Das Ethik-Eck

Urlaub in Katar

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Das Ethik-Eck
Nachweis

Foto: adobestock / Brigitte Bonaposta

Die Frage lautet diesmal: „Unsere Freunde fahren regelmäßig zum Urlauben nach Katar. Ich finde das nicht gut, weil doch dort die Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Ähnlich ist es inzwischen auch in Russland, Saudi-Arabien, der Türkei … Sind Reisen in Konfliktgebiete oder nicht-demokratische Länder moralisch erlaubt?“


Bewusstsein schärfen


Deutsche Staatsbürger sind privilegiert, was das Reisen angeht. Mit dem Personalausweis und dem kleinen roten Buch ist es nicht nur möglich, sich schnell und frei in Euro-pa zu bewegen, sondern fast alle Länder der Welt zu bereisen. Während der Corona-Pandemie haben viele Familien und Freunde schmerzhaft erlebt, was es bedeutet, nicht aus- oder einreisen zu dürfen. Einige Perspektiven bieten sich für mich in der Frage nach der moralischen Entscheidung für das Urlaubsziel an:
 

Bernadette Wahl
hat Theologie und Religionspädagogik studiert, ist systemische Beraterin und arbeitet für das Bistum Fulda in der Citypastoral.

Zunächst ist es wichtig, sich bewusst zu machen, aus welchem Grund ich in den Urlaub fahre. Besuche ich Familienangehörige und bin damit an ein bestimmtes Land gebunden? Reise ich aus religiösen oder kulturellen Gründen – beispielsweise nach Israel? Möchte ich nur Entspannen oder Unterhaltung? Das geht unter Umständen auch recht klimaneutral ohne lange Flüge und vor allem auch ohne ein Land zu unterstützen, das Menschenrechte unterdrückt. Nicht jede Unterhaltungsveranstaltung ist im Verhältnis zu dem Kontext des Landes eine gute Wahl. Je nach Anlass der Reise ergeben sich andere Bedingungen. Darüber hinaus sind Informationen über die möglichen Länder für den nächsten Schritt zur Entscheidung hilfreich: Das Auswärtige Amt ist wohl die schnellste und verlässlichste Quelle zur Sicherheit und politischer Lage aus deutscher Sicht. Die entsprechende Homepage warnt bei politischen, gesundheitlichen oder anderen Gefahren. 
Bei guten Gründen kann es sein, dass ich in ein nicht-demokratisches oder konflikt-belastetes Land reisen möchte oder muss. Auch dann ist es nicht mit der Verantwortung vorbei. Dann gilt es, sich mit dem Land, der Kultur und insbesondere marginalisierten Gruppen auseinanderzusetzen. Es kann sein, dass ich gezielt Personengruppen durch die bewusste Wahl der Unterkunft oder andere touristische Maßnahmen unterstützen oder eben ausbeuterische Systeme meiden kann. Auch nach der Reise hört die Verantwortung nicht auf. Habe ich Plattformen, bei denen ich auf meine Erfahrungen aus der Reise aufmerksam machen kann? Wie und wo spreche ich über die Themen, die mich bei der Reise bewegt haben? Zeige ich nur die schönen Strandfotos oder eben auch die Seiten, die zum Nachdenken anregen? 
Es ist nicht ganz leicht, verantwortliche Entscheidungen für einen moralisch „guten“ Urlaub zu treffen, weil die Motive und Kontexte so vielfältig sind. Ein klares „erlaubt“ oder „nicht erlaubt“ gibt es nur in wenigen Fällen. Es lohnt generell, die eigenen Motive und Werte im Hinblick auf die Reise abzugleichen und die Menschen im Blick zu haben, auf die mein Aufenthalt einen negativen Einfluss haben könnte. Und ehrlich: Kann man nicht auch besser entspannen, wenn man weiß, dass die Servicekräfte nicht ausgebeutet werden? 

 

Kritisch fragen


Erst mal scheint es einfach – ein Land, in dem so offensichtlich die Menschenrechte missachtet werden, ausgerechnet das muss es wohl nicht sein – man kann doch wirklich woanders hin.
Aber, je länger man nachdenkt, desto komplizierter wird es. Gut, nicht gerade in die autokratischsten Staaten, nicht dahin, wo Frauen- und Persönlichkeitsrechte nichts zählen, wo Gewalt und Korruption regieren, aber hier auf der Liste erscheint auch die Türkei.
 

Ruth Bornhofen-Wentzel
war Leiterin der Ehe- und Sexualberatung im Haus der Volksarbeit in Frankfurt.

In der langen Reihe der Länder und Staaten bleiben verblüffend wenige echte Demokratien übrig. Bei vielen ist es, wie auch sonst im Leben: halb und halb, je nachdem. 
Wie genau möchte ich hinsehen? Möchte ich mich auf einer Insel erholen, die Flüchtlings-camps auf der Insel nebenan? In ein faszinierendes exotisches Land reisen, inklusive dem Anblick deprimierender Armut? In eine abgeschottete Oase des Wohlfühlens, konfrontiert mit bitterer Not, falls man sie kurz verlassen würde?
Und was ist mit der Kulturreise nach China?
Was ist mit den Umweltfragen, den Zumutungen für 
Klima und Natur, wenn man reist, fliegt oder mit einer Kreuzfahrt unterwegs ist?
Bleiben etwa nur die deutschen Mittelgebirge und die Nordsee? Und allenfalls unsere Nachbarstaaten? Schwierig!
Es bleibt, dass ich verantwortlich dafür bin, wen und was ich mit meinem Geld, das in der Urlaubsreise steckt, unterstütze, was ich mitmache, wenn ich in einem solchen Land am Leben teilnehme, welche Arbeitsbedingungen ich stütze.
Es spricht viel dafür, seine Maßstäbe immer dabei zu haben – gleichzeitig ist es Realität, dass sie oft zuhause bleiben. Ist ja gut zu verstehen, wenn man sich erholen und entspannen und sich mal was gönnen will.
Es bleibt eine unbequeme Tatsache, dass vieles von unserem Konsum und unserem Lebensstil realisiert wird, indem wir nach unserem Vorteil schauen.
Wir leben weltweit betrachtet in vielen ungerechten Zusammenhängen, konsumieren auf Kosten anderer, vermüllen die Welt, was andere ausbaden, und unterstützen die Falschen durch unser Geld – und sehr oft schauen wir nicht so genau hin. Andererseits geht das gar nicht immer: genau hinschauen, das schaffen wir nicht. Alles zu realisieren, ist nicht auszuhalten, macht Angst und notwendig bedrückt. Es führt zu Bitterkeit, die Lebensfreude verabschiedet sich.
Also: Immer wieder mal einen Blick riskieren und sich selbstkritisch fragen: Warum will ich genau dahin und was hat neben der Erholung für mich es für Wirkungen auf andere? Und wie kriege ich das besser zusammen?

 

Sensibler werden


Reisen ist auch eine Konsumentscheidung und der bewusste Verzicht auf ein nicht-demokratisches Urlaubsland kann ein Statement gegen die dort vorherrschenden Unrechtsstrukturen sein. Allerdings: Nur rund 45 Prozent der Weltbevölkerung leben in einer Demokratie. Wer also ausschließlich in demokratische Länder reisen will, hat bei der Suche nach einem Urlaubsziel eine begrenzte Auswahl. Zudem hat ein Boykott meist nur geringe politische Auswirkungen und trifft auch Menschen, die vom Tourismus leben. 
 

Stefan Huber ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Theologische Ethik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.

Das sind weltweit über 100 Millionen. Von einem Tourismusboykott raten Fachleute und Organisationen sogar ab: Ein Wandel sei nur durch einen offenen Dialog und Kommunikation, nicht aber durch Isolation möglich. Reisen kann Menschen verbinden und den eigenen Lebens- und Welthorizont vergrößern. Es kommt also auf das wie des Reisens an. Bei einem All-Inclusive-Urlaub in einem Ressorthotel, das wohlmöglich noch dem Staat gehört, kommen die Einnahmen meist nicht in der Bevölkerung an und auch der Dialog wird damit erschwert. Eine gezielte Nachfrage beim Reiseanbieter sorgt für mehr Transparenz: Wer profitiert von meinem Aufenthalt? Die Bevölkerung oder das Regime? 
Sich mit seinem Reiseziel und den dortigen Verhältnissen kritisch auseinanderzusetzen, ist schon mal ein Anfang. Schließlich sind Tourist:innen auch eine mächtige Lobby und ihre Entscheidungen haben durchaus Auswirkungen. Das aber gilt auch für Reisen in demokratische Länder: Denn auch hier gibt es Ausbeutung und fehlende Nachhaltigkeit. 
Wer sich trotzdem für ein nicht-demokratisches Reiseland entscheidet, sollte einen Blick hinter die schillernden Fassaden der Sehenswürdigkeiten werfen. Wie sieht das Straßenbild aus? Sehe ich nicht-männliche Personen in Cafés und Restaurants? Gibt es am Kiosk nur eine Zeitung? Und schließlich: Das Gespräch mit Einheimischen suchen. Mit dem Eisverkäufer oder der Boutiquebesitzerin. Wie sieht ihr Alltag aus? Unter welchen Umständen wachsen ihre Kinder auf? Das ändert zwar an der Situation am Land nichts, aber kann meinen Blick auf Land und Leute prägen und mich so sensibler für meine eigenen Lebensumstände und die meiner Mitmenschen, auch im globalen Kontext, machen.