Berliner Corona-Telefonseelsorge

Täglich werden es mehr Anrufer

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In Berlin sitzen 50 Haupt- und Ehrenamtliche an den Hörern der ersten deutschen Corona-Telefonseelsorge. Vor allem die Bewältigung des Alltags und fehlende Gottesdienste beschäftigen die Anrufer.

Im Zusammenhang mit dem Coronavirus suchen immer mehr Menschen telefonischen Rat.    Foto: Corona-Seelsorgetelefon Berlin

 

Am 17. März ging es los. Seitdem klingelt es immer öfter zwischen 8 und 18 Uhr unter der Rufnummer 0 30 / 4 03 66 58 85 beim bundesweit ersten ökumenischen Corona-Seelsorge-Telefon in Berlin. Ein Team von derzeit 50 evangelischen und katholischen Haupt- und Ehrenamtlichen steht bereit, um für die Nöte und Sorgen der Menschen da sein zu können. Es sind langjährig Geübte und Ausgebildete aus der Notfallseelsorge und Krisenintervention Berlin, der kirchlichen Telefonseelsorge und der Krankenhausseelsorge.
Koordiniert wird der neue konfessionsübergreifende Dienst vom evangelischen Pfarrer für Notfall- und Telefonseelsorge, Justus Münster. Schon jetzt kamen knapp 100 Anrufe, sagt er, und es werden von Tag zu Tag mehr.
„Gerade Ältere, 80plus, wenden sich an uns, weil sie alleine sind und nicht mehr einkaufen gehen können. Dann ist es Aufgabe des Corona-Seelsorge-Telefons, diese Anfrage mit anderen Hilfsangeboten von Kirchgemeinden zu verbinden. Auch das Onlineportal Nebenan.de wäre zum Beispiel so ein Angebot, zu dem wir eine Weiterleitung machen“, erklärt Justus Münster.
Oft gehe es um praktische Fragen. Wo erhalte ich ein neues Rezept? Wie oft und mit wem darf ich noch vor die Tür gehen? Wer versorgt mich mit Lebensmitteln? Wie groß ist das Ansteckungsrisiko? Eine Anruferin sagte: „Ich bin enttäuscht darüber, dass andere so sorglos sind, dass sie immer noch in Gruppen unterwegs sind. Es muss doch jetzt mal möglich sein, sich zusammenzureißen. Ich habe einen pflegebedürftigen Angehörigen und lebe einfach in Angst um sein Leben.“

Enttäuschung über verschlossene Kirchen
Was ist aber mit einem Anstieg häuslicher Gewalt, wie er von manchen Experten prognostiziert wurde? Etwa auf Grund von ungewohnter Enge angesichts von „home office“ (berufliche Arbeit von zu Hause erledigen) und „home schooling“ (Schulunterricht zu Hause). Das sei beim Corona-Seelsorge-Telefon noch kein Thema gewesen, sagt der evangelische Seelsorger Justus Münster. Viele Menschen verunsichere aber, dass alle öffentlichen Gottesdienste und Gebetstreffen bis auf weiteres untersagt sind.
„Menschen rufen bei uns an und sind sehr enttäuscht, dass die Kirche keine Gottesdienste mehr anbietet, zu denen man hingehen kann, sondern dass das jetzt alles medial erfolgt. Da fühlen sich einige abgehängt“, berichtet Münster.
Sein katholischer Kollege Norbert Verse kann zumindest die Strenggläubigen beruhigen. So sei jetzt in der Corona-Krise das kanonische Recht stellenweise auf Eis gelegt worden. „Die Sonntagspflicht, wie es bei uns heißt, ist im Moment ausgesetzt. Das ist schon vor einiger Zeit von den Bischöfen verkündet worden. So dass die, die sagen, ich muss doch, jetzt in keiner Not stecken“, versichert Bruder Norbert Verse, Koordinator für die Notfallseelsorge im Erzbistum Berlin.
Verschiedene lang geübte Rituale fallen nun aus. So sind die Weihwasserbecken aus seuchenhygienischen Gründen derzeit trocken gelegt. Die gewohnte Bekreuzigung beim Betreten der Kirche mit geweihtem Wasser fällt also aus. Auch die Kommunion wurde ausgesetzt. Nicht etwa, weil der Leib Jesu Christi, die Hostie, nun vergiftet wäre. Aber der austeilende Priester stelle jetzt ein Infektionsrisiko dar. Die Kirchen seien als Gebetsort für Einzelne aber weiter geöffnet. Nur müssten jetzt Ersatz-Rituale angeboten werden.
„Menschen sind gewohnt, dass vielleicht am Freitag ein Seelsorger mit der Krankenkommunion vorbeikommt. Die müssen jetzt andere Nahrung zu sich nehmen. Manche sprechen von der geistigen Kommunion. Ein Ersatz könnte jetzt sein, dass man eine Kerze mitgibt und diese segnet. Das ist ein kleines Symbol, an dem ich mich im Augenblick ein wenig festhalten kann“, versucht Bruder Verse zu trösten.

Notfallnummer weit gestreut
Die Anrufe beim ökumenischen Corona-Seelsorge-Telefon steigen spürbar, was wohl auch mit einer verstärkten Vernetzung der Hilfsangebote zu tun hat. Bei den Notrufen der Berliner Polizei und der Feuerwehr ist die Nummer des Corona-Seelsorge-Telefons hinterlegt. Verschiedene Berliner Betriebe wie etwa die Berliner Wasserwerke und die Gasag (Strom- und Gasanbieter) geben die Nummer der Seelsorger ebenfalls an Mitarbeiter weiter, die sich in der angespannten Situation aussprechen wollen. Im Vordergrund stehen weiter die Sorgen und Ängste vor weiteren Beschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens. Es geht auch um Beziehungsprobleme und Existenzsorgen. „Gerade in diesem Ausnahmezustand lassen wir niemand alleine. Zuhören und am Telefon erste Hilfe für die Seele leisten, ist uns jetzt besonders wichtig“, sagt Pfarrer Justus Münster.
„Viele Hotlines bieten Rat und Hilfe, aber kein dezidiert seelsorgliches Angebot. Das fehlte, glaube ich“, ergänzt sein katholischer Kollege Norbert Verse, „diese Lücke können wir mit dem Corona-Seelsorge-Telefon schließen.“
Das erste ökumenische Corona-Seelsorge-Telefon Berlin wird also schon jetzt kurz nach dem Start gut angenommen. Der Bedarf ist groß. Demnächst werden wohl auch andere Landeskirchen und Bistümer ein ähnliches Angebot in ihrer Region freischalten, geben sich die Berliner Telefon-Seelsorger zuversichtlich.

Weitere Auskünfte

Von Thomas Klatt
 

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