Projekt „Tisch des Herrn"
Schmiedekunst für die Ökumene
Katholiken und Protestanten in Twistringen haben es sich nicht immer leicht gemacht. Der Wunsch nach Verständigung und Gemeinschaft ist deshalb groß. Das Projekt „Tisch des Herrn“, gestaltet von vielen Freiwilligen, soll die Christen in der Stadt miteinander ins Gespräch bringen.
Flügel, Heiligenschein und T-Shirts mit der Aufschrift „Drei Engel für die Ökumene Twistringen“: Wer so zum Berlin-Marathon antritt, fällt auf. Und das wollten sie auch, die Sportler Christian Masurenko, Frank Hömer und Enno Bielefeld. „In unserem Engelskostüm wurden wir schon auf dem Weg vom Hotel zur Startlinie oft angesprochen“, sagt Christian Masurenko. Es habe auch geholfen, die Laufstrecke durchzuhalten. „Wir wurden unterwegs immer wieder angefeuert.“ Auch für das nächste Jahr suchen die drei Twistringer Sponsoren: wenn sie sich Anfang April am 100-Kilometer-Marsch rund um Hamburg beteiligen. Natürlich verkleidet. „Wir tragen unsere Kostüme, bis der Tisch steht“, betont Masurenko.
Der Tisch – damit ist ein besonderes Ökumeneprojekt in Twistringen gemeint. Und das unterstützen nicht nur die Marathonläufer. Mitten in der Stadt soll ein „Tisch des Herrn“ entstehen – ein Schmiedekunstwerk, mitgestaltet von vielen Christen, das den Wunsch nach Gemeinschaft ausdrückt und zugleich positive wie schmerzhafte ökumenische Lebenserfahrungen aufarbeitet.
Twistringen, frühere Exklave des Fürstbistums Münster, ist ein schwarzer – also katholischer – Fleck inmitten großflächiger Diaspora. Katholiken und Protestanten schenkten sich in der Vergangenheit nichts. Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges begann der sogenannte Pfarrzwang: Auch die Lutheraner mussten Abgaben an die katholische Pfarrei entrichten. Um 1900 berichtet die Chronik von „starren konfessionelle Fronten mit Gehässigkeiten, Häme und versteckter Schadenfreude“. Evangelische Christen wurden zum Beispiel gedrängt, katholisch zu werden – vor allem, wenn sie einen katholischen Partner heiraten wollten. Und noch um 1960 untersagten vereinzelt katholische Eltern ihren Kindern das Spielen mit evangelischen Kindern.
Die Zeiten der Vorbehalte sind heute vorbei. Doch Ab- und Ausgrenzungserfahrungen haben die Menschen geprägt. „Es gab viele Verletzungen, das Thema ist noch immer emotional aufgeladen“, sagt Birgit Hosselmann, Pastoralreferentin in der Pfarrei St. Anna. Das Bedürfnis nach Verständigung und Gemeinschaft sei deshalb besonders groß.
Glaubensgeschichten hören per Knopfdruck
Das Projekt „Tisch des Herrn“ ist vor allem das Ergebnis einer guten Zusammenarbeit und einer Freundschaft: Birgit Hosselmann und Christina Ernst, Pastorin der Luthergemeinde, haben in den vergangenen drei Jahren nicht nur die Ökumene vorangebracht, sondern gemerkt, dass sie sich auch sonst verstehen. Für den „Tisch des Herrn“ hat Pastorin Ernst einen Schmiedekünstler mit ins Boot geholt: Andreas Rimkus aus Springe bei Hannover. Sie kennt ihn schon von anderen Gemeindeprojekten und ist zuversichtlich, dass es gelingen wird, traditionelles Schmiedehandwerk mit moderner Technik zu verbinden.
Unter anderem wollen die Luthergemeinde und die Pfarrei St. Anna Schmiedeworkshops anbieten, in denen sich Interessierte aller Generationen mit Ökumene auseinandersetzen – handwerklich und inhaltlich. Pastorin Christina Ernst stellt sich vor, Erzählungen und Gedanken über Ökumene-Erfahrungen als Tondokumente in das Kunstwerk zu integrieren. Das heißt: Entsprechende Technik soll in den Tisch eingebaut werden. Per Knopfdruck kann man dann den Glaubensgeschichten von Twistringern lauschen. „Ich finde das spannend, weil sonst selten öffentlich über den Glauben gesprochen wird“, sagt Christina Ernst. Zugleich sollen kleine Schmiedekunstwerke der Workshopteilnehmer in den Tisch eingearbeitet werden. Für den praktischen Teil bringt Künstler Andreas Rimkus seine mobile Schmiede mit. An zwei Essen und bis zu sieben Ambossen können sich Jung und Alt ausprobieren.
Eine Film-AG des Hildegard-von-Bingen-Gymnasiums dokumentiert den Projektverlauf von Beginn an mit einem Film. Außerdem gestalten Schüler eine Internetseite (siehe „Zur Sache“).
Die Idee, einen Tisch als Symbol für Ökumene zu wählen, sei in einem Gespräch entstanden, sagt Birgit Hosselmann. Eine evangelische Frau, die in eine katholische Familie eingeheiratet hat, erzählte, dass sie als Tischmutter der Erstkommunionkinder herzlich willkommen geheißen wurde. „Ein Tisch drückt unser Anliegen am besten aus: das Gefühl, dass man dazugehört, eine Gemeinschaft ist und jeder sich einbringen kann.“
Christian Masurenko und seine sportlichen Mitstreiter finden es gut, dass sich die Kirchen in Twistringen so modern präsentieren. Deshalb sammeln sie weiter für das Tischprojekt und lassen sich auch am Stand der katholischen Jugend an diesem Wochenende auf dem Weihnachtsmarkt sehen. Natürlich im Engelskostüm! Denn: „Die Ökumene ist ein toller Ansporn“, sagt Masurenko.
Anja Sabel
Zur Sache: Projekt „Tisch des Herrn“
Alle, die sich vom Thema Ökumene angesprochen fühlen, Familien aus Kindergottesdienstgruppen, Jugendliche im Konfirmanden- und Firmungsalter, Menschen im mittleren Lebensalter, Senioren, können sich für zwei Schmiedeworkshops anmelden (bis 1. April 2019). Diese finden vom 30. Mai bis 9. Juni 2019 statt. Gefördert wird das Projekt von der Hanns-Lilje-Stiftung und der Heinrich-Dammann-Stiftung, vom Sprengel Osnabrück und der evangelischen Landeskirche Hannover. Angefragt ist auch das Bistum Osnabrück. Als Gesamtkosten werden 30 000 Euro veranschlagt. Standort des Ökumene-Tisches soll der Centralplatz mitten in Twistringen sein. Weitere Infos: www.tisch-des-herrn.de