Pfarrer Jörg Meyrer über den Aufbau an der Ahr
"Tränen müssen rollen dürfen"
Foto: kna/Harald Oppitz
Pfarrer Meyrer, haben Sie die Flutkatastrophe überwunden?
Mir geht es gut. Aber ich merke, wie dünn das Eis ist. Manche Dinge treffen mich tief. Ein Beispiel: Bei der Vorbereitung der Gedenkveranstaltung zum Jahrestag in der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler habe ich ein kurzes Gebet vorgelesen, das die Zerstörung und Rückkehr thematisiert. Dabei kamen die Tränen, nicht nur mir. Da ist auch Zuversicht mit drin. Aber es ist manchmal noch ganz schön schwer.
Was macht das Eis dünn?
Der Aufbau ist anstrengend und unendlich mühsam. Wir sind noch lange nicht fertig. Vielen Leuten fehlt die Energie, um weiterzumachen. Ich weiß von einigen, die krank geworden sind. Zu den eigenen Kraftquellen zu gehen und Energie aufzutanken ist in Krisensituationen wichtig. Die Realität ist hier aber oft so fordernd, dass das schnell verpufft. Zugleich sehe ich und bin dankbar, dass vieles vorwärts geht.
Woran machen Sie Fortschritte fest?
Gerade bei uns in der Stadt sind viele Fortschritte sichtbar. Geschäfte haben wieder geöffnet, die Stadt ist teilweise wieder bunt und bepflanzt, Touristen besuchen uns, wir feiern Feste. Dieses Stück Normalität zu erleben, vertraute Bilder zu sehen und mitzufeiern, das tut gut, das weist nach vorne.
Einigen Häusern im Tal sieht man an, dass dort seit der Flut nicht viel passiert ist. Daneben stehen Neubauten. Was macht diese Ungleichzeitigkeit mit den Menschen?
Die Ungleichzeitigkeit ist überall zu sehen. Manche Menschen stecken noch voll in mühsamen Arbeiten drin, müssen Anträge stellen und Handwerker finden und dabei mit ihren inneren Verletzungen leben. Andere können und wollen das Thema Flut nicht mehr hören. Ich war die Tage bei einer jungen Familie zum Taufgespräch. Die haben mit viel Arbeit ihr Haus aufgebaut, freuen sich über ihr Kind und wollen jetzt als Familie neu starten. Die sagen, das andere liegt hinter uns, wir schauen nach vorne. Diese Gegensätze bringen Spannung mit. Und es gibt auch Neid, keine Frage. Der Zusammenhalt ist schwieriger geworden.
Wenige Monate nach der Flut sagten Sie, die Katastrophe habe Mauern in den Köpfen aufgelöst. Hat sich davon etwas erhalten?
Die Blasen entstehen wieder. Das Motto "We Ahr One", wir sind eins, tritt deutlich zurück. Auch die Kontakte, die nach der Flut entstanden, sind nicht mehr so intensiv. Man kann noch daran anknüpfen. Es rutscht allerdings weg. Die Mauern und Zäune sind nicht nur zwischen den Häusern wieder aufgebaut. Das bedaure ich.
Wie sieht es in der Pfarrei aus?
Wir sind als Pfarrei mit unseren beschädigten Gebäuden kaum weitergekommen. Da geht es uns wie vielen anderen. Auch zwei Jahre nach der Flut ist noch vieles unklar. Anträge stellen, klären, was etwas kostet und wer es bezahlt, Handwerker bekommen, das ist unendlich mühsam.
Woran liegt das?
Zum einen an der Bürokratie. Wir haben beispielsweise bisher mit Architekten auf Honorarbasis zusammengearbeitet. Dabei ging es darum, wie man eine Kirche ausräumt und das Gebäude sichert. Jetzt geht es an den Aufbau und dazu brauchen wir Verträge mit Architekten. Das läuft dann wie üblich, wir brauchen drei Angebote und bei höheren Summen müssen wir europaweit ausschreiben. Das dauert Monate. Das hatte ich nach der Zusage von Bund und Land, es soll schnell und unbürokratisch gehen, anders erwartet. Klar, es geht um viel Geld und man muss gewissenhaft damit umgehen. Aber die Bürokratie verzögert den Aufbau sehr.
Klingt nach viel Verwaltungsaufwand...
Wir haben dazu in der Pfarrei einen Fachmann eingestellt, ohne den würden wir wohl nicht klarkommen – und der ist völlig ausgelastet. Dann kommt noch dazu, dass wir aufgrund der Situation keine vollständige Finanzübersicht haben. Das heißt, wir geben Geld aus, wissen aber nicht sicher, wie viel Geld wir letztendlich wirklich zur Verfügung haben - sei es von Versicherungen, staatliche Aufbaugelder, eigene Mittel oder vom Bistum. Da steht man schon etwas hilflos da.
Wo sehen Sie Aufgaben von Kirche speziell im Ahrtal in den nächsten Jahren?
Es muss weiter eine Offenheit dafür geben, noch verletzt zu sein. Es ist eben noch nicht alles gut. Tränen müssen rollen dürfen. Gleichzeitig stehen wir dafür, die Zuversicht und die Kraft nicht zu verlieren und bemühen uns, Hoffnungsmomente aufzuzeigen. Manche haben ihren Glauben und ihre Hoffnung verloren. Trotzdem nimmt man uns ab, der katholischen wie der evangelischen Kirche, dass wir ehrlich versuchen, an der Seite der Menschen im Ahrtal zu sein.
Wie erinnern Sie an den Jahrestag?
Wir machen als Kirche keine Sonderveranstaltung, sondern arbeiten mit anderen Akteuren zusammen. Am 14. Juli beteiligen wir uns an der zentralen Veranstaltung der Stadt im Kurpark. Am Tag danach sind in den Ortsteilen Begegnungen und Gedenken geplant. In Ahrweiler laden wir beispielsweise zu einem Gottesdienst auf den Friedhof ein. In Bachem gibt es ein Gedenken mit Kerzen an der Kapelle. In Walporzheim wird Bischof Stephan Ackermann eine Flut-Erinnerungskapelle segnen. Und wir erinnern in Gottesdiensten an die Opfer.