Papstschreiben "Querida Amazonia"
Überraschungen und Enttäuschungen
Papst Franziskus hat in Rom sein nachsynodales Schreiben zur Amazonassynode vorgestellt.
Dieser Papst, der so einfach und bewegend reden kann, ist mitunter schwer zu verstehen. Was meint Franziskus damit, wenn er mit seinem nachsynodalen Schreiben das Abschlussdokument der Amazonas-Synode "offiziell vorstellt"? Der Papst macht es sich nicht explizit zu eigen - womit es Teil seines Lehramts würde. Er erkennt ihm aber die Autorität von Menschen zu, "die die Problematik Amazoniens besser kennen als ich und die Römische Kurie". Franziskus fordert dazu auf, all das komplett zu lesen, was die Synodenväter Ende Oktober verabschiedet haben. Und er ermutigt, sich um eine "Umsetzung zu bemühen".
Doch was bedeutet das, wenn im Abschlussdokument angeregt wird, verheiratete Männer in Ausnahmefällen zu Priestern zu weihen, wenn dort für Diakoninnen geworben wird, für einen amazonisch-katholischen Ritus und die Definition einer "ökologischen Sünde"? Franziskus greift dies kaum auf. Bei der Vorstellung seines Schreibens "Querida Amazonia" im Vatikan mochten sich die Kardinäle Michael Czerny und Lorenzo Baldisseri ebenso wenig festlegen.
Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn erinnert an die Einleitung zu "Amoris laetitia". In seinem Schreiben nach den Ehe- und Familiensynoden von 2014/2015 hatte der Papst darauf hingewiesen, dass nicht alle Diskussionen "durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden" müssten. Franziskus zufolge "können in jedem Land oder jeder Region besser inkulturierte Lösungen gesucht werden" und dürfen "verschiedene Interpretationen einiger Aspekte der Lehre" weiterbestehen - bis irgendwann Gottes Geist die Gläubigen zu einer tieferen Einsicht führe.
Daran knüpft er nun an. Am Ende von "Querida Amazonia" wird erwähnt, dass eine "wahre Antwort" auf "scheinbar entgegengesetzte" Herangehensweisen darin bestehe, "beide Lösungsansätze zu überwinden und andere, vielleicht ungeahnte, bessere Wege zu finden".
Franziskus schließt Reformen nicht endgültig aus
Lockerungen der Zölibatspflicht, Diakoninnen, ein neuer katholischer Ritus sind für Franziskus (derzeit) Schnellschüsse, die zu kurz greifen. Nichts davon schließt er aus - wählt jedenfalls keine kategorische Formulierung wie Johannes Paul II. (1978-2005) in seinem Schreiben "Ordinatio sacerdotalis" von 1994 gegen die Priesterweihe von Frauen.
Da Franziskus als Papst die Kirche zusammenhalten muss und er sieht, dass einige Reformideen (noch) nicht genügend mitgetragen werden, mag die teils heftige Kritik konservativer Kreise bei ihm Wirkung zeigen. Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der sich mehrfach kritisch zur Synode äußerte, billigt dem Papstschreiben jedenfalls versöhnende Wirkung zu.
Wohl auch deswegen sucht sich Franziskus für seine oft deutlichen, an biblische Propheten erinnernden Worte gegen Ungerechtigkeit oder Zerstörung der Schöpfung unverdächtige und unterschiedliche Zeugen. Als Globalisierungskritiker stützt er sich auf seine heiligen Vorgänger Paul VI. und Johannes Paul II. Für das Leid der Menschen Amazoniens zitiert er Augenzeugenberichte, Dichter und andere Schriftsteller.
Für das von der Kirche geforderte ökologische Engagement beruft er sich auch auf Benedikt XVI. - und für eine "mutige Inkulturation" des Evangeliums zitiert er neben dem Zweiten Vatikanum und Johannes Paul II. auch Joseph Ratzingers Interviewbuch "Zur Lage des Glaubens", den brasilianischen Dichter-Bischof Pedro Casaldaliga - und Thomas von Aquin. Seine Warnung, indigene Symbole und Traditionen nicht vorschnell als "heidnisch" zu verurteilen, verbindet Franziskus mit der Aufforderung, den eigenen katholischen Glauben mutig zu vertreten und zu leben.
Träume für die Amazonasregion
Gegliedert hat Franziskus seine "Liebeserklärung" an das ökologisch, sozial und kirchlich weltweit bedeutsame Amazonien in vier "Träume": einen sozialen, einen kulturellen, einen ökologischen und einen kirchlichen. Allein die deutsche Fassung übersetzt das spanische "sueno" mit "Vision".
In der Tat beschreibt der Papst über ganze Strecken noch einmal Albträume, von denen die Synodenteilnehmer berichteten und die auch im Arbeitsdokument zusammengetragen waren. Mehrfach zitiert Franziskus daraus. Im Sinne der vielen vorbereitenden Konsultationen vor der Synode plädiert er nun für neue, faire Dialoge in Amazonien - zwischen Politik, Wirtschaft, Indigenen, Menschenrechtsvertretern, Kirche, Wissenschaft, Bildung.
Innerhalb der Kirche betreibt Franziskus Synodalität bis zur Schmerzgrenze. Statt Machtworte zu sprechen, hält er Strittiges in der Schwebe. Er tut das wohl in der frommen Hoffnung, dass Gottes Geist die beteiligten Auffassungen irgendwann zu einer tieferen, vor allem gemeinsamen Einsicht leite möge - wie immer die dann aussehen mag. Erste Reaktionen zeigen: So weit können oder mögen ihm etliche nicht folgen.
Das vollständige päpstliche Schreiben im Wortlaut lesen Sie hier.
kna