Wie Ordensfrauen Demut und Bescheidenheit erleben
Treffsicher in der Sitzplatzwahl
„Nimm den untersten Platz ein“, rät Jesus im Gleichnis. „Bei all deinem Tun bleibe bescheiden“, predigt Jesus Sirach. Typisch Kirche, mag man denken: Demut und Bescheidenheit als oberste Tugenden. Gerade Ordensfrauen wurden sie häufig gepredigt. Oder immer noch? Zwei Ordensschwestern erzählen.
Von Theresa Brandl
„Ein braves Kind gehorcht geschwind“, so erinnert sich die heute 50-jährige Schwester Rita an einen früher geläufigen Spruch zurück. Damals war es völlig normal, obrigkeitshörig zu sein, Respektspersonen nicht groß zu hinterfragen oder gar zu kritisieren, sagt sie. Und das spielte sich keineswegs nur hinter Klostermauern ab, sondern war in jeder Familie vorzufinden und gesellschaftlich vollkommen akzeptiert.
Schwester Rita selbst ist anders aufgewachsen, so, „dass wir zu Hause Dinge ausdiskutiert haben“, sagt sie. Doch gerade die älteren Klosterschwestern jenseits der 80 haben eine solche Streitkultur nicht erlebt oder einüben können, sagt die Ordensschwester. Sie ist seit 2002 Missionsschwester vom heiligen Namen Mariens und arbeitet mit einer halben Stelle für das Bischöfliche Personalreferat im Bistum Osnabrück. Im Kloster Nette, einer weitläufigen Anlage im Osnabrücker Nettetal, ist sie für das Belegungsmanagement im Exerzitienhaus zuständig, leitet Exerzitien und gestaltet die klösterliche Liturgie.
Sie mussten vor dem Bischof in die Knie gehen
Schwester Rita erinnert sich daran, dass die älteren Schwestern davon erzählt haben, wie es war, wenn früher der Gründer des Klosters, Erzbischof Berning kam: „Dann mussten sie vor ihm auf die Knie gehen.“ Oder daran, wie überrascht ihre Mitschwestern waren, als Schwester Rita beim Abschluss ihres Studiums ihre Noten kannte – das sei ihnen früher verboten gewesen, sagten sie, „weil sie ja hochmütig werden könnten“, meint Schwester Rita.
Sie hat die Erfahrung gemacht, dass sich dieses gelernte Verhalten der älteren Schwestern auch heute noch zeigt. Wenn es beispielsweise darum geht, wie sich das Kloster für die Zukunft aufstellt, merkt Schwester Rita, dass sie sich darüber nicht mehr den Kopf zerbrechen wollen. Das zu akzeptieren und sich dann eher kleineren Themen zuzuwenden statt gemeinsam nach Lösungen für die großen Probleme zu suchen, ist für Schwester Rita eine „Demutsübung“.
Schwester Rita praktiziert sie täglich, indem sie überlegt, wo sie Kompromisse eingeht und sich ihren Mitschwestern anschließt „nicht, weil ich gezwungen bin, mich zurückzunehmen, sondern weil ich auch ein Stück weit versprochen habe, dass ich nicht das Maß der Dinge bin“. Oder wo sie, wenn sie einmal gar nicht mit den Entscheidungen der anderen zufrieden ist, auch sagt: „Okay, dann gehe ich links und ihr geht rechts und wir treffen uns am Ziel wieder.“
Ein lebenslanger Kampf gegen das Ego
Auch Schwester Elisabeth, mit 68 Jahren eine Generation älter als Schwester Rita, kennt solche Situationen und bezeichnet die Demut deshalb als lebenslangen Kampf gegen das eigene Ego. Es sei wichtig, auch die eigenen Schwächen zu sehen und um Verzeihung bitten zu können, wenn man etwas falsch gemacht habe, aber auch, „dass man sich und seine Talente einsetzt“ – auch für andere. Schwester Elisabeth ist wie Schwester Rita Missionsschwester vom heiligen Namen Mariens, seit 1979, und hat 29 Jahre lang in Stockholm als Gemeindereferentin gearbeitet. Nun ist sie Teil der Ordensleitung des Klosters Nette.
Schwester Rita sagt, wenn jemand es brauche, solle man sich zu ihm nach unten bücken, um mit ihm auf Augenhöhe zu kommen. Denn einen solchen Menschen könnten wir alle von Zeit zu Zeit in unserem Leben gebrauchen. „Das könnte selbst der Bundeskanzler sein; wenn ich spüre, dass es demjenigen hilft und wichtig ist“, sagt sie. Demut ist für sie eine Haltung, die sie regelmäßig einnimmt, „damit ich nicht hochnäsig durch die Welt laufe“.
Für Schwester Elisabeth hat auch das Gebot der Nächstenliebe etwas Demütiges: „Ich bin gut zu dem anderen oder richte ihn so auf, wie ich erwarte, dass man das mit mir macht“, sagt sie.
Um die Demut zum Wohle anderer einzusetzen, müsse sie aber zunächst einmal wissen, wo genau ihr Platz im Leben sei, sagt Schwester Rita mit Blick auf das heutige Evangelium: „Dann bin ich auch treffsicherer in der Sitzplatzwahl!“ Ob der ganz vorne, hinten oder irgendwo dazwischen ist, sei letztlich unbedeutend. „Hauptsache, ich bin mit dem Platz zufrieden“. Und es sei ja keineswegs so, dass die erste Reihe immer die beliebteste ist. „Im Kino will jeder lieber hinten sitzen, wo ich den Kopf nicht verrenken muss. Wenn mein Platz weiter hinten ist und ich weiß: Das ist mein Platz – dann gibt es für mich keinen Grund, mit diesem Platz unzufrieden zu sein“, sagt Schwester Rita.
Nicht sich selber klein, sondern andere groß machen
Die innere Zufriedenheit mit sich und dem eigenen Platz im Leben lässt sich übrigens auch trainieren. Im Kloster Nette wird deshalb jeden Abend reflektiert, was tagsüber geschehen ist. „Wofür will ich danken? Wofür um Verzeihung bitten?“, sagt Schwester Elisabeth. Das kann dabei helfen, dankbarer zu werden.
Schwester Rita nutzt diese Übung auch mit den Teilnehmenden der Exerzitien im Alltag – „mal zurückzuschauen – wo gab es vielleicht einen Augenblick, in dem entweder ich mich herunterbeugen durfte, um jemand anderes groß zu machen oder in dem jemand sich runtergebeugt hat, um mich großzumachen?“ Sie bekommt dafür sehr positives Feedback und das Beste: Wer mehr von diesem schönen Gefühl haben möchte, kann es ganz einfach selbst erzeugen. Denn wir begegnen jeden Tag vielen Menschen, mit denen wir uns auf Augenhöhe begeben und sie dadurch vielleicht sogar erheben können.