Sterben nach eigenem Willen

Image
Thema Freitod in einer Matinee des Harburger Theaters. V.l. Elke Neuendorf, Christoph Lenzen, Regina Holst, Peter Meinke, Anne Schieber.
Nachweis

Foto: Andreas Hüser

Caption

Thema Freitod in einer Matinee des Harburger Theaters. V.l. Elke Neuendorf, Christoph Lenzen, Regina Holst, Peter Meinke, Anne Schieber. 

Dem Leben selbst ein Ende setzen, Freitod mit ärztlicher Hilfe. Das ist möglich. Ist es auch erlaubt? Im Harburger Theater gaben dazu Menschen, die mit Krankheit und Tod täglich zu tun haben, interessante Einblicke.

Darf Richard Gärtner sich töten? Darf man ihm ein tödliches Medikament geben, das sein Leben mit 78 Jahren beendet? Richard Gärtner ist kerngesund, aber nach dem Tod seiner Frau hält er sein Leben für sinnlos. Er will sterben. Ein Urteil des Bundesverfassugsgerichts von 2020 hat dazu Möglichkeiten eröffnet. Zum Selbstbestimmungsrecht jeder Person, so die Verfassungsrichter, gehört auch das Recht zum Suizid. Richard Gärtner ist eine Figur aus Ferdinand von Schirachs Schauspiel und Film „Gott“. Das Stück und der Film entstanden im Jahr 2020. Die Handlung ist nicht sehr theatralisch: Ein vierköpfiger Ethikrat, darunter ein Arzt und ein katholischer Bischof, diskutieren den Fall Richard Gärtner. 

Am Ende fällen sie eine Entscheidung. Das Besondere: Auch die Zuschauer dürfen in einer Abstimmung darüber entscheiden. 

„Gott“ ist schon an vielen Theaterbühnen gespielt worden. So auch jetzt am Harburger Theater in Hamburg. Aber vor der ersten Vorstellung hat das Theater einen eigenen „Ethikrat“ auf die Bühne geladen. Nur die Moderatorin Anne Schieber ist Schauspielerin und spielt in „Gott“ mit. Ihre vier Gesprächsteilnehmer müssen sich in der Realität dem Thema Tod und Sterbehilfe stellen. Die katholische Kirche etwa vertritt kein Bischof, sondern Diakon Peter Meinke. Als langjähriger Notfall- und Polizeiseelsorger ist er schon auf Kräne und Brücken geklettert, von denen sich junge Menschen herabstürzen wollten. 

Als Leiter eines Altenheims und Mitbegründer eines Hospizvereins kennt er die Gründe, warum Menschen „Schluss machen“ wollen: Verzweiflung und Einsamkeit bei jüngeren Menschen, bei den Alten die Angst, in der letzten Stunde allein gelassen zu werden. Der Wunsch „ich möchte niemandem zur Last fallen“ steht gegen das noch größere Bedürfnis „ich möchte nicht allein bleiben. Ich möchte an der Hand eines Menschen sterben.“ Peter Meinke sieht den Suizidwunsch als Folge der Sprachlosigkeit und der fehlenden Beziehungen. „Es ist gut, dass wir hier darüber sprechen. Wir müssen den Tod wieder ins Leben holen. Und vor allem: Wir müssen uns um die Menschen kümmern!“ 

Die katholische Kirche lehnt die Selbsttötung ab. Der Diakon bestätigt: „Das ist die Position der Kirche. Aber letzten Endes ist jeder seinem Gewissen verantwortlich.“

Was würde heute passieren, wenn sich ein „echter“ Richard Gärtner an eine Organisation zum assistierten Suizid wenden würde? „Ich vermute, dass unsere Freitodbegleiterinnen ihm geholfen hätten“, sagt Elke Neuendorf, Rechtsanwältin und Vizepräsidentin der „Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS)“. Diese Gesellschaft ist der größte Vermittler von „Freitodbegleitung“ in Deutschland. 

Elke Neuendorf schildert den Vorgang. Mindestens ein halbes Jahr lang muss man Mitglied der Gesellschaft sein. Wer den Antrag auf eine Suizidassistenz stellt, erhält nach einer psychologischen Prüfung das Gespräch mit einem Juristen und einem Arzt. Danach wird entschieden, ob die Assistenz erfolgen kann. Der Tod erfolgt durch eine Injektion, die der Sterbende in Begleitung eines Arztes selbst per Knopfdruck auslöst. Die Leistungen werden von der DGHS mit 4000 Euro berechnet. 

» Es geht nicht um das Leiden, sondern um Einsamkeit «


Regina Holst, Pastorin


„Im Vordergrund steht für uns der eigene Wille“, sagt die Rechtsanwältin. Sie könne verstehen, dass Menschen den Freitod ablehnen, etwa aus religiösen Gründen. „Das soll ja nicht jeder machen. Aber jeder von uns trifft im Leben Entscheidungen, in die niemand hineinfunkt: Welchen Beruf wir ergreifen, ob wir rauchen oder nicht. Auch die Entscheidung, sein Leben zu beenden, warum auch immer, gilt es zu respektieren.“ 

Solch eine Entscheidung betreffe aber auch andere Menschen, gab die Pastorin Regina Holst zu bedenken. Sie ist in der Hospizarbeit und in der Seelsorge für Palliativ-Patienten tätig und hat auch assistierte Suizide erlebt. Für die Pflegedienste sei es ein Schock gewesen, wenn das Bett eines Patienten plötzlich leer gewesen sei. Auf dem Umfeld laste das Gefühl von Schuld. „Was haben wir falsch gemacht?“ 

In der Begleitung von unheilbar schwerst­kranken Menschen, berichtet Regina Holst, kommt ein Sterbewunsch erstaunlich selten zur Sprache. Die Pastorin berichtet von einer Ausnahme. Eine Patientin, die an einer schweren Krankheit ohne Perspektive auf Besserung litt, bat um Hilfe für einen schnellen Tod. Es gab dazu Gespräche mit den Angehörigen, dem Arzt und der Seelsorgerin und die gemeinsame Überlegung: Was kann man tun? Nach einer Woche, so Regina Holst, sagte die Patientin weitere Gespräche ab. „Mein Sterbewunsch ist nicht mehr akut. Die Ärzte und Sie haben mit mir gesprochen. Zum ersten Mal im Leben hat man mich ernst genommen.“ 

Man könnte meinen: Leidende todkranke Menschen, Krebspatienten, die auf den sicheren Tod zugehen, haben am meisten Grund, ihr Leben zu beenden. Nach den Erfahrungen der Praktiker ist das nicht so. „Ich betreue seit 30 Jahren Patienten, die eine Lebenserwartung von weniger als drei Monaten haben“, sagt der Arzt und Palliativmediziner Christoph Lenzen. „Ich habe Menschen erlebt, die im Laufe der Krankheit Hochs und Tiefs haben. Aber mein Eindruck ist: Diese Kranken kämpfen um jeden Tag. Sie möchten umsorgt und betreut werden.“ Unter ihnen seien viele, die „nur noch schmerzfrei sein, nichts mehr mitkriegen wollen. Aber sie haben Angst vor dem Sterben.“ 


„Der Tod soll ins Leben zurückgeholt werden“


Der Wunsch zu sterben, berichtet Pastorin Holst, begegnet ihr weniger auf den Intensivstationen und im Hospiz, viel häufiger dagegen in Altenheimen oder bei Menschen, die allein leben. „Es geht hier nicht um die Frage des Leidens. Es geht um Isolation und Einsamkeit.“ Und das sei eine Frage an die Gesellschaft, die Familie, die Nachbarschaft und auch die Seelsorge. 

Es sind unterschiedliche Grundpositionen, die am Samstag auf der Theaterbühne aufeinandertrafen. Zu einer Konfrontation wie im Bühnenstück „Gott“ kommt es aber nicht. Eine bewusste und mit den Angehörigen abgestimmte Entscheidung zum assistierten Suizid ist zu respektieren, sagen auch die Vertreter der Kirchen. Und nicht für jeden komme der Freitod in Frage, sagt die Vertreterin der Gesellschaft für humanes Sterben. 

Dass es zur Zeit in Deutschland kein gültiges Gesetz über den Umgang mit assistiertem Suizid gibt, hat auch Vorteile, sagt der Arzt Christoph Lenzen. „Ich finde eine gut gezogene Grauzone besser als ein Gesetz“. Denn das eröffne einen Spielraum für individuelle Entscheidungen. Moderatorin Anne Schieber weist am Ende auf ein anderes Problem hin: „Ich glaube, dass kein Mensch darüber sprechen möchte. Niemand will sich mit dem eigenen Tod befassen.“ „Genau aus diesem Grund haben wir den Hospizverein Hamburger Süden gegründet“, sagt Peter Meinke. „Wir wollen, dass dieses Thema nicht verschwiegen wird und dass Menschen miteinander darüber reden. Damit holen wir den Tod zurück ins Leben.“


„Gott“, ein Stück von Ferdinand von Schirach, ist im Harburger Theater (Museumsplatz 2) nach der Premiere am 2. Februar noch an vier weiteren Abenden um 19.30 Uhr – am Sonntag (4.2.) um 15 Uhr und am Samstag (17.2.) um 15 Uhr zu sehen. Karten (20 bis 38 Euro) gibt es an der Theaterkasse oder per Internet www.harburger-­theater.de
Tel. 040/333 95 060

Andreas Hüser