Aus dem Berufsalltag eines Gefängnisseelsorger

Raus nach 34 Jahren Knast

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Mann steht vor einer Gittertür.
Nachweis

Foto: Marco Heinen

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Durch viele Sicherheitstüren gelangt Gerd Lüssing ins Gefängnis. Auch sein Büro liegt hinter einer Gittertür.

Mit Strafe hatten seine Aufenthalte hinter Gittern nichts zu tun. Pastoralreferent Gerd Lüssing war sein Berufsleben lang Gefängnisseelsorger.

Lübeck. Gerhard Lüssing, wie sein Name korrekt lautet, war noch in der Ausbildung, arbeitete als Pastoralassistent in der Bad Segeberger Gemeinde St. Johannes der Täufer, als ihn sein zuständiger Personalverantwortlicher zur Seite nahm: Ob er sich vorstellen könne, Gefängnisseelsorger zu werden? Vier andere habe er auch gefragt, aber die hätten abgewunken. „Ich habe mir dann einmal die Justizvollzugsanstalt Lübeck-Lauerhof angeguckt und gesagt: Ich probier’s mal. Und das habe ich dann 34 Jahre probiert“, erinnert sich der 66-Jährige, der dieser Tage in den Ruhestand verabschiedet wird. Er tat seinen Dienst in den Justizvollzugsanstalten Neumünster, Lübeck und Kiel, seit zwei Jahren aber nur noch in der Hansestadt.

Eine Herausforderung sei es gewesen, „weil ich gemerkt habe, dass ich da sehr nahe an den Menschen dran bin“, sagt Lüssing. Dabei hatte er eigentlich Krankenhausseelsorger werden wollen. Seine Diplomarbeit drehte sich um das Thema Sterbebegleitung. Ein Kapitel hieß: „Das soziale Sterben vor dem eigentlichen Sterben.“ Später merkte er, dass genau das ein Thema für Strafgefangene ist. „Vieles bricht ab an Beziehungen, an Vertrauen, an Selbständigkeit.“ Nicht zuletzt deshalb war es aus Lüssings Sicht richtig, so lange zu bleiben. Denn Abbrüche im Leben der Gefangenen betreffen nicht nur deren privates Umfeld: Gefängnispersonal wechselt, betreuende Psychologen übernehmen andere Aufgaben. „Da ist eine konstante Seelsorge und Begleitung wichtig. Für Gefangene ist es enorm schwierig, immer wieder von vorne anfangen zu müssen.“ Einige Inhaftierte habe er im Jugendgefängnis in Neumünster kennengelernt und später in der Langzeithaftanstalt in Lübeck wiedergetroffen.

Ein Pfarrer habe ihn mal gefragt, wie hoch die Rückfallquote sei. „Ich habe gesagt: ‘Die Rückfallquote ist so hoch wie bei jeder Beichte bei dir.’ Natürlich sind die Folgen andere, aber der Mechanismus ist der gleiche. Es gibt viele Wiederholungen im Leben“, so Lüssing. 

Drei Jahre oder länger brauche es, bis ein Seelsorger richtig in einem Gefängnis ankomme. Es hat viel mit Vertrauen zu tun, zu den Bediensteten, zur Leitung, zu den Gefangenen. Vertrauen, das man sich erarbeiten muss. Doch dann gehe es von morgens bis abends, „durchgängig, ein Gespräch nach dem anderen mit kurzen Pausen dazwischen.“ Das gelte für Einzelgespräche wie für Gruppensitzungen. Hinzu kommen alle 14 Tage Gottesdienste, oft drei hintereinander. „Das kostet natürlich auch Kraft.“ In der Familie, mit Tischtennis und Wandern und jährlichen Exerzitien mit anderen Gefängnisseelsorgern tankte Lüssing selbst wieder auf.

Zahl psychisch Erkrankter nimmt zu

Gefangene müssen einen Antrag für ein Gespräch stellen. Im Dienstzimmer können sie dann loswerden, was sie bedrückt. Gefängnisseelsorger unterliegen der Schweigepflicht, was offene Gespräche erleichtert. Was das Wichtigste ist? „Da sein, zuhören, stehenbleiben. Kein ‘warte mal, ich komme demnächst auf dich zu’. Zuverlässig sein, Versprechen einhalten“, sagt Lüssing. Wenn jemand dann frage, ob er sich wieder melden könne, dann sei das ein Erfolg. Manchmal stößt Lüssing bei seinen Gesprächen auch an Grenzen. Er empfiehlt dann, einen Psychologen einzuschalten. „Es gibt immer mehr Leute, die traumatisiert und krank sind. Und in den vergangenen Jahren habe ich festgestellt, dass psychiatrische Fälle immer mehr zunehmen, einmal durch Traumata, aber auch durch Drogengeschichten.“ Gerade bei ausländischen Gefangenen, die manchmal etwa im Zuge einer Fluchtgeschichte oder in ihrer Heimat Schlimmes erlebt hätten, habe er das oft festgestellt. 

Der Gefängnisseelsorger schätzt, dass 80 Prozent der Inhaftierten nicht kirchlich sozialisiert sind und erstmals im Gefängnis mit der Kirche in Berührung kommen. Einer sagte ihm: „Ich glaube nicht. Aber ich komme jeden Sonntag zum Gottesdienst, um einen Satz für die Woche mitzunehmen.“ Lüssings Antwort: „Wenn sie einen Satz mitnehmen, ist das schon eine ganze Menge.“

mc/hix