Weihnachten auf den Kern reduziert
Vater, Mutter, Kind
Nur Josef, Maria und Jesus – das ist in diesem Jahr unser Weihnachtsbild. Drei Menschen, engumschlungen. Die Heilige Nacht, die Geburt des göttlichen Kindes, auf den Kern reduziert. Kleinstfamilie statt Großereignis.
Von Susanne Haverkamp
Der Weg, den wir in dieser Zeitung im Advent begonnen haben, ist ans Ziel gekommen. Das Kind ist geboren, umarmt von Maria und Josef. Besuch fehlt in diesem Jahr: keine Hirten, Engel oder Könige. Geburt ohne Besuch: Das muss nicht schlecht sein, sagen zwei Mütter.
Als im März die Corona-Einschränkungen kamen, war unsere Kollegin Kerstin Ostendorf gerade im vierten Monat schwanger – und blieb fortan zu Hause. Vieles, was die Freude an einer Schwangerschaft ausmacht, fiel weg: die Anteilnahme der Freunde und Kollegen, die den wachsenden Bauch kommentieren, das gemütliche Bummeln durch Geschäfte für Babyausstattung.
Und dann der sorgenvolle Blick auf die Geburt: Gibt es für das Baby ein Infektionsrisiko? Darf der Vater überhaupt dabei sein? Sind Familien oder Freunde im Krankenhaus willkommen? Es könnte eine einsame Geburt werden.
„Josef!“ Die Stimme seiner Frau, die hinter ihm auf dem Rücken ihres Esels ritt, klang gepresst. Josef blieb stehen und drehte sich um. „Was ist los?“ – „Josef, die Wehen. Sie werden schon seit einer Stunde immer stärker. Ich glaube, das Kind kommt.“ Josef schüttelte besorgt den Kopf. „Das geht nicht, Maria. Wir sind hier mitten im Nirgendwo. Du musst durchhalten. In knapp zwei Stunden sind wir in Betlehem, dann werden meine Cousinen sich um dich kümmern.“ Maria nickte zweifelnd, als Josef sich umdrehte und weiterging, den Esel am Strick hinter sich herziehend.
„Ahh!“ Wenige Minuten später entfuhr Maria ein kleiner Schrei. Der Esel blieb stocksteif stehen, da konnte Josef noch so viel ziehen. „Es geht wirklich nicht mehr, Josef. Ich schaffe das nicht bis zum Ort“, flüsterte Maria. „Ich weiß doch noch, wie es bei Elisabeth war.“ Josef wurde blass. „Aber hier ist niemand, der dir helfen kann. Wir sind ganz allein.“ Maria lächelte müde. „Mit Gottes Hilfe schaffen wir das. Aber nicht hier auf freiem Feld. Wir brauchen einen Schutz für unser Kind.“
Langsam wurde es dämmrig. Josef sah sich in der kargen Landschaft um. „Ich war schon öfter hier, wenn ich meine Familie in Betlehem besucht habe“, sagte er. „Ich bin sicher, hier gibt es Höhlen, die die Hirten als Schutz für sich und die Herden benutzen. Warte einen Moment, Maria. Ich werde sehen, ob ich etwas finde.“
Wenig später kehrte Josef zurück. „Gleich da hinten“, sagte er zufrieden. Eine tiefe Höhle, warm und trocken. Sogar ein wenig Heu und Stroh liegen darin. Und Holz für ein Feuer. Wahrscheinlich benutzen Hirten die Höhle als Vorratsraum. Es ist kein Palast, aber dort sind wir sicher.“ Maria nickte. Wieder durchzog eine scharfe Wehe ihren Leib. „Dann lass uns gehen, es wird Zeit.“
Nein, so allein auf weiter Flur wie Maria und Josef waren Kerstin und Marco Ostendorf bei der Geburt ihrer Tochter Hannah natürlich nicht. „Aber eine Woche vor dem errechneten Termin haben wir tatsächlich befürchtet, dass Marco zur Geburt nicht mitkommen kann“, sagt Kerstin Ostendorf. Da erfuhren die werdenden Eltern nämlich, dass ein Fußballkollege von Marco mit Corona infiziert ist. „Im August war es ja eigentlich unproblematisch, draußen Fußball zu spielen. Und dann das.“
Es war, sagt Kerstin Ostendorf, „ein unangenehmes Wochenende“ von der Nachricht bis zum Ergebnis des Corona-Tests. „Es hätte sein können, dass Marco infiziert ist – und dann ich wahrscheinlich auch.“ Und selbst wenn nicht: „Was wäre gewesen, wenn es genau an diesem Wochenende losgegangen wäre? Marco hätte unter diesen Umständen bestimmt nicht ins Krankenhaus hineingedurft. Und ich wäre allein gewesen.“
Doch alles ging gut. Das Kind im Bauch blieb geduldig, und am Montag gab es Corona-Entwarnung. Zur Geburt von Hannah eine Woche später gingen sie zu dritt ins Krankenhaus: Vater, Mutter und das (noch) ungeborene Kind.
In der Höhle irgendwo am Rande der Felder von Betlehem war es still. Aber es war keine bedrohliche Stille, sondern eher eine friedliche, eine glückliche. Josef hatte den Arm beschützend um seine Frau gelegt. Sein Mantel wärmte sie alle drei: Josef, Maria und das Kind, das sie fest im Arm hielt.
„Schau mal, wie friedlich er schläft“, flüsterte Maria. Noch ganz ungläubig sahen die beiden ihren Sohn an. Ungläubig – und dankbar, dass es trotz der Umstände eine glückliche Geburt war. „Gepriesen sei Gott“, murmelte Josef. „Ja, er hat Großes an uns getan“, antwortete Maria, eine große Freude ist uns zuteilgeworden.“
Noch eine ganze Weile sahen sie ihren neu geborenen Sohn einfach nur an – staunend über das Wunder, das ihnen widerfahren ist. „Du musst jetzt schlafen“, sagte Josef schließlich. „Gib ihn mir. Ich wickele ihn in meinen Mantel und lege ihn dort in die Futterkrippe. Dann hat er es weich und warm.“
Mit einem letzten liebevollen Blick reichte Maria den kleinen Jesus herüber. „Ja, ich bin furchtbar müde“, sagte sie. „Ich sollte ein bisschen schlafen. Wer weiß, wann der kleine Kerl zum ersten Mal Hunger bekommt.“
„Ich war so froh, dass wir nach der Geburt erst mal Ruhe hatten“, sagt Kerstin Ostendorf. Es war anstrengend gewesen, natürlich. Erst die Wehen und dann doch ein Kaiserschnitt, weil nicht alles so war, wie es sein sollte. Aber dann war Hannah da. Mutter und Kind wohlauf, wie man so sagt.
„Wir waren so dankbar und so glücklich“, sagt die junge Mutter. „In den ersten Stunden haben wir manchmal nur in ihr Bettchen geschaut, sie angesehen und gestaunt.“ Ein Familienzimmer hatten die drei: Vater, Mutter, Kind und sonst niemand.
Wieder saßen Josef, Maria und das Kind nah beieinander. Der Morgen graute, das Kind lag an der Brust seiner Mutter und war satt und zufrieden eingeschlafen. Josef hatte das letzte Brot aus dem Reiseproviant seiner Frau gegeben. „Iss, du brauchst Kraft für euch beide.“
Nachdenklich riss sich Maria ein Stück Fladenbrot ab. „Weißt du, was ich heute Nacht geträumt habe?“, fragte sie Josef. „Ich habe geträumt, wir hätten Besuch bekommen. Hier in dieser Höhle.“
Josef lachte. „Wer war es denn, deine Mutter?“ – „Nein, es waren Hirten. Sie wollten unser Kind sehen. Ihnen seien Engel erschienen, sagten sie, und die hätten ihnen gesagt, dass der Retter der Welt geboren ist.“ „Seltsamer Traum.“ Josef streichelte dem Kind über das Köpfchen. „Aber bestimmt hast du nur deshalb von Hirten geträumt, weil es hier drin nach Schaf und Ziege riecht.“
„Ja, vielleicht“, stimmte Maria zu. „Aber der Traum ging noch weiter. „Nach den Hirten kamen Fremde, die hatten seltsame Kleider an, fast königliche. Und sie hatten Geschenke dabei. Stell dir vor!“ Wieder streichelte Josef den kleinen Jungen. „Ja, er ist ein besonderes Kind, das spürt man schon jetzt. Findest du nicht auch?“ Maria lächelte. „Ja, finde ich auch. Aber weißt du, worüber ich außerdem froh bin? Dass ich die ganzen Besucher nur geträumt habe. Gäste kann ich im Moment wirklich nicht gebrauchen.“
„Im Nachhinein war es wirklich ein Geschenk, dass wir im Krankenhaus keinen Besuch bekommen durften“, sagt Kerstin Ostendorf. „Eine weitere Person hätte kommen können, aber wer? Es wäre schwierig gewesen, da gerecht zu sein.“ Glücklich darüber waren weder Familie noch Freunde. „Aber wir hatten ja einen guten Grund.“ Und auch sonst genug zu tun. „Ich war nach dem Kaiserschnitt ziemlich erschöpft. Und alles war auch neu: Wickeln, Stillen, Elternsein. Für uns war es einfach schön, dass wir uns in Ruhe aneinander gewöhnen konnten.“
Gut, einen Gast gab es dann doch. „Meine Mutter hat uns überrascht; sie ist reingekommen, mein Vater hat draußen gewartet.“ Es sei schön gewesen, Hannah jemandem zeigen zu können. „Aber dann war es auch gut, wieder alleine zu sein.“ Vater, Mutter, Kind. Manchmal reicht das.
Maria hörte draußen das Klappern von Rädern. Josef war zurück. Er hatte von seiner Familie in Betlehem einen Karren geholt, um Maria und das Kind dorthinbringen zu können.
Maria stand auf und hob ihren Sohn, den Erstgeborenen, aus der Krippe. Noch einmal dachte sie an ihren Traum, an die Hirten und die seltsamen Fremden. An die Worte vom neugeborenen Retter. Nein, verstanden hatte Maria das nicht. Aber sie bewahrte alles in ihrem Herzen.