Erzbistum München und Freising gendert jetzt

Streit ums Sternchen

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Immer mehr christliche Organisationen benutzen eine geschlechtergerechte Sprache. Manche wittern da schnell eine Abkehr vom Glauben. So hat der Pressechef des Erzbistums München und Freising heftige Empörung erlebt. Er wehrt sich.

Ein Aufkleber trägt die Aufschrift *innen.
Kleine Zeichen, große Aufegung: Manche nutzen den Genderstern, andere das
Binnen-I – und viele neuerdings auch den Gender-Doppelpunkt.

Von Andreas Kaiser

Ein simpler, kurzer Glückwunschtext des Erzbistums München und Freising hat jüngst eine veritable Welle der Empörung losgetreten. „Wir freuen uns, dass es im Erzbistum neue Kirchenmusiker*innen gibt“, hieß es Ende Januar auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Während etliche konservative Katholiken dem Erzbistum vorwarfen, sich nunmehr endgültig dem linksextremistischen Gendergaga und Sprachwahn unterworfen zu haben, fragten andere spöttisch nach, wann es im Gegenzug die ers­ten Kardinäl*innen bzw. Päpst*innen geben werde. Auch von „glaubensfernen Aktivisten“, die „das Kreuz gegen Gendersternchen ausgetauscht“ hätten, war die Rede. 

Als schließlich ein Nutzer dem Erzbistum vorwarf, seinen Einsatz für eine geschlechtsneutrale Sprache mit der Kirchensteuer zu finanzieren, verlor Bernhard Kellner, der Pressesprecher der Erzdiözese, kurz die Contenance. In einem Tweet bezeichnete er die Kritik an den Gepflogenheiten im Erzbistum von Kardinal Reinhard Marx als dämlich. Auf die Frage nach den Beweggründen für seine Wortwahl sagte Kellner im Gespräch mit dieser Zeitung: „In den sozialen Medien gibt es eine fundamentalistische Strömung. Da sind zum Teil Leute unterwegs, die versuchen, alles zu skandalisieren und die Amtskirche insgesamt lächerlich zu machen. Für die steht der Genderstern für eine vermeintlich modernistische und angepasste Kirche, die sich vom angeblich wahren Katholizismus verabschiedet hat.“ Dies aber sei mitnichten der Fall. Das Erzbistum bemühe sich lediglich, „eine wertschätzende Sprache zu verwenden. Wir wollen niemanden ausgrenzen.“ 

Bernhard Kellner ist Pressesprecher des Erzbistums München und Freising.
Er will eine wertschätzende Sprache: Bernhard Kellner,
Pressesprecher des Erzbistums München und Freising

Vor allem auf Twitter, wo man für eine Nachricht gerade mal 280 Zeichen Platz hat, sieht Kellner in dem Genderstern „eine kurze und elegante Möglichkeit, um alle Menschen mitzunehmen, egal ob weiblich, männlich oder divers“. Zudem koste die Verwendung des Sonderzeichens niemanden auch nur einen Cent. Das sieht man auch im Erzbistum Berlin ähnlich. „Wer den Genderstern verwendet, will vermeiden, durch Sprache auszugrenzen“, sagt Bistumssprecher Stefan Förner. Dieses Anliegen müssten auch die anerkennen, die sich um die katholische Lehre sorgen.

Neben dem Erzbistum München und Freising haben sich inzwischen auch etliche andere christliche Organisationen einer bewusst geschlechtergerechten Sprache verschrieben – etwa das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), das Hilfswerk Misereor, der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) sowie die gesamte Evangelische Kirche in Deutschland. Ob dies nun in Schriftstücken mit Schrägstrichen oder Paarformen, etwa Journalistinnen und Journalisten, dem Genderstern, dem Binnen-I (LehrerInnen) oder neutralen Personenbezeichnungen (zum Beispiel Mitarbeitende, Geflüchtete) geschieht, bleibt dabei zumeist dem Einzelnen überlassen. Verbindliche Vorgaben, welche Form verwendet wird, gibt es in München und in anderen Bistümern bisher jedenfalls keine. 

Auch mit dem Shitstorm im Internet ist die bayerische Erzdiözese nicht allein. Fast immer, wenn sich in der Vergangenheit Behörden oder Verbände entschlossen haben, zukünftig geschlechtsneutral zu formulieren, löste das zum Teil sehr erbittert geführte Diskussionen aus. Während etliche konservative und auch ältere Menschen in den Formulierungen eine Verhunzung der deutschen Sprache sowie eine neue Form der politisch-moralischen Bevormundung erblicken, ist sie für viele jüngere Menschen ein selbstverständliches Zeichen für die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Vor allem Politikerinnen von SPD, Linken und Grünen gendern längst ganz bewusst, um so die männliche Dominanz in der Sprache zu durchbrechen. Erst jüngst hatte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht sogar einen gesamten Gesetzestext mit weiblichen Endungen verfassen lassen. Nach dem Aufstöhnen des Koalitionspartners ruderte sie allerdings zurück.

„Nur tote Sprachen verändern sich nicht mehr“

Vom Rat für deutsche Rechtschreibung gibt es zwar noch keine amtliche Empfehlung zur Verwendung einer inklusiven Sprache. Doch immerhin hat jüngst der Duden den Genderstern in den Club der offiziellen deutschen Wörter aufgenommen. Die Begründung lautete, dass sich das Sternchen immer mehr im schriftlichen Sprachgebrauch durchsetzen würde. In einigen öffentlich-rechtlichen Rundfunksendern wie dem Deutschlandradio wird der Genderstern oder das Binnen-I inzwischen sogar laut als kurze Pause ausgesprochen. 

Das klingt zunächst ungewohnt. Auch das Schriftbild verändert sich dadurch. Doch der Gewöhnungseffekt scheint allmählich einzusetzen. „Bei uns werden seit Jahren wie selbstverständlich in sämtlichen Papieren alle Geschlechter, auch die intersexuellen Varianten, bewusst und gleichberechtigt miteingeschlossen. Das gehört zu unserem Menschenbild einfach dazu“, sagt etwa Ralph Allgaier, Sprecher des katholischen Hilfswerks Misereor.

Die Sprachwissenschaftlerin Damaris Nübling rät den Deutschen in der oft erhitzten Debatte zu mehr Gelassenheit und Sachlichkeit. Eine Sprache sei nun mal kein unveränderliches, starres Gebilde, sondern entwickle sich stetig weiter und passe sich an neue gesellschaftliche Gepflogenheiten an. „Nur tote Sprachen verändern sich nicht mehr“, sagt die Professorin der Universität Mainz. Derselben Meinung ist auch der ehemalige Journalist und heutige Bistumssprecher Kellner. „Das Ganze wird organisch wachsen“, sagt er. 

Zudem könnte die Aufregung um den Genderstern schon bald Schnee von ges­tern sein. Inzwischen ersetzen immer mehr Menschen das Sternchen durch einen Doppelpunkt. Der sogenannte Gender-Doppelpunkt wird von vielen Vorleseprogrammen, anders als der Stern, nicht laut vorgetragen, sondern nur als kurze Pause interpretiert.