Diözesanmuseum Osnabrück bietet Führungen in Leichter Sprache an
So scheitert der Besuch nicht an der Sprache
Thomas Osterfeld
Menschen mit Lernschwierigkeiten brauchen bei einer Führung im Dom oder einem Museum Unterstützung. Weil es ihnen nicht leichtfällt, alle Einzelheiten schnell zu verstehen. In Osnabrück gibt es deshalb Führungen in Leichter Sprache.
„Vor Gericht und auf hoher See sind alle Menschen gleich“, sagt ein leicht abgewandeltes Sprichwort. Heute können wir hinzufügen: „Und vor der Museumstür.“ Es hat geregnet. Museumspädagogin Jessica Löscher bittet deshalb darum, die feuchten Jacken abzulegen. Egal ob Rollstuhlfahrer oder nicht, ob mit Handicap unterwegs oder nicht. Im Keller gibt es Schließfächer. „Sonst kommt zu viel Luftfeuchtigkeit ins Museum, das schadet den Bildern“, sagt sie und alle aus der Gruppe machen sich auf den Weg ins Untergeschoss. Dann, nach kurzem Gewusel, zeigt sich, dass hinter der Museumstür sehr wohl Unterschiede herrschen. Wer ohne Probleme lesen kann, wer gut hört, wer das, was er aufnimmt, einzuordnen und zu bewerten weiß, der braucht in der Regel beim Besuch einer kulturellen Einrichtung keine Hilfestellung. Die Mitglieder der Gruppe, die heute zu Gast sind, kommen aber ohne Erklärungen nicht klar – sie haben Lernschwierigkeiten. Es fällt ihnen nicht leicht, lange Sätze zu verstehen oder Fremdwörter schnell einzuordnen. Und weil sie alle mit diesem Handicap unterwegs sind, weiß Jessica Löscher, dass sie es einfach halten muss. Keine langen Erklärungen, keine Fachbegriffe. Und trotzdem den Inhalt verständlich transportieren. Dafür wurde die Leichte Sprache entwickelt (siehe „Stichwort“).
Ein Schatz? Das klingt für die Gruppe geheimnisvoll und großartig
„Kann mich jeder hören?“ Die Frage gehört an den Beginn jeder Führung, heute ist sie besonders wichtig. Aber es klappt, die Frauen und Männer, die zusammen mit Mitarbeiterinnen der Heilpädagogischen Hilfe (HHO), einer Einrichtung für behinderte Menschen, angereist sind, finden sich zurecht. Auch als Jessica Löscher alle bittet, im ersten Raum bei geringem Licht einen Kreis um ein Modell des Doms zu bilden. Gut 45 Minuten soll die Führung dauern, Zeit genug, um einen Spannungsbogen aufzubauen. „Wir fangen hier ganz früh an“, sagt sie, bevor sie auf die Gründung des Bistums zu sprechen kommt. „Und am Schluss sehen wir uns an, wie die Kirche heute aussieht. Und dazwischen sehen wir uns den Domschatz an.“
Ein Schatz? Das klingt für die Gruppe großartig, etwas geheimnisvoll. Am Modell erklärt Löscher zunächst, wo man sich gerade befindet. Den Dom kennen die meisten, denn sie haben bereits eine entsprechende Führung mitgemacht – ebenfalls in Leichter Sprache. Besonderes Highlight: Mit Hilfe eines Luftballons und eines Seils wurde die Gewölbehöhe der Bischofskirche ausgemessen. Deshalb wissen auch viele, wo sie jetzt stehen: direkt neben dem Kreuzgang, der an den Dom anschließt. „Und was ist das?“, fragt Löscher und zeigt auf eine bestimmte Stelle im Modell. „Sieht aus wie ein Kupfereimer“, sagt einer aus der Gruppe. Er hat den Probenraum des Domchores entdeckt, der seit 2008 in Betrieb ist. Bei Jessica Löscher klingt das so: „Das ist noch ganz neu, da singt der Chor.“
„Wissen Sie, was für ein Mann das Bistum Osnabrück gegründet hat?“, will Löscher jetzt wissen. „War das Bischof Petrus?“, fragt einer zurück. Die Museumsführerin erzählt, dass es ein König war, der Karl hieß. Ob denn wohl etwas in den Vitrinen auf einen König hinweise, will sie wissen. Schnell ist die Krone entdeckt, die hinter Glas liegt. „Mit Anfassen ist das in einem Museum ja so eine Sache“, sagt Löscher und erklärt damit, dass sie das wertvolle Stück nicht aus der Vitrine nehmen darf. Aber dann greift sie in einen mitgebrachten Beutel und holt eine Krone aus Goldpapier hervor. Jeder darf sie mal aufsetzen und nachempfinden, wie man sich als König fühlt.
Jessica Löscher hat sich schon viel mit Leichter Sprache beschäftigt, hat nicht zuletzt dafür gesorgt, dass es für Dom und Diözesanmuseum entsprechende gedruckte Führer gibt. Seit einiger Zeit setzt sie dieses Wissen auch für ihre Führungen ein. Die Leichte Sprache sei dafür eine tolle Brücke, sagt sie. Denn sie will das Museum nicht denen vorbehalten, die in der Lage sind, es sich selbstständig zu erschließen. Jene seien privilegiert, aber „ein Museumsbesuch darf doch nicht an der Sprache scheitern“, sagt sie. Ob es eine Herausforderung für eine Führung in Leichter Sprache gebe? „Sie ist nicht anders als bei jeder Führung“, sagt sie, „ich muss eine Sprache finden, mit der jeder das versteht, was ich vermitteln möchte.“ Üblicherweise pflegten wir eine eher schwere Sprache.
Und so vermeidet sie es heute, all ihr Wissen auszupacken. Löscher fasst sich kurz, spart mit Fakten, nennt Jahreszahlen nur, wenn danach gefragt wird. Lieber greift sie in ihre Tasche und zieht etwas hervor. Zum Beispiel etwas Weihrauch. „Das kenne ich, ich war schon öfter Messdiener“, sagt einer. Und schnuppert jetzt an der Dose mit dem Wohlgeruch, bevor er sie an die nächste Besucherin weiterreicht.
Jede Gruppe ist anders, jede hat eine eigene Dynamik, das ist auch heute der Fall. Alle hören aufmerksam zu, Einzelne beteiligen sich, indem sie Antworten geben oder eigene Fragen stellen. Es geht um liturgische Gewänder, darum, warum die Farbe Purpur so wertvoll ist (für die Herstellung waren Schnecken notwendig), warum Knochen ein wertvoller Schatz sein können (weil es sich um Reliquien heiliger Menschen handelt) und wie es dazu kam, dass die Holzfigur vom Drachentöter Georg einst zum Erzengel Michael umfunktioniert wurde. Man befestigte einfach Engelsflügel daran.
Geradewegs steuert die Gruppe auf den Höhepunkt der Führung zu, und Jessica Löscher hat nicht zu viel versprochen. Der Domschatz ist erreicht, goldene Kreuze, Gefäße und Figuren laden ein zum Staunen. Das abgedunkelte Licht gibt den Exponaten eine besondere Wirkung. Und weil man natürlich auch hier nichts anfassen darf, holt die Führerin noch einmal etwas aus ihrer Tasche: ein Glas mit etwas Goldenem darin. Man ist geneigt, billige Folie zu vermuten, doch es ist echtes Blattgold.
Löscher bittet alle, die Hände zu einer Schale zu formen, in die sie etwas von dem Gold schütten wird. „Und machen sie die Hände ruhig noch einmal besonders trocken.“ Alle sind so behutsam, wie sie nur können, jeder kann fühlen, dass er etwas Besonderes in der Hand hält. „Da bleibt ja etwas an den Fingern kleben“, sagt ein junger Mann. „Macht nichts“, erwidert Löscher. Und fügt hinzu: „Sie werden alle vergoldet aus dem Museum gehen, das verspreche ich ihnen.“ Ganz vorsichtig gibt eine Hand das Gold der nächsten Hand weiter. Was auf den Boden fällt, wird wieder aufgesammelt. Statt nur von der Kostbarkeit des Materials zu sprechen, setzt die Museumspädagogin gezielt das Material ein, um dann zum Inhalt zu kommen.
„Jetzt sehen wir, dass die Kirche auch heute noch lebendig ist“
Im letzten Raum schließt sich der Kreis der Führung. „Wir haben in der Geschichte ganz früh angefangen, und jetzt sehen wir, dass die Kirche auch heute noch lebendig ist“, sagt Löscher. Dabei zeigt sie auf einen Monitor, auf dem in Dauerschleife Fotos aus den Kirchengemeinden zu sehen sind. Zum Beispiel von der Telgter Wallfahrt. Oder von den Sternsingern. Die sorgen für Jubel, sind sie doch jedem hier bekannt. Dann kommt eins von der Jugendvesper im Dom, Bischof Bode ist in seiner Albe zu sehen. „Der Papst“, ruft einer. Dass der Bischof zurückgetreten ist, wissen alle in der Gruppe. Einer weiß noch mehr: „Es dauert ein Jahr, bis ein neuer gewählt ist“, sagt er.
Schluss.
Die Frauen und Männer sind am Ausgang angekommen, in einem Café warten Kaffee und Kuchen auf sie. Eine knappe Stunde hat die Führung gedauert, mancher sieht erschöpft aus. „Das ging ja schnell“, ruft eine junge Frau. Jessica Löscher sieht es als Bestätigung ihrer Arbeit: „Dann kann es ja nicht langweilig gewesen sein, wenn die Zeit so schnell vergangen ist“, sagt sie. Und das ist eine Erkenntnis, die dann wieder zu jeder Besuchergruppe passen würde.