Studie über sexuellen Missbrauch
Taten wurden vorbereitet und angebahnt
Priester, die in Mecklenburg – bis 1995 Teil des Bistums Osnabrück – im Verdacht standen, Kinder sexuell zu missbrauchen, wurden von 1945 bis 1989 auch von der Staatssicherheit der DDR angeworben. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie über Missbrauchsfälle der katholischen Kirche Mecklenburgs.
Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße hat die Studie in Auftrag gegeben hat. Sie wurde unter Leitung der Ulmer Psychiaterin Manuela Dudeck erstellt.
Frau Dudeck, diese Studie unterscheidet sich von anderen. Es ist kein Rechtsgutachten wie in Köln, keine Fallbeschreibung wie in Osnabrück. Was war Ihr Ziel?
Wir haben die soziologische, psychologische und psychiatrische Sichtweise gewählt, nicht die juristische. Wir wollten auch bewusst unparteiisch bleiben, haben drei Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen gewählt mit und ohne Konfession, aus Ost und West. Wir haben auf die Originalzitate der Betroffenen gesetzt. Weil nur sie sagen können, was sie erlebt haben. Wenn ein ehemals Fünfjähriger sagt: „Ich habe gesehen, dass der Pfarrer ein steifes Glied hatte“, macht einen das betroffen. Wir wollten zeigen, wie diese Menschen leiden und welche Folgen der Missbrauch für sie bis heute hat.
13 Betroffene haben sich geäußert. Es gab aber noch mehr. Wie kamen Sie zu einer Gesamtsicht?
Eine Einordnung in das Umfeld haben die Akten ergeben. 1500 Akten wurden durchgesehen. Das waren kirchliche Akten, aber auch Unterlagen der Staatssicherheit. Dadurch sind wir auf valide Zahlen gekommen. Wir konnten 40 Beschuldigte für den Zeitraum 1945 bis 1989 zählen. Das deckt sich in etwa mit den Ergebnissen der MHG-Studie.
Sie haben auch Verantwortungsträger der Kirche interviewt. Sind Sie da auf Offenheit und gestoßen oder haben die eher abgeblockt?
Die Bereitschaft, einen Beitrag zur Aufklärung zu leisten, war da. Sonst hätten die nicht teilgenommen. Einer hat sein Interview zurückgezogen, aber immerhin einen schriftlichen Bericht abgegeben. Inwieweit es echtes Interesse gab, kann ich nicht sagen. Aber die kirchlichen Gesprächspartner haben deutlich gemacht, dass sie mit dem Phänomen der sexuellen Gewalt zunächst kaum etwas anfangen konnten. Erst, nachdem es einen Sprachgebrauch dafür gab, hätten sie eine Idee davon bekommen.
Sie sind Psychiaterin. Lässt sich von dem, was Sie von den Betroffenen erfahren haben, ein Rückschluss auf die psychische Verfasstheit der Täter ziehen?
Es wäre unseriös, im Nachhinein Diagnosen zu erstellen. Aber das Verhalten der Beschuldigten ist von den Betroffenen sehr detailliert geschildert worden. Es gibt auch Angaben in den Kirchenakten. Daraus kann man schon ersehen, dass diese Beschuldigten soziopathische und psychopathische Persönlichkeitsmerkmale gehabt haben. Alkohol hat auch eine Rolle gespielt. Das Machtstreben, das Strafbewusstsein, die Präsenz der Priester in den Familien, die Angriffe auf die Integrität der Menschen, das alles war durchdacht. Die Taten wurden vorbereitet und angebahnt. Ein Kind blutig zu schlagen, ihm nachher eine Jacke zu kaufen oder es zu küssen – das spricht schon für eine schwere Persönlichkeitsstörung.
Ihre Studie zeigt, wie die politische Lage, die Not der Familien, religiöse und moralische Anschauungen und kirchliche Rollenverteilung einen idealen Nährboden für sexuelle Gewalt darstellten. Musste es unter diesen Bedingungen so kommen? Hätte es auch anders laufen können?
Ja, es hätte anders laufen können - weil es auch vielfach anders gelaufen ist. Laut MHG-Studie haben 4,4 Prozent der Kleriker sexuelle Gewalt angewendet – also 95 Prozent nicht. Man kann nicht von Ausnahmen sprechen, dazu ist zu viel passiert. Aber sexuelle Gewalt ist Gott sei Dank nicht die Regel gewesen.
Aber ist genug geschehen, um diese Taten zu stoppen?
Nein. Und zu jedem Verbrechen auf der Welt lassen sich begünstigende Faktoren finden. Aber die Gesetzgeber sanktionieren die Tat und setzen auf das Abschreckungsprinzip und haben dadurch einen präventiven Effekt. Wenn aber nicht sanktioniert wird, dann entsteht ein Problem.
Die Studie ist da. Sie ist öffentlich. Welche Wirkung wünschen Sie sich?
Ich habe nach unserer Präsentation Menschen miteinander sprechen sehen. Das hat mich berührt. Ich wünsche mir, dass die katholische Kirche das geschehene Unrecht angemessen entschädigt. Was angemessen ist, entscheiden die Betroffenen selbst. Ich möchte nicht, dass die Studie in die Schublade kommt.
Interview: Andreas Hüser