zukunft mit wenig Personal und Geld vorbereiten können, antwortete er: „Not ist durch nichts zu ersetzen.“ Norbert Werbs war ein Mann des Glaubens und der Hoffnung. Aber was die irdische Wirklichkeit betrifft, blieb er kritischer Realist. „Prüft alles, das Gute behaltet“, lautete sein Bischofsspruch. Der Satz steht am Schluss des Thessalonicherbriefes, er könnte auch das Motto eines Naturwissenschaftlers sein. Nun hat er die Natur und alle irdischen Wirklichkeiten hinter sich gelassen. Nach kurzer Krankheit ist Norbert Werbs am 3. Januar in Neubrandenburg gestorben.
Viele Katholiken, nicht nur solche aus Mecklenburg, werden sich an ihn in Dankbarkeit und Respekt erinnern.
Andreas Hüser
Der Termin für die Beisetzung stand bei Redaktionsschluss am Dienstag noch nicht fest. Er wird auf der Internetseite des Erzbistums Hamburg www.erzbistum-hamburg.de veröffentlicht.