Neujahrsbrauch
"Tunscheren" für ein gutes Miteinander
Gottes Segen und Glück für 2023: Das wünschen wir gern unseren Familien, Freunden, Nachbarn und Kollegen. In der Region Hümmling und im Osnabrücker Land kommt dazu manchmal noch eine „Tunschere“ ins Haus.
Und was ist eine „Tunschere“? Diese Frage hat Hans Schwarte schon oft gehört. Der Vorsitzende des Heimatrings Lorup erklärt gern, was es damit auf sich hat. Dabei hat eine „Tunschere“ nichts mit einer Schere gemein, sondern ist eine aus Zweigen und mit Papierbändern geschmückte Dekoration. Manchmal gleicht sie einer Blume, manchmal einem Bogen. Aber immer gilt sie als Zeichen der Verbundenheit und des guten Miteinanders, mit dem sich Menschen zu Jahresanfang unter Gottes Segen stellen und Glück wünschen.
Wie lange es diesen Brauch vor allem in katholischen Gegenden wie zum Beispiel dem Hümmling im nördlichen Emsland schon gibt, weiß auch Schwarte nicht genau. „Aber sicher viele Jahrhunderte“, sagt der 72-Jährige. Früher reichten die Heuerleute solch eine „Tunschere“ ihren Bauern als Geschenk über das Grundstück hinweg. Und genau das beschreibt das plattdeutsche Wort: „Tun“ heißt Zaun oder Hecke und „schere“ kommt von Bescherung.
Hans Schwarte hat auch selbst „Tunscheren“ angefertigt und verschenkt: an die Großeltern, Nachbarn oder den Patenonkel. Umgekehrt bekam seine Familie viele dieser Glücksbringer zurück: „Oft so zwölf bis 15 Stück.“ In seinem Heimatort Lorup pflegen noch mehrere Straßenzüge diesen Brauch am 5. Januar. „Da treffen sich die Familien abends, essen und trinken zusammen und es wird viel gelacht und geredet.“
Drei Weidenzweige zu einem Tunnel biegen
Vorher haben sie die „Tunscheren“ möglichst unbemerkt direkt vor die Haustüren gebracht. Denn auch das gehört zur Tradition: abstellen, klopfen, rufen, wegrennen. Aber zuweilen lassen sich die Überbringer ganz gern „erwischen“, erzählt Hans Schwarte mit einem Lächeln. Dann gibt es für die Kinder etwas Süßes, für die Erwachsenen Tee, Waffelhörnchen und einen „Neujahrsschluck“.
Und wie wird eine „Tunschere“ hergestellt? Das ist laut Hans Schwarte eine handwerkliche Wissenschaft für sich und durchaus von Dorf zu Dorf verschieden. In einigen Orten schälen die Tunscherenmacher hauchdünne Holzschichten wie Locken von den Ästen, auch „Krüllen“ genannt. Die Loruper „Tunschere“ sieht etwas anders aus. Dort werden drei Weidenzweige zu einem Tunnel gebogen, in ein Holzbrett gesteckt und mit Girlanden aus Seidenpapier, mit Tanne und Engelshaar verziert. Innendrin steht eine aus Papier gefaltete Krippe.
Wer solch eine „Tunschere“ bekommt, freut sich sehr darüber. „Die Familien bewahren sie das ganze Jahr auf“, sagt Schwarte. Für alle, die selbst einmal diesen Neujahrsgruß herstellen möchten, bietet der Heimatring Lorup, mit gut 600 Mitgliedern einer der größten Heimatvereine der Region, regelmäßig Kurse an. Und dabei erzählt der Vorsitzende gern alles, was er darüber weiß.
Petra Diek-Münchow