Befragung zu Missbrauch in Orden

"Studie ist ein Schlag ins Gesicht"

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Es ist der Versuch, mehr Klarheit über den sexuellen Missbrauch durch Ordensleute zu gewinnen. Eine selbst organisierte Fragebogen-Aktion der Deutschen Ordensobernkonferenz brachte neben kaum belastbaren Zahlen über Beschuldigte und Betroffene aber vor allem eins - massive Kritik seitens der Betroffenen.  

Der Schatten eines Kreuzes fällt auf den dunklen Boden.
Hohe Dunkelziffer? Eine Befragung zum Missbrauch in Orden lässt viele Fragen offen. 

Laut einer vorige Woche in Bonn präsentierten Umfrage unter 392 Gemeinschaften gab es in den vergangenen Jahrzehnten Missbrauchsvorwürfe gegen mindestens 654 Mitglieder aus deutschen Orden. Wenigstens 1.412 Kinder, Jugendliche oder Schutzbefohlene sind betroffen von diesen sexuellen Übergriffen. Zudem sprechen die Verantwortlichen von einer nicht näher bestimmbaren Dunkelziffer. Einige Orden reagierten nicht oder zu spät auf die Umfrage oder wälzten keine Personalakten.

Initiiert hat die Untersuchung die Deutsche Ordensobernkonferenz (DOK), also die Dachorganisation der Gemeinschaften. Die Befragung erfolgte laut der Vorsitzenden Katharina Kluitmann in Eigenregie und ohne Beteiligung von Wissenschaftlern, weil das finanziell nicht zu stemmen sei. Die Befragung könne keinesfalls mit der im Herbst 2018 veröffentlichten MHG-Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz verglichen werden. Diese Untersuchung eines Forscherkonsortiums hatte in Kirchenakten Hinweise auf 3.677 Missbrauchsbetroffene und 1.670 beschuldigte Kleriker im Zeitraum von 1946 bis 2014 entdeckt.

An der Umfrage der DOK hatten sich mit 291 Gemeinschaften etwa drei Viertel beteiligt, in denen 88 Prozent der heutigen Ordensmitglieder leben. 100 Orden - also ein Viertel - gaben an, in den vergangenen Jahrzehnten mit Vorwürfen zu verschiedenen Missbrauchsformen konfrontiert worden zu sein. Während einige Gemeinschaften von mehr als 100 Meldungen berichteten, waren es bei den meisten anderen weniger als 10. Vorwürfe verzeichneten 53 von 77 Männerorden, aber auch 47 von 214 Frauenorden. 80 Prozent der Beschuldigten sind verstorben. Zusätzlich zu den 654 Ordensleuten wurden 58 Angestellte von Orden belastet.

Kluitmann und die DOK-Generalsekretärin Agnesita Dobler verweisen auf die Grenzen, die der Ordensobernkonferenz bei Aufarbeitung wie Prävention gesetzt sind. Verantwortung dafür trügen in erster Linie die einzelnen Gemeinschaften, von denen immerhin 7 inzwischen 14 Studien vorgelegt hätten. Umgekehrt hätten 78 Orden angegeben, sich noch nie gemeinsam mit dem Thema befasst zu haben - davon sogar 16 mit Kontakt zu Minderjährigen und Schutzbefohlenen. Der Dachverband habe da keine Weisungsbefugnisse und könne nur anregen und auf Schwachpunkte hinweisen. In Planung seien auch ein Leitfaden zur Führung von Personalakten, Workshops zur Erarbeitung von Schutzkonzepten oder die Einstellung einer Fachkraft für Prävention, die Orden beraten soll. 

Die Veröffentlichung komme zu spät 

Betroffenen-Initiativen quittierten die DOK-Befragung mit scharfer Kritik und zeigten sich empört. Von einer "dilettantischen Befragung der Ordensgemeinschaften" sprach Matthias Katsch vom "Eckigen Tisch". Der aus 12 Betroffenen bestehende Beirat des Erzbistums Köln erklärte: "Diese Veröffentlichung ist ein Schlag ins Gesicht all der Betroffenen, die sich seit einem Jahrzehnt für eine konsequente Aufarbeitung der Geschehnisse in den Internaten, Schulen und Heimen deutscher Orden einsetzen." Eine solche Studie komme "neun Jahre nach Bekanntwerden der ersten Fälle" zu spät. Das Gremium zweifelt die Zahl von rund 1.400 Betroffenen an und fragt nach der Höhe der Dunkelziffer. Das Argument, die Orden hätten für eine wissenschaftliche Studie nicht die notwendigen Mittel, lässt der Rat nicht gelten. Die Dachorganisation hätte bei den Bistümern, dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, dem Bund, bei Ländern, Universitäten oder Stiftungen um Unterstützung nachsuchen können.

Die Betroffenen verlangen, alle relevanten Aktenbestände der Ordensgemeinschaften zu sichern und sie den Staatsanwaltschaften zur Verfügung zu stellen. Sofern es sich um verjährte Fälle handle, "müssen die so gesicherten Unterlagen einer baldigst einzurichtenden zentralen Aufarbeitungskommission zugeleitet werden", so der "Eckige Tisch". Keinesfalls dürfe mit Hinweis auf verarmte Gemeinschaften den Opfern eine angemessene Entschädigung verweigert werden.

Aus Sicht des Betroffenenrats müssen die Missbrauchsopfer von Ordensleuten die gleiche Entschädigung oder Anerkennungszahlung erhalten wie die von Bistumsmitarbeitern. Laut DOK können die Orden die von den Bischöfen geplanten ud zuletzt erhöhten Summen zwischen 5.000 und 50.000 Euro pro Fall nicht aus eigener Kraft aufbringen. Sie seien grundsätzlich für ein einheitliches Vorgehen, bedürften dazu aber der Unterstützung. Die Ordensobernkonferenz wolle mit der Bischofskonferenz eine gemeinsame Lösung suchen und kooperieren.

Diese "deutliche Willensbekundung der Orden" für ein einheitliches Vorgehen begrüßte der Missbrauchsbeauftragte der Konferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann. Er sicherte seitens der Bischöfe zu, bereits praktizierte Kooperationen «wo immer möglich» fortzusetzen, zu verstärken und auch die Orden zu unterstützen.

Auch der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung Johannes-Wilhelm Rörig signalisierte Unterstützung für einen "strukturierten Aufarbeitungsprozess" bei den Ordensgemeinschaften. Er hoffe zugleich, "dass die DOK dabei zusätzlich starke Unterstützung aus dem Kreis der Orden und Diözesen erhält", sagte Rörig der Katholischen Nachrichten-Agentur. 

kna