Schönheitskur für Hexen-Akten
Die Stadt Buxtehude lässt rund 400 Jahre alte Akten zu Prozessen restaurieren. Gudrun Kühl aus Hamburg widmet sich dieser Aufgabe. Die Expertin saugt beispielsweise Schimmelsporen ab und stabilisiert das Papier.
Das 16. und das 17. Jahrhundert gelten als Hochzeit der Hexenprozesse in Deutschland. Doch nicht nur im katholisch geprägten Süden des deutschsprachigen Raums loderten die Scheiterhaufen, sondern auch im Norden. In der Hansestadt Buxtehude (Landkreis Stade) zum Beispiel waren 21 Frauen der Hexerei und Zauberei angeklagt. 15 Frauen wurden zwischen 1540 und 1644 nach grausamer Folter hingerichtet, davon mindestens 13 durch Verbrennen. Die Akten dieser Prozesse sind erhalten, aber brüchig und von Schimmel befallen. Jetzt bekommen sie im benachbarten Hamburg eine Schönheitskur.
21 Frauen angeklagt, 15 verurteilt
Restauratorin Gudrun Kühl ist seit Mitte März dabei, den Zustand der etwa 3 200 Blätter aus dem Buxtehuder Archiv, die in acht Mappen verwahrt werden, zu dokumentieren, Schimmelsporen abzusaugen und das brüchige, vergilbte Papier mit einem trockenen Latexschwamm zu reinigen. Die 34-Jährige beklebt Seiten mit hauchdünnem, transparentem Japan-Papier, um sie so zu sichern. „Danach ist das alte Papier stabiler, es ist glatt und reißt nicht mehr ein.“ Kleinere Risse hinterlegt Kühl in ihrer Werkstatt in Osdorf mit dickerem Papier. Einige Blätter sind an den Rändern ausgefranst. „Aber zum Glück meist nur an den Seiten und nicht dort, wo sie beschriftet sind“, berichtet die Fachfrau, die für das Projekt etwa 100 Arbeitsstunden veranschlagt. Nur etwa fünf Prozent des Inhalts sei stark mitgenommen und nicht mehr lesbar.
Für Gudrun Kühl ist nicht nur der Zustand des Papiers interessant. Sie versucht auch, die Schrift der Gerichtsschreiber zu entziffern. „Das ist nicht einfach. Man muss sich schon reinlesen“, sagt die junge Frau.
Nach der Folter gab es Geständnisse
In den zum Teil auf Mittel-Niederdeutsch verfassten Prozessakten ist dokumentiert, dass mit Beschuldigten wenig zimperlich umgegangen wurde. Geständnisse wurden den Frauen unter Folter abgetrotzt. Werkzeuge wie Fußschellen, Daumen- und Beinschrauben lagern im Magazin des Buxtehude-Museums.
Die Frauen, etwa Ahlcke Hedendorp, Margareta Bicker, Wöbcke Richers, Gesche von Schleiseln, Becke Lohmanns und Catharina Möllers, wurden unter anderem beschuldigt, mit dem Teufel im Bunde gewesen zu sein, Schadenszauber gewirkt und Hexentänze gezeigt zu haben. Belegt ist die Geschichte dieser Frauen, weil die Gerichtsschreiber akribisch die Anklagen, die Zeugenaussagen und die Verhörprotokolle notiert, sie in Schönschrift mit Feder und Tinte auf Hadernpapier geschrieben hatten. Zum Glück, wie Gudrun Kühl betont. „Bei dem Papier halten diese Akten bei guter Lagerung noch mindestens einmal so lange.“
Die Restaurierung der Hexenprozess-Akten kostet knapp 7 000 Euro, von denen die Hansestadt Buxtehude die Hälfte trägt. Den Rest sponsert die Sparkasse Harburg-Buxtehude. Bis Anfang Juni, so schätzt Gudrun Kühl, sind die Hexen-Akten restauriert. Dann können sich Geschichtsinteressierte wieder dem Studium der Dokumente widmen.
Die Hamburger Restauratorin will sich anschließend unter anderem knapp 400 Jahre alten Pastellen aus Privatbesitz widmen. „Der persönliche Bezug ist mir wichtiger als der Wert des zu restaurierenden Objekts“, sagt die Expertin, die auch Bücher, Dokumente, Grafiken und Malereien auf Papier im Auftrag von Museen, Bibliotheken, Ämtern und Kirchengemeinden restauriert. Im Archiv des Kleinen Michel in Hamburg hatte Kühl zum Beispiel Tipps gegeben, was gegen Silberfischchen getan werden kann.
Ein „Lieblingsprojekt“ der vergangenen Jahre sei die Konservierung und Restaurierung eines „Vogel-Leporellos“ für das Zoologische Museum, Teil des Centrums für Naturkunde der Universität Hamburg, gewesen. Auch einem Lübecker Konkordienbuch des evangelisch-lutherischen Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg aus dem 17. Jahrhundert, dessen oberer Bereich nach einem Brand verkohlt war, konnte Gudrun Kühl nutzbar und „fit für die Zukunft“ machen.
Text u. Foto: Norbert Wiaterek