Suizid bei Jugendlichen

Reden rettet Leben

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Suizid ist die häufigste Todesursache bei jungen Leuten – mehr noch als Verkehrsunfälle. Wie groß der Beratungsbedarf deshalb ist, zeigen die Anfragen bei dem Caritas-Projekt [U25] im Emsland - auch während der Corona-Krise.


Probleme in der Schule oder Familie, Mobbing oder Trennung – das kann junge Leute in tiefe Krisen stürzen. Foto: istockphoto/mixmike

„Ich finde, die Welt ist einfach besser dran ohne mich.“ Wie tief muss ihre Verzweiflung sein, damit Ramona solch eine E-Mail an das Team der Online-Suizid-Beratung [U25] schickt? 17 Jahre jung ist sie – hat kürzlich ihre Schwester verloren und weiß nicht mehr weiter. „Wenn ich abends ins Bett gehe, hoffe ich, dass ich nicht mehr aufwache.“ Schon oft hat sie auch daran gedacht, ihrem Leben ein Ende zu setzen. „Ich habe einen konkreten Plan. Keiner versteht, warum ich diese Gedanken habe.“ 

Wenn Karin Warstat so etwas liest, weiß sie gleich: Hier braucht ein junger Mensch dringend Hilfe, hier schreibt sich jemand seine ganze Not von der Seele. Seit gut drei Jahren arbeitet die Lingener Sozialwissenschaftlerin für die Online-Suizidberatung der emsländischen Caritas. (Siehe auch „Zur Sache“) Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren können sich dort anonym melden und von ihren Problemen berichten. Auf der anderen Seite der Tastatur sitzen ebenfalls junge Leute und antworten ihnen per E-Mail. 

Die ganze Not von der Seele schreiben

„Peers“ werden diese ehrenamtlichen Berater und Beraterinnen genannt. Schüler und Studenten gehören dazu, ebenso angehende Krankenschwestern und Handwerker. 24 „Peers“ engagieren sich derzeit für „[U25]“. Weitere zwölf freiwillige Helfer machen gerade die Ausbildung dafür - wie die 22-jährige Vanessa. Von Freunden hatte sie von dem Projekt gehört und findet es wichtig, Gleichaltrigen zur Seite zu stehen. „Ich wusste vorher gar nicht, wie hoch der Bedarf ist“, sagt sie.

Und das ist er tatsächlich. 2018 haben sich 548 junge Menschen unter 25 Jahren in Deutschland das Leben genommen. „Das ist die häufigste Todesursache in dieser Altersgruppe“, sagt Karin Warstat. Oft gab es zuvor schon viele Suizidversuche. Und Signale: stumme und laute Hilfeschreie. „Manchmal wird behauptet, wer davon spricht sich umzubringen, macht es nicht. Aber das stimmt so nicht“, sagt Karin Warstat. „80 Prozent aller Selbsttötungen werden vorher angekündigt.“ Die Gründe für solch eine schwere, existenzielle Krise sind nach ihren Worten verschieden wie die jungen Leute: Depressionen, Trennungen, Liebeskummer, Konflikte in der Familie, Mobbing – übergroßer Druck in Schule, Studium und Beruf. Und der nimmt noch zu.

Genau wie die Zahlen bei den Online-Beratungen. „[U25]“ im Emsland hat im vergangenen Jahr 178 Klienten beraten. Manche Kontakte dauerten zehn bis zwölf E-Mails, andere Jugendliche und junge Erwachsene haben die „Peers“ bis zu zwei Jahren schriftlich begleitet. 

„Ich bin total überfordert“

Besonders jetzt im Frühjahr, als „Corona“ viele Menschen geängstigt hat, stieg die Zahl der „helpmails“ laut Warstat deutlich an: von 98 im Februar auf 178 im März und sogar fast jeweils 200 im April und Mai. Karin Warstat kann das nachvollziehen. „Diese außergewöhnliche Situation hat vorhandene Lebenskrisen noch einmal verstärkt.“ Die Pandemie hat ihrer Ansicht nach für viele junge Leute das Leben auf den Kopf und die schon sicher geglaubte Zukunft in Frage gestellt. „Da sind viele Pläne weggebrochen – das Auslandsstudium, die erhoffte Ausbildung – und wochenlang war auch die Einsamkeit groß.“  

Was können Eltern oder Freunde machen, wenn sie Suizidgedanken bemerken? „Hartnäckig bleiben und immer wieder nachfragen“, sagt Karin Warstat, „denn reden rettet Leben.“ Wichtig sei es vor allem, dem Sohn oder der Tochter, dem Freund oder der Freundin Offenheit für ein Gespräch zu signalisieren. Und das unmissverständliche Signal: „Ich bin bei dir.“ Außerdem rät sie besonders Müttern und Vätern, die Signale ernst zu nehmen – wenn sich zum Beispiel ein Kind abkapselt, extreme Stimmungsschwankungen hat oder längere Zeit sehr hoffnungslos wirkt. „Holen Sie sich selbst Unterstützung von Beratungsstellen oder Therapeuten. So eine Last kann man nicht allein tragen.“

Denn es sollte niemandem so ergehen wie Kai, der sich ebenfalls an „[U25]“ gewandt hat. Der 19-Jährige hat den Eindruck, dass seine Eltern seine Probleme nicht ernst nehmen. „Corona“ hat ihn im Frühjahr sehr verunsichert. Keine Treffen, kaum Kontakte: „Ich schaue den ganzen Tag Serien und bin ständig alleine in meinem Zimmer.“ Dazu kommen noch Probleme in der Schule: „Ich bin total überfordert. Ich weiß überhaupt nicht, wie es nach dem Abitur für mich weitergeht.“ Und dann richtet er einen Hilferuf an das U25-Team: „Ich hoffe, mir kann hier jemand helfen.“ Die Beratung läuft noch.

Petra Diek-Münchow


Zur Sache

Die Online-Suizidberatung [U25] gibt es in zehn Standorten in Deutschland – seit gut drei Jahren auch beim Caritasverband im Emsland. Es ist das einzige Angebot dieser Art im Bistum und in ganz Niedersachsen. 

Junge Leute unter 25 Jahren können sich bei dieser Beratung anonym anmelden und in einer E-Mail von ihren Problemen berichten. Die Berater, die selbst in einem ähnlichen Alter sind, antworten in der Regel innerhalb von zwei Werktagen. Solch eine schriftliche Begleitung dauert so lange, wie die jungen Leute möchten. Die Berater unterliegen der Schweigepflicht, die Beratung ist kostenlos. (pd)

Infos bei Katrin Warstat, Telefon 05 91/80 06 23 09, www.u25-emsland.de