Verbinden die sozialen Netzwerke Menschen miteinander?

Schöne neue Welt

Die sozialen Netzwerke werben damit, dass sie Menschen verbinden. Doch Studien warnen, in Wahrheit machten sie uns einsam. Stimmt das? Ein Experte sagt: Das hängt ganz davon ab, wie wir sie nutzen.

Sie sind überall. Auf der Straße, in der Bahn, im Wartezimmer beim Arzt. Die Menschen, die irgendwie abwesend wirken, weil sie auf ihr Smartphone starren. Die permanent prüfen, ob sie gerade eine Nachricht erhalten haben – auf Facebook, Instagram, Whatsapp. Ob ihnen jemand auf einen Beitrag geantwortet hat. Ob viele ihr neues Urlaubsbild toll finden. Und natürlich: was bei ihren Freunden gerade passiert.

Isolieren die sozialen Netzwerke die Menschen von der realen Welt? Machen die vielen Angebote, die damit werben, alle miteinander zu verbinden, in Wahrheit jeden einsam? Tobias Dienlin, Medienpsychologe an der Universität Hohenheim, sagt: „Das hängt ganz davon ab, wie man sie nutzt.“

Seine These ist: Positiv wirken die sozialen Netzwerke, wenn jemand sie aktiv nutzt. Wenn er dort also mit seinen Freunden Botschaften austauscht, Beiträge kommentiert und selbst etwas ins Internet hochlädt. Negativ dagegen wirken die sozialen Netzwerke, wenn jemand dort vorwiegend passiv ist und nur das betrachtet, was andere auf ihren Seiten so treiben. Denn viele Menschen, erläutert Dienlin, zeigen im Internet „nur ihre Schokoladenseite“. Sie laden Bilder hoch, die sie am Strand zeigen, bei Partys oder nach einer bestandenen Prüfung – aber keine Bilder vom letzten Streit mit ihrem Partner. Wer diese geschönte Welt sieht, wird leicht neidisch – weil sein Leben da nicht mithalten kann.


„Wir müssen uns umarmen, tanzen, feiern“

Foto: Philipp Masur
Tobias Dienlin, Medienpsychologe 
Foto: Philipp Masur

Natürlich, sagt der Medienpsychologe Dienlin, müssten wir „aufpassen, dass wir uns nicht nur noch in sozialen Netzwerken begegnen, sondern auch im normalen Leben. Wir müssen uns umarmen, tanzen, feiern, Fußball spielen.“ Wir dürfen über all den Verlockungen der digitalen Welt die analoge Wirklichkeit nicht vergessen.

Aber zur Wahrheit gehört auch, dass es Menschen gibt, die zu diesem Leben keinen Zugang mehr haben. Weil sie zu alt, zu krank, zu schwach sind. Diesen Menschen schenken die sozialen Netzwerke Chancen, die sie sonst nicht hätten. Sie ermöglichen es ihnen etwa, Kontakt zu ihren Kindern und Enkeln zu halten, die weit weg wohnen. Ein Foto vom Baby im Lieblingsstrampler? Ein Video von den ersten Schritten, die das Kleinkind macht? Ein Telefonat, bei dem die Oma den Enkel nicht nur hört, sondern auch sieht? Mit den modernen Medien kein Problem.

Nun haben in den vergangenen Jahren viele Experten und Studien davor gewarnt, dass die sozialen Netzwerke uns unglücklich machen. Der Medienpsychologe Dienlin aber sagt: „Viele dieser sehr starken Behauptungen basieren auf sehr dünnem Datenmaterial.“ In Wahrheit seien die sozialen Medien offenbar nicht so schlimm wie behauptet.

Die Gesellschaft, glaubt Dienlin, lerne halt nur gerade erst, mit Facebook, Instagram und Whatsapp richtig umzugehen. Das sei ganz normal. „Bei Themen wie Alkohol, die potenziell viel gefährlicher sind, hat die Gesellschaft jahrhundertelang nach dem richtigen Umgang gesucht“, sagt Dienlin. „Sie hat viel probiert – von der Prohibition bis zur absoluten Offenheit.“ Manche überfordere das, die meisten aber könnten heute ganz gut damit umgehen.


Der perfekte Nachfolger der alten Telefonkette

Auch der Umgang mit den sozialen Netzwerken kann knifflig sein. Welches Medium für welche Art der Kommunikation taugt, das müssen die Menschen erst herausfinden. Ein Konflikt etwa lässt sich nicht lösen, indem man sich auf Whatsapp Nachrichten hin- und herschreibt. Um Termine zu organisieren und Nachrichten zu verbreiten, ist der Dienst aber perfekt. Dienlin sagt: „Als Nachfolger der guten alten Telefonkette ist Whatsapp unschlagbar.“

Es helfe nichts, die sozialen Medien zu verteufeln, betont der Medienpsychologe Dienlin. Und falsch sei es auch. Denn eines sei klar: „Jugendliche sind nicht süchtig nach ihrem Smartphone, sondern nach ihren Freunden.“ Für viele Erwachsene gilt das sicherlich auch.

Von Andreas Lesch