Fastenserie: Weniger ist mehr- Teil 5

Still und empfangsbereit

Image

In der Fastenzeit steht Verzicht ganz oben auf der Liste der guten Vorsätze. Aber Verzicht muss nicht wehtun, weniger kann auch mehr sein. Etwa in Sachen Sprechen. Teil 5 unserer Fastenserie.

Fotos: pa/Image Source;  pa/Godong
Die Stille genießen: Schweigen kann schwerfallen, aber es kann helfen, den inneren Kompass neu auszurichten. Fotos: pa/Image Source;  pa/Godong


Ich kann mich noch gut an meinen ersten Kurs im Schweigen erinnern. Bei einer Wanderung hatte ich in der Basilika Vierzehnheiligen am Schriftenstand einen Artikel über das Meditationshaus Dietfurt gelesen. Der Bericht über das Sitzen in Stille faszinierte mich. Er sprach eine Sehnsucht tief in mir an. Das wollte ich ausprobieren! Ohne zu wissen, auf was ich mich da einlasse.

Nach der Einführungsrunde am ersten Abend ging es ins Schweigen. Es war ungewohnt und fühlte sich komisch an. Ich war unsicher, was den Blickkontakt anging. War das erwünscht oder verpönt? Und wie sollte das beim Essen funktionieren? Die gemeinsame Meditation war auch gewöhnungsbedürftig. Ich fühlte mich zunächst sehr unwohl. Am dritten Tag war ich so weit, meinen Koffer zu packen. Und dann begann der Franziskanerpater, der den Kurs leitete, seine Ansprache an diesem Tag mit dem Satz: „Schön, dass ihr alle noch da seid. Der dritte Tag ist der gefährlichste, da reisen die meisten ab.“ Und was soll ich sagen? Ich bin nicht abgereist und es wurde eine wunderbare Woche! 

Das ist 15 Jahre her. Seitdem sind viele Kurse im Schweigen dazugekommen, von Wochenendseminaren über sieben- und zehntägige Kurse bis zu 30-tägigen Exerzitien. Jedes Mal freue ich mich darauf, wenn wir am ersten Abend nach der Vorstellungsrunde alle ins Schweigen gehen. Ab dann darf ich nur noch einmal am Tag mit meinem Begleiter oder meiner Begleiterin sprechen. Dieses Gespräch kann nur wenige Minuten dauern oder auch einmal mehr als eine Stunde, je nachdem, welchen Kurs ich mache. Bei kontemplativen Exerzitien gibt es zusätzlich eine Anhörrunde pro Tag, in der ich mitteilen kann, wie es mir geht. Die anderen hören nur zu, erhalten darüber aber vielleicht hilfreiche Hinweise für den eigenen Weg.

Was ist das Schöne am Schweigen? Ich rede zwar in meinem Alltag nicht besonders viel. Aber ich höre relativ viel zu und ich lese viel und nehme dadurch viele Informationen auf. 

Für mich bedeutet das Schweigen also nicht nur den Verzicht auf eigenes Reden, sondern es ist auch eine Unterbrechung der Informationsflut, die auf mich einstürmt. Ich darf einfach nur da sein und wahrnehmen. Ich muss bei den Mahlzeiten keinen Small Talk machen und muss mir keine langen Erzählungen der anderen Kursteilnehmer anhören. Genauso faste ich geschriebene Worte, indem ich nichts lese: keine E-Mails, keine Zeitungen, auch keine geistlichen Bücher – nur die Lektüre der Bibel kann sinnvoll und erlaubt sein.

Und kann Schweigen auch schwerfallen? Ja, das kann es. Ich habe auch schon erlebt, dass mein Schweigen nur ein äußeres Schweigen war. 

Ich habe zwar nicht geredet, aber in mir war es sehr laut: Gedanken ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Ich regte mich über andere auf, zum Beispiel über meinen Nachbarn bei der Meditation, der so laut atmete und – für meine Begriffe – dauernd herumzappelte. Statt nur wahrzunehmen, war ich damit beschäftigt, zu bewerten und bisweilen auch zu verurteilen. Und manchmal würde ich gerne ein schönes Erlebnis mit jemandem teilen, auch mit Worten. 

Und was bringt das Ganze? Mir persönlich hilft es, meinen inneren Kompass wieder neu auszurichten. Mich auf das Wesentliche zu besinnen und die Prioritäten neu zu setzen. Dankbar zu sein für all das Schöne in meinem Leben. 

Ich lebe bewusster und viele äußere Ablenkungen sind im Laufe der Zeit weggefallen. Durch die Meditation und die Menschen, denen ich dabei begegnet bin, ist nach einem Glaubensabbruch in meiner Jugend die Gottesbeziehung sehr wichtig geworden für mich. Und ich habe mein Leben beruflich umgekrempelt: Anstatt weiterhin als Informatikerin tätig zu sein, mache ich jetzt Öffentlichkeitsarbeit für ein Exerzitienhaus und habe dafür meine fränkische Heimat verlassen und bin nach Dresden umgezogen.

Es ist schwer zu beschreiben, welche Erfahrungen man bei einem Kurs im Schweigen machen kann. Das bekommt man nur durch Ausprobieren heraus! Ich habe zum Beispiel festgestellt, dass ich die anderen Kursteilnehmer im Schweigen besser kennenlerne als durch viele gewechselte Worte, weil man eben nicht nicht kommunizieren kann. Ich sehe, wie jemand einen Raum betritt, was und wie jemand isst, ob jemand immer zu spät kommt und so weiter. 

Und weil nicht gesprochen wird, sind alle gleich, egal, welche Funktion sie im Alltag innehaben. Bei Spaziergängen entdecke ich viel mehr, wenn mich keine Gespräche ablenken. Und Gott hören und spüren kann ich auch nur, wenn ich still bin und empfangsbereit. Ich hatte schon Situationen in Exerzitien, in denen ich die Gegenwart und Liebe Gottes ganz intensiv gefühlt habe. Aber auch das ist schwer in Worte zu fassen. Lassen Sie sich einmal darauf ein!

Claudia Arnold