Wie umgehen mit Rechtspopulismus?
Verstehen und widerstehen
Die Teilnehmer des Forums zum Thema Rechtspopulismus: Wolfgang Thierse, Ulrike Kostka und Henning Flad (ganz links: Moderator Jens-Uwe Scharf). Foto: Angela Kröll |
„Wenn du weiterhin den Flüchtlingen hilfst, brauchst du Weihnachten gar nicht erst kommen.“ Solchen Äußerungen, auch aus der eigenen Familie, haben sich Mitarbeiter der Caritas ausgesetzt gesehen, als die Flüchtlingskrise auf ihrem Höhepunkt war. Und nach wie vor ist der Rechtspopulismus für Kirche und Caritas ein Thema. Wolfgang Thierse, ehemaliger Bundestagspräsident, Henning Flad, Leiter der Bundesarbeitsgemeinschaft für Kirche und Rechtsextremismus, und Ulrike Kostka, Caritas-Direktorin im Erzbistum Berlin, haben über mögliche Strategien zur Begegnung mit Rechtspopulismus gesprochen. Eingeladen ins Betterplace-Umspannwerk (bUm) in Berlin-Kreuzberg hatte der Berliner Caritasverband.
Thierse: Populismus zu begegnen ist Bürgeraufgabe
Wer sind eigentlich die AfD-Wähler? Mit dieser Frage hat sich Wolfgang Thierse nach der Bundestagswahl eingehender befasst. Er hatte eine Wählerlandkarte dabei, auf der Teile des Ostens ins Blau der AfD getaucht sind. Die Antwort: Neben notorischen Rechtsextremen sowie Protestwählern ohne ideologische Überzeugung bekommt die Partei ihre Stimmen auch von zahlreichen Angehörigen der Mittelschicht, Handwerkern oder Ingenieuren aus stabilen ökonomischen Verhältnissen. Letztere fühlten sich, so Thierse, überfordert von der „Weltunordnung“, den rasanten Entwicklungen hierzulande und weltweit. Zuweilen verspürten sie auch eine „kulturelle Entheimatung“. Gerade die Ostdeutschen hätten schon im Zuge der Wende dramatische Veränderungen durchlebt. Ihnen verspricht die AfD: Keine Sorge – mit uns bleibt alles beim Alten.
In der Diskussion mit Anhängern des Rechtspopulismus gelte es laut dem SPD-Mann zu erkennen: „Wen habe ich da vor mir? Was bewegt ihn?“ Zur Eindämmung des Rechtspopulismus könnten alle Bürger beitragen, indem sie bei populistischen Äußerungen im Kollegenkreis, in der Familie oder in der Gemeinde das Gespräch suchen – und, wenn nötig, auch klar widersprechen.
Kostka: Vorurteile durch Erfahrung abbauen
Statistiken belegen: Berührungsängste mit Migranten und Flüchtlingen sind vor allem dort verbreitet, wo bisher kaum Kontakte stattgefunden haben. Ulrike Kostka nannte ein Beispiel: Als eine frühere Caritas-Akademie in Bad Saarow (Landkreis Oder-Spree) Ende 2016 zu einer Flüchtlingsunterkunft umgewandelt wurde, hatten viele Saarower Angst um ihre Sicherheit. Die AfD vor Ort schürte die Ängste, organisierte Protestaktionen. Heute, fast fünf Jahre danach, werde sie von Anwohnern gefragt, „ob die Flüchtlinge denn überhaupt noch dort wohnen“ – so unauffällig seien diese. „Die Begegnung in der Normalität des Alltags kann Vorurteile abbauen“, schlussfolgert Kostka. „Diese Erfahrungen zugänglich zu machen, aber auch allgemein für die Menschen und ihre Nöte da zu sein: Das ist Aufgabe und Kernkompetenz von uns als Caritas“. Die Theologin warb für „verbale Abrüstung, aber nur dort, wo eine sachliche Debatte noch gewünscht ist“. Mit Blick auf ihre Glaubensheimat regte sie an, demokratische Elemente auch innerhalb der eigenen Kirche zu stärken, etwa durch die Förderung von Teilhabe, positiver Streitkultur und Transparenz. „Wir sollten unsere Demokratie nicht schwächer reden als sie ist.“
Flad: Nächstenliebe bleibt Gebot der Stunde
„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Diese christliche Botschaft ist für Henning Flad Basis für die Auseinandersetzung mit Populismus. Der Politikwissenschaftler beobachtet, „wie Rechtspopulisten bei Themen wie Familie oder Gender gezielt Andockmöglichkeiten bei uns Christen suchen“. Dagegen hätten sich gerade Caritas und Diakonie als sehr wehrhaft gegen derartige Bestrebungen gezeigt. Der richtige Umgang mit Menschen mit rechter Gesinnung ist für ihn „ein Spagat“. Eine klare Haltung zu haben, dabei aber zwischen Meinung und Person zu unterscheiden, sei die Kunst. „Unter dem Motto: Was du sagst, finde ich scheußlich, aber als Person respektiere ich dich trotzdem“. Flad bekräftigte: „Kirche muss ein Ort der Versöhnung bleiben.“
Von Stefan Schilde