Anfrage

Trugen Gekreuzigte stets ein Lendentuch?

War es früher üblich, dass Gekreuzigte ein Lendentuch trugen? Wollte man ihnen damit einen Rest Würde bewahren? G. Z., 20539 Hamburg

Kreuzigungen waren eine erniedrigende und brutale Form der Folter und Todesstrafe. Nicht selten wurden die Verurteilten vorher misshandelt, zum Beispiel so wie Jesus gegeißelt. Zudem wurden Kreuzigungen im Römischen Reich auch zu Hunderten als Strafmaßnahme eingesetzt. Es darf also daran gezweifelt werden, dass es dabei irgendwann auch um die Würde der Verurteilten ging. Wahrscheinlicher ist, dass in vom Geißeln zerfetzten Kleidern oder nackt gekreuzigt wurde.

Im Markusevangelium wird nun auch berichtet, wie die Soldaten Jesu Kleider nahmen und unter sich verlosten. Ob dabei ein Lendentuch übrig blieb oder ihm danach angezogen wurde, ist unbekannt. In frühen westlichen Darstellungen der Kreuzigung trägt er meist eines, in frühen oströmischen Abbildungen jedoch ein ärmelloses Gewand. Doch auch in romanischen Kreuzesdarstellungen, in denen Jesus meist lebend, mit geöffneten Augen vor dem Kreuz steht – manchmal sogar mit Krone oder Reif –, kommt es vor, dass er ein Gewand trägt. Ein Beispiel ist das Imervard-Kreuz im Braunschweiger Dom. In der romanischen Epoche stellt man weniger den leidenden Jesus als vielmehr den über den Tod triumphierenden Erlöser dar.

Seit dem 12. Jahrhundert dann wird der Körper leidend am Kreuz hängend dargestellt. Die Augen sind meist geschlossen, der Kopf hängt auf die rechte Schulter herab. Nun stehen die menschliche Natur Jesu und sein Leiden, Sterben und Opfer im Mittelpunkt. Diese Art der Darstellung prägt die gotische Epoche. Das Lendentuch ist das einzige Bekleidungsstück, meist schlicht gehalten.

Das ändert sich in den folgenden Jahrhunderten. In barocken Darstellungen wird das Tuch öfters kunstvoll geknotet, im Rokoko manchmal sogar wie ein Banner rechts und links vom Gekreuzigten auseinandergefaltet.

Allen diesen Darstellungen ist jedoch gemeinsam, dass sie einen nackten Gekreuzigten sicher als zu anstößig und würdelos empfanden und deshalb vermeiden wollten.

Christoph Buysch