Ein deutsch-französischer Kirchenchor
Über Grenzen hinweg
Foto: epd/versen
„Lange nit g‘sehn“, begrüßt Christiane Martin-Seiwert ihre Chorsängerinnen und -sänger nach langer Urlaubszeit auf Elsässisch. Zunächst ist etwas Gymnastik angesagt bei der Probe im „Haus der Familie“ im südpfälzischen Bad Bergzabern, nahe der Grenze zu Frankreich. 25 Frauen und Männer stehen von den Stühlen auf, schütteln Arme und Beine, drehen die Hälse – alle Verspannungen sollen sich lösen. „Mmmmh“, gibt die Chorleiterin vor, „bitte ein Lächeln, jauchzen!“
Locker bleibt die Stimmung den ganzen Probenabend über bei den schon etwas älteren Sängerinnen und Sängern. Sie sind Pfälzer und Elsässer, gute Nachbarn – und für ihr gemeinsames Hobby kennen sie keine Grenzen: Wöchentlich trifft sich der deutsch-französische Kirchenchor Bad Bergzabern/Wissembourg zur Chorprobe, entweder in Bad Bergzabern oder eben wenige Kilometer entfernt in der elsässischen Kleinstadt mit ihrem ehemaligen Benediktinerkloster.
Mitsingen darf jeder, der Spaß am Singen hat
Aus der Not heraus sei die ganz besondere Chorgemeinschaft vor fast zehn Jahren entstanden, erzählt die Kirchenmusikerin Martin-Seiwert. Bei protestantischen Kirchenchören in Wissembourg herrschte Mitgliedermangel, und die pfälzischen Mitchristinnen und -christen in der Kurstadt Bad Bergzabern suchten eine Dirigentin. „Wir warfen einfach beides zusammen“, erinnert sich Martin-Seiwert, die in beiden Städten auch die Kirchenorgel spielt.
Sängerinnen und Sänger von „hiwwe und driwwe“ formten nun den neuen, grenzüberschreitenden Chor. Mitsingen darf, wer will – Herkunft, Alter oder Konfession spielen keine Rolle. „Es geht darum, dass sich Leute zusammenfinden und Spaß am Singen haben“, sagt die ehrenamtliche Chorleiterin Martin-Seiwert. Ihr Ehemann Marc – der frühere protestantische Dekan von Wissembourg – singt auch mit.
15- bis 20-mal im Jahr gestaltet der Kirchenchor Gottesdienste auf beiden Seiten der Grenze mit, oft auf Einladung der Kirchengemeinden. Auch bei einer Gedenkveranstaltung im elsässischen Froeschwiller war er dabei, wo 1870 die erste größere Schlacht im Deutsch-Französischen Krieg stattfand.
Längst gibt es zwar in der eng verwachsenen Grenzregion keine Schlagbäume mehr. Und doch wissen gerade die Älteren, dass der Frieden und die Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen nach vielen Kriegen eine Errungenschaft ist.
Auch deshalb nimmt der Kirchenchor besonders gerne Friedenslieder ins Programm. Etwa jeweils zur Hälfte besteht es aus französischen und deutschen Stücken, darunter ist der Choral „Jesus bleibet meine Freude“ von Johann Sebastian Bach. „Gebt dem Jesus auf dem ersten Ton ä bissel Schwung“, sagt Chorleiterin Martin-Seiwert. Beim anschließenden französischen Stück hilft eine elsässische Sängerin ihrer Nachbarin: „Das E wird als Ö gesprochen.“
„Ein Zeichen der Völkerverständigung“
„Wir sind hier nicht Franzosen oder Deutsche, sondern Europäer“, sagt Walter Ringshauser (73), der Presbyter in seiner Kirchengemeinde in Bad Bergzabern ist. Auch Daniela Stunkel aus Bad Bergzabern schätzt das gute Miteinander. „Es sind so viele Freundschaften entstanden aus dem Chor“, sagt die Katholikin, die ursprünglich aus Berlin stammt.
Helga Richert, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verlor, ist stolz, im Chor zu sein: „Er ist ein Zeichen der Völkerverständigung.“ Marguerite Dambacher aus Wissembourg nickt. Schon als Kind habe sie gerne deutsche Lieder gesungen, erzählt die Elsässerin. Das gemeinsame Singen schlage Brücken zwischen den Menschen der einst verfeindeten Nationen: „Das ist wichtig für unsere Jeunesse, die Jugend.“
Der Chorälteste, ein Senior von 85 Jahren, weiß, welche Wunden der Krieg in der Region gerissen hat. „Damals kamen wir nicht zusammen“, erinnert er sich an die Zeit der französischen Besatzung nach 1945. „Wir können froh sein, dass wir es heute tun.“