Wittichenauer Lukas Zschorlich gewinnt Kompositionswettbewerb
Sieg des Lebens über den Tod
Lukas Zschorlich vertieft sich gern in Noten. Der 24-Jährige studiert seit fünf Jahren an der Martin-Luther-Universität Halle/Saale im Lehramt Musik und Deutsch. Fotos: Andreas Kirschke |
„O schöne sichere Unsterblichkeit, du Garten in der Wüste, du Quelle der Glückseligkeit und Sonne in der Dunkelheit des Todes.“ So beginnt das Gedicht „Njesmjertnosć“ (Unsterblichkeit) des sorbischen Pfarrers, Dichters, Redakteurs, Landwirts und Schulinspektors Handrij Zejler (1804-1872). Die sorbische Wochenzeitung „Tydźenske Nowiny“ veröffentlichte es 1844. Der Komponist Korla Awgust Kocor (1822-1904) vertonte es als Choral. Im Jahr 1845, zum Sorbischen Gesangsfest in Bautzen, wurde das Lied erstmals öffentlich gesungen.
Nun, im Jahr 2021, vertonte der Musik-Student Lukas Zschorlich aus Wittichenau jenes Zejler-Gedicht erneut. Ein ergreifendes neunminütiges Werk für Orchester und eine Sopransolistin entstand. Lukas Zschorlich gewann mit seinem Werk den diesjährigen Kompositionswettbewerb „Kocor 2.0“ der Gesellschaft zur Förderung des Sorbischen Nationalensembles.
„Da steckt die ganze Bibel drin.“
„Die Aufgabe für alle Teilnehmer bestand darin, einen Text von Handrij Zejler zu vertonen. Genre und Form waren frei wählbar“, erläutert der 24-jährige Musik-Student. Beim Sichten der Werke Handrij Zejlers stieß er auf „Unsterblichkeit“. Dessen Ausdruck, Ausstrahlung und Tiefe inspirierten ihn. „Da steckt die ganze Bibel drin. 2000 Jahre Glaubensgeschichte“, meint der junge Katholik. „Zejler beschreibt das ständige Ringen zwischen Leben und Tod. Das hat mich fasziniert.“ Klänge für ein Stück hatte Zschorlich da bereits im Kopf. Nur suchte er dazu den passenden Text.
Drei musikalische Motive fließen in seiner Komposition zusammen: das Lebensmotiv, das Todesmotiv und das Verbindungsmotiv. Sehr dunkel, kaum fassbar, beginnt das Stück. Flöten und weitere Instrumente hellen es auf. Mit einem Mal bäumt sich das gesamte Orchester geradezu auf und fällt wieder in sich zusammen. Dann setzt das Sopransolo ein. „Es ist ein ständiges Wechselspiel zwischen Licht und Dunkelheit. Ein ständiges Ringen zwischen Leben und Tod“, erklärt Zschorlich. „Zum Ende überwiegt das Strahlende und Freudige. Das Stück endet nicht im großen Feuerwerk, sondern in friedvoller Stille. Nur leise Glockenschläge sind noch zu hören. Es ist die Hoffnung auf ein friedlicheres, glückseligeres Leben.“
Die Jury des Kompositionswettbewerbs zollte Lukas Zschorlich Respekt. „Er zeigt mit seiner Tondichtung eine erstaunliche kompositorische Reife“, meint Stefan Zuschke, Pressesprecher des Sorbischen Nationalensembles. „Seine interessante Orchesterführung und die von ihm vorgegebenen ausgefallenen Spieltechniken für verschiedene Instrumentengruppen sind anspruchsvoll und bewundernswert. Seine Komposition zeugt von ausgezeichneten Kenntnissen der Instrumenten- und Harmonielehre.“
Lukas Zschorlich freut sich über die Ehrung. In Wittichenau ist er in einer musikalischen Familie aufgewachsen. Schwester Thea (22) spielt Klavier und singt, seine Schwester Greta (20) spielt Querflöte und singt. Der zwölfjährige Bruder Emmanuel übt Trompete und Klavier. Lukas selbst spielt seit seinem vierten Lebensjahr Klavier. Dazu gesellten sich später die Instrumente Trompete und Orgel sowie der Gesang. Seine Eltern legten Wert auf tägliches Üben. „Am Anfang war es ein lästiges Muss. Die Freude beim Musizieren kam erst nach und nach“, erinnert sich Zschorlich schmunzelnd.
In Lohsa erinnert das Handrij-Zejler-Denkmal an den sorbischen Pfarrer, Dichter, Redakteur, Landwirt und Schulinspektor (1804-1872). |
Er begeisterte sich bald für Komponisten verschiedenster Epochen wie Gustav Mahler, Dmitri Schostakowitsch, Vaughan Williams, James MacMillan. Mit 14 Jahren komponierte er ein erstes kleines Musikstück für Streicher, Pauken und zwei Trompeten. Als 15-Jähriger leitete er den sorbischen Jugendchor der katholischen Gemeinde Wittichenau. Měrćin Deleńk, damals Jugendpfarrer vor Ort, unterstützte ihn bei seinen musikalischen Tätigkeiten. „Ich merkte, wie viel Können notwendig ist, ein Ensemble oder ein Orchester anzuleiten“, erzählt Zschorlich. „Ich spürte den hohen Anspruch des Komponierens. Musik zu vertonen, verlangt Liebe, Hingabe, Demut und Fleiß.“
Inzwischen studiert er seit fünf Jahren an der Martin-Luther-Universität Halle/Saale Musik und Deutsch auf Lehramt. Seine rund 100 Seiten lange Abschluss-Arbeit für das Staatsexamen ist bereits fertig. Darin befasst er sich intensiv mit dem Thema „Filmmusik“. Dies war für ihn sowohl eine große Herausforderung als auch eine spannende Entdeckungsreise und persönliche Weiterentwicklung.
Mit Musik der Heimat etwas zurückgeben
Lukas ist musikalisch in vielen Bereichen unterwegs. „Latin, Pop, Jazz und Klassik zählen zu meinen Schwerpunkten“, erzählt er. „Aber ich bin ständig auf der Suche nach Neuem und Dingen, die mich weiterbringen.“ Im Juni 2022 will er sein Studium abschließen. „Anschließend strebe ich Aufbaustudien in Komposition und Chordirigat an. Im Vorfeld hierfür habe ich mich intensiv mit Harmonie- und Orchestrationslehre befasst. Ich will das Komponieren vertiefend erlernen. Mal sehen, in welche Stadt es mich zukünftig verschlägt. Es hat sich immer gefügt… “ so Zschorlich. Dankbar ist er für die unzählige Unterstützung auf seinem bisherigen musikalischen Weg. „Vielleicht kann ich eines Tages meiner Heimat mit meiner Musik etwas zurückgeben.“ Wenn er zu Hause in Wittichenau ist, begleitet er Gottesdienste an der Orgel.
Gerade beim Studium spürt er heute, wie wertvoll Verbindlichkeit, eine gefestigte Familie, ein tragender Glaube und eine gelebte deutsche und sorbische Sprache sind. „Ich und meine Geschwister spüren: Es ist weit mehr als nur Sprache. Es ist kulturelle Identität.“ Lukas Zschorlich hofft, dass sein Zejler-Stück „Njesmjertnosć“ im Mai 2022 beim sinfonischen Konzert des Sorbischen Nationalensembles uraufgeführt wird.
„Zejlers Zeilen stießen bei mir als jungen Christen auf fruchtbaren Boden“, meint der Wittichenauer. „Das Schöne ist: das Gedicht hat in mir viele neue Klangbilder und viele neue Klangfarben geweckt.“ Hoffnungsvoll endet Lukas Zschorlichs Komposition. „Wir sind Kinder der Unsterblichkeit“, gehen Handrij Zejlers Schlusszeilen im Gedicht damit einher. „Dort oben (im Himmel) sehen wir uns wieder.“
Von Andreas Kirschke