Caritas klärt über Depression auf
"Unser Leben wird stressiger"
Depression ist zur Volkskrankheit geworden. Deshalb klärt die Caritas Jugendliche über seelische Gesundheit auf. Doch das Projekt ist gefährdet.
Folgt man den Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO, ist Depression eine Volkskrankheit. 4,4 Prozent der Weltbevölkerung und sogar 8,2 Prozent der Bundesbürger leiden darunter. Weltweit sind das 322 Millionen und bundesweit 5,2 Millionen Menschen. "Wir haben auch in der Beratungsarbeit festgestellt, dass dieses Thema immer wichtiger wird", erklärt die Mühlheimer Caritas-Mitarbeiterin Nicole Meyer, warum ihr Verband vor zwei Jahren zusammen mit dem Verein "Irrsinnig menschlich" ein Aufklärungsprojekt rund um das Thema seelische Gesundheit gestartet hat. Inzwischen gibt es in rund 50 deutschen Kommunen Nachahmer. Jugendliche sollen dabei für psychische Erkrankungen sensibilisiert werden. Sie treffen auf Betroffene, die in weiterführenden Schulen über ihre Erfahrungen berichten.
Anfangs könnten viele Schüler mit dem Thema seelische Gesundheit nicht viel anfangen. "Aber wenn ich sie dann frage 'Wie fühlt ihr euch vor wichtigen Klassenarbeiten und was stresst euch?', sind wir schon mitten im Thema", sagt Corinna Eickmann. Die fünffache Mutter ist eine von zehn ehrenamtlichen Expertinnen, die den Jugendlichen von ihrer eigenen Depressionsgeschichte berichten. Sie erzählt ihnen nicht nur von ihrer belastenden Kindheit mit einer alkoholkranken Mutter und von Gewalterfahrungen in ihrer Ehe, sondern auch darüber, wie und wo sie sich Hilfe holte und wie sie ihr Leben veränderte und so aus dem tiefen Loch der Depression wieder herauskam.
"Eine Depression kann jeden treffen"
"Man sieht dir das gar nicht an. Du stehst doch mit beiden Beinen im Leben", bekommt Eickmann immer wieder von den 14- und 15-Jährigen zu hören. Und genau diese Erfahrung will Eickmann als Botschafterin mit ihrer persönlichen Geschichte transportieren. "Unser Leben wird immer stressiger, nicht nur am Arbeitsplatz und in der Schule, sondern auch in den Familien, die unter Leistungsdruck, Existenzängsten, aber auch unter Zeitnot leiden und daran oft zu zerbrechen drohen. Deshalb kann die Depression jeden treffen." Die Zahlen der WHO sprechen eine eindeutige Sprache. In den vergangenen zehn Jahren hat die Zahl der depressionskranken Menschen weltweit um 18 Prozent zugenommen.
"Deshalb ist unsere vorbeugende Aufklärungsarbeit mit den Schülern, die kurz vor dem Übergang von der Schule in den Beruf stehen, auch so wichtig", erklärt Meyer. "In Rollenspielen, Gesprächen und Arbeitsgruppen finden wir mit ihnen heraus, was ihnen im Alltag gut tut und was nicht, und wie und wo sie sich Hilfe holen können, wenn sie sich selbst seelisch belastet fühlen oder mit seelisch kranken Familienangehörigen konfrontiert sind", so die für Familienhilfen zuständige Sozialpädagogin bei der Caritas. Die Jugendlichen öffneten sich nicht unbedingt in der Klassenrunde, aber in den Vier-Augen-Gesprächen, in denen persönliche Fragen beantwortet und schon mancher ärztliche oder psychologische Beratungstermin vermittelt wurde, erinnert sich Corinna Eickmann an die 30 Unterrichtstage der letzten beiden Schuljahre.
Angesichts der positiven Resonanz, den die Aufklärungsarbeit zur seelischen Gesundheit nicht nur in Mülheim, sondern in bundesweit 50 Regionalgruppen gefunden hat, bedauert die zuständige Fachdienstleiterin der Caritas, Katja Arens, dass die Projektfinanzierung zum Schuljahresende ausläuft und dass sie bisher noch keinen Ersatz gefunden hat. "Wir könnten noch viel mehr Aufklärungsarbeit leisten und vielleicht neben den weiterführenden Schulen auch Grundschulen in das Projekt einbeziehen, wenn wir jemanden fänden, dem diese Arbeit je nach Umfang 25.000 bis 40.000 Euro pro Schuljahr wert wäre", so Arens.
kna