Unser tägliches Brot
Foto: Stefan Branahl
Zum Reinbeißen sieht es ja nicht aus, eher könnte man meinen, beim Füllen der vielen Vitrinen habe jemand ein Stück Holzkohle zerbröselt und als Jux in die Ausstellung gemogelt. Aber vor uns liegt ein Stück Brot, rund 6000 Jahre hat es überdauert, es stammt aus der Jungsteinzeit und Forscher fanden es in der westlichen Schweiz. Gut, dass uns ein Bäcker so etwas heute nicht mehr über den Tresen schiebt.
Aus gutem Grund sollten wir es aber für einen Moment genauer unter die Lupe nehmen und entsprechend würdigen. Immerhin ist es eines der ältesten Brotstücke, die wir heute kennen. Und mit ein bisschen Phantasie sehen wir vor uns die Frau, die das Getreide gesammelt, das Korn vielleicht in einer Art Mörser zerrieben, das Mehl mit Wasser zu einem Brei vermischt und dann in der Glut des Feuers zu einem Fladen gebacken hat.
Die Geschichte der Brotkultur – darum geht es im Europäischen Brotmuseum Ebergötzen, eine halbe Stunde Autofahrt östlich von Göttingen. Untergebracht ist die Ausstellung mit Backstube und Ausstellungsräumen in einem ehemaligen Verwaltungsgebäude, ein liebevoll sanierter 300 Jahre alter Barockbau. Gleich daneben der Wohnturm einer im Dreißigjährigen Krieg zerstörten Wasserburg. Eine prächtige Allee mit altem Baumbestand führt auf das Ensemble zu. Hinter einer hohen Mauer verbirgt sich ein großer Garten mit allerlei Heilpflanzen in den Beeten und Nachbauten von historischen Backöfen. Weiter unten dreht an Mahltagen eine vor 50 Jahren umgesetzte Bockwindmühle die Flügel, in ihrer Nachbarschaft treibt der Bach das Rad einer Wassermühle an. Kein Wunder, dass seit der Öffnung des Museums 1971 jedes Jahr viele tausend Menschen den zwar abgelegenen, aber ungemein idyllischen Ort im Eichsfeld aufsuchen, in der Woche auch viele Schulklassen, die durch die Ausstellung wuseln und als Höhepunkt ihres Ausflugs ein selbst geknetetes Brot aus dem Backofen mitnehmen dürfen.
Wenn sie bei der Führung gut aufgepasst haben, dann wissen sie, dass wir der Entdeckung, aus Getreidekörnern Brot zu backen, eine der folgenreichsten Entwicklungen der Menschheitsgeschichte zu verdanken haben: Aus Jägern und Sammlern, die durch die Gegend zogen, wurden sesshafte Bauern, die ihre Felder bestellten. Als sich vor 12 000 Jahren die Erde erwärmte und riesige Eisflächen schmolzen, waren es zuerst die Menschen im Nahen Osten, in Syrien also, im Irak und in der Türkei, die auf die Idee kamen, aus dem Urgetreide ein haltbares Lebensmittel herzustellen. Im Laufe der Zeit brachten Menschen, die Richtung Westen zogen, ihr Wissen mit nach Europa. In Deutschland entwickelte sich daraus ein ganz besonderes Handwerk: Heute kennen wir zwischen Nordsee und Alpen rund 300 verschiedene Brotsorten und etwa 1500 Gebäckstücke – vom krümelnden Keks bis zur Sahnetorte. Diese Vielfalt gibt es kaum ein zweites Mal, und darum ist die deutsche Brotkultur seit zehn Jahren Weltkulturerbe.
Beim Rundgang lernen wir, dass der Mensch im Brot schon immer mehr gesehen hat als einen Sattmacher; in den Vitrinen liegen ganz unterschiedlich geformte Laiber, viele aufwendig gestaltet und verziert. Schon in vorchristlicher Zeit wurde den Göttern mit Brot in Form von Tieren oder Sonnenrädern gedankt und geopfert.
Die Juden erinnern zu jedem Fest mit einem besonderen Brot an den Anlass: die ungesäuerten Mazzen zum Passahfest haben den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten zum Anlass, zum Sabbat wird Challot gebacken, verflochtenes Weißbrot. Im Christentum hat das Brot seine höchste Bedeutung im Zusammenhang mit dem Letzten Abendmahl Christi, jedes Fest im Jahreslauf hat sein besonderes Gebäck – vom Osterstuten bis hin zum heute noch in manchen Teilen Deutschlands bekannten Allerseelen-Brot. Ob Geburt oder Taufe, Hochzeit, Tod und Begräbnis – immer gab es besondere Formen und Verzierungen. Auch im Islam wird Brot mit äußerstem Respekt behandelt, der Prophet Mohammed forderte dazu auf, es beim Servieren der Speisen zuerst zu essen.
Zur Strafe wurde mancher Bäcker „getauft“
Viel zu entdecken gibt es bei einem Rundgang durch die Räume über zwei Etagen, die durch knarzende Treppenstufen verbunden sind. Faszinierend ist ein alter Vitrinenschrank, in seinen Schubladen sind in Reagenzgläsern 1800 Getreideproben aus aller Welt aufbewahrt. Wir sehen einen reich verzierten Karren, mit dem das Brot vor dreihundert Jahren transportiert wurde. Wir erfahren, dass der Beruf des Bäckers nicht nur angesehen arbeitsreich war, sondern im Mittelalter durchaus auch gefährlich: Verkaufte er das Brot leichter als von der Obrigkeit angeordnet, wurde er „getauft“, also in einen Eisenkäfig gesperrt und ins Wasser oder in Unrat getaucht.
Nachdenklich lesen wir die Gedichtzeilen eines Kriegsgefangenen, Herbert Wegener schreibt 1946: „… heut ist das Brot für dich ein Gottessegen, du lerntest schätzen es erst in der Not …“ Anrührend sind die 80 Brotteller, gestaltet von Künstlern auf Anregung einer Kirchengemeinde. Sie alle greifen einen religiösen, sozialen oder wirtschaftlichen Aspekt auf, zwar wurden sie schon vor 25 Jahren hergestellt, doch sind sie noch immer hoch aktuell – wie der Teller von Klaus Staeck, der die Flüchtlingsbewegung aufgreift: Auf dem Blau einer Europafahne liegt von Stacheldraht umkränzt eine Getreidescheibe, darunter ist zu lesen: „UNSER täglich Brot gib UNS heute“. Also durchaus nicht nur leichte Kost im Museum von Ebergötzen.
Wer sich dem Thema dann noch von einer völlig anderen Seite nähern möchte, sollte einen kleinen Spaziergang machen, nur ein paar hundert Meter sind es zur Bachmannschen Mühle. Aus gutem Grund kennt man sie heute unter dem Namen „Max-und-Moritz-Mühle“: Hier verbrachte Wilhelm Busch einen Teil seines Lebens, und hier siedelte er auch die berühmte Geschichte der beiden Lausbuben an.
Internet: Brotmuseum.de