Quo vadis, Orgel?
Diskussionen über die Zukunft der Orgel sind nicht neu. Sorgen bereitet den Gemeinden häufig der fehlende Organistennachwuchs. Ein Beispiel aus Schleswig-Holstein zeigt jedoch, dass mit etwas Engagement von Nachwuchssorgen keine Rede sein kann.
Ihr Blick wandert von den Händen runter zu den Füßen, rauf zu den Noten und in regelmäßigen Abständen nach links zu Schwester Myrta. In dicker Jacke und Wollmütze spielt die 13-jährige Pauline an einem Samstagnachmittag in der kalten Kirche Herz Jesu in Reinbek auf der Orgel. Die Sitzbänke in der dunklen Kirche sind leer.
Denn heute findet kein Gottesdienst statt. Schwester Myrta vom Orden der Elisabeth-Schwestern und Pauline sind zum Üben gekommen. Seit über zwei Jahren erlernt die Jugendliche nun schon das Orgelspiel. Zuvor spielte sie mehr als sieben Jahre lang Klavier – eine Voraussetzung für die Ordensschwester: „Wenn man von null anfängt, geht das quasi gar nicht. Alle spielen vorher immer Klavier. Bei der Orgel spielt man ja auch mit den Füßen. Da muss man blind spielen können, wie auf der Klaviatur.“
Zusammen mit ihrer Mutter suchte die Schülerin damals nach einer neuen Herausforderung. Als Kirchengänger lag der Gedanke an die Orgel nahe. Zum selben Zeitpunkt suchte auch Schwester Myrta nach neuen Schülern, die zukünftig den Gottesdienst begleiten könnten.
Seit 2012 hat es sich die Elisabeth-Schwester zur Aufgabe gemacht, Leuten das Orgelspiel beizubringen. Denn damals spielten nur Ordensfrauen die Orgel in Reinbek. Da die jedoch auch nicht jünger werden, so Schwester Myrta, war es Zeit, für Nachwuchs zu sorgen. Momentan unterrichtet sie vier Schüler. Eine davon ist Pauline. Und auch ihr jüngerer Bruder eifert seiner Schwester bereits nach.
Der jüngere Bruder eifert der Schwester bereits nach
Der Ursprung der Pfeifenorgel liegt schon in der Antike. Bis heute gilt sie wegen der tiefen und sehr sonoren Töne als ein Instrument der Kraft und der Macht. Aber die Zeiten sind schwierig für die Königin der Instrumente. Die Mitgliederzahlen beider christlicher Kirchen sinken kontinuierlich und Kirchengebäude, die Orte, an denen mit Abstand die meisten Orgeln stehen, werden auf Grund dessen profaniert. Zudem sind die Instandhaltung und Restaurierung kostenaufwendig. Mehrere Tausend Euro können für eine einfache Orgel schnell zusammenkommen, so Schwester Myrta.
Auch die Orgel in Reinbek muss bei Zeiten restauriert werden. Spielt Pauline das C-Pedal, entlockt es ihr und Schwes-ter Myrta ein krampfhaftes Zucken. Orgeln sind sehr temperaturempfindlich, sodass zwischen Sommer und Winter die Töne verstimmt klingen.
Die Kosten sind ein Grund, dass manche Gemeinden die Orgel nicht mehr für den Gottesdienst einsetzen. Sie übersteigen den Nutzen. Manchmal wird auf Tonbänder zurückgegriffen. Etwas, worauf die passionierte Orgelspielerin Schwester Myrta allergisch reagiert: „Automatikmusik darf gar nicht sein. Niemals, denn die menschliche Stimme singt das Gotteslob und die Orgel trägt die menschlichen Stimmen. Synthetische Musik ist dem Gottesdienst nicht würdig.“
Die hohen Kosten sieht Schwester Myrta nicht als Problem an. „Das Geld kommt immer zusammen. Man braucht nicht mal eine Kollekte dafür“, sagt Schwester Myrta. In Deutschland existiert eine Vielzahl an Gönnern und Liebhabern, die die Orgeln finanzieren. 2018 wurde die Orgel im Kleinen Michel nahezu von einer einzigen Frau finanziert. Auch die zwei Millionen teure Klais-Orgel der Elbphilharmonie ist von nur einem Hamburger Unternehmen bezahlt worden. Schwes-ter Myrta fügt hinzu, dass es Leute gibt, die ihr Erbe für Orgeln hinterlassen.
Schwester Myrta ist sicher, dass mit etwas Engagement auch neue Organisten gefunden werden. In der Gemeinde Herz Jesu muss die Schwester bereits nur noch alle vier Wochen den Gottesdienst begleiten. Die anderen Messen werden von weiteren ehrenamtlichen Musikern übernommen.
Laut Schwester Myrta kommt es nicht darauf an, ganze Orgelstücke spielen zu können. Die Hauptaufgabe an der Orgel sei es, den Gesang im Gottesdienst begleiten zu können. Und das können ihre Schüler bereits nach zwei Jahren Orgelunterricht gut schaffen – normal seien drei bis fünf Jahre.
Beweis dafür ist die junge Spielerin Pauline, die bereits mehrere Gottesdienste mit der Hilfe von Schwester Myrta begleiten konnte. Für die Schülerin bedeuten die Gottesdienste Freude und Nervosität zugleich: „Ich bin vorher schon immer etwas aufgeregt. Aber mit dem Klavier hatte ich schon Auftritte. Also, ich bin schon etwas dran gewöhnt.“
Schwester Myrta gibt gerne ihr Wissen an die Schüler und Schülerinnen weiter. Eine Schülerin ist mittlerweile so weit, dass sie die C-Prüfung zur Kirchenmusikerin ablegt. Die Ordensfrau ist zuversichtlich, dass auch künftig Menschen die Orgel spielen werden.
Pauline und ihr Bruder sind gute Beispiele dafür, dass Kinder und Jugendliche durchaus am Musizieren noch Spaß haben. Pauline hat aber kein Problem mit ihrem außergewöhnlichen Hobby: „Ein Teil meiner Freunde sind Ministranten. Die finden das nicht schlimm, denn die kennen das ja. Und andere aus der Klasse finden das eher cool und bewundern es, so ein großes Instrument spielen zu können.“
Text u. Foto: Joanna Figgen